"Die Tauben werden den Lueger vermissen"

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Fotos: © Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Eine Wiener Bürgerinitiative fordert, dass der umstrittene Karl-Lueger-Platz im Stadtzentrum nach Nelson Mandela umbenannt wird. Mobisiliert wird vor allem über Facebook. Am Sonntag trafen sich die Mitglieder das erste Mal persönlich – bei einer Gedenkfeier für den verstorbenen südafrikanischen Politiker. Unser Österreich-Korrespondent Christoph Baumgarten hat sie begleitet.

"Eigentlich wollt ich nur die Initiative des Grazer Professors Werner Sauer unterstützen", erzählt Manfred Domschitz. Sauer hatte in einem Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) vorgeschlagen, einen Platz im Herzen Wiens nach Nelson Mandela zu benennen. Domschitz fand den Platz auch schnell: Den Karl-Lueger-Platz im Stadtzentrum, benannt nach dem ehemaligen christlich sozialen Wiener Bürgermeister und Antisemiten.

Vor einer Woche hat Domschitz eine Facebook-Seite ins Leben gerufen, die diese Umbenennung fordert. Mittlerweile wird sie von 12.000 Menschen unterstützt. Das ist eine der erfolgreichsten Facebookseiten in Österreich. "Jetzt bin ich auf einmal Sprecher einer Bürgerinitiative", zeigt er sich vom Erfolg überrascht. Und hat entsprechend viel am Smartphone zu koordinieren.

Zwei Bilder Mandelas hat Domschitz auf einer kleinen Rasenfläche gegenüber dem Lueger-Denkmal aufgestellt. Dazu eine Kerze und einen Strauß Blumen. Ein kleiner Anfang. Viel Zeit zum Vorbereiten hatte Domschitz nicht. Die heutige Kundgebung ist eher eine spontane Aktion.

Hassan aus Somalia ist einer der ersten, die Blumen niederlegen. Fotograf Martin Juen hält die Szene fest.

Unterstützer und Sympathisanten trudeln nach und nach ein. Sie kommen aus Wien, Kärnten und Afrika. Und einigen Regionen dazwischen. Die Beziehungen zu Mandela sind so vielfältig wie die Biografien, die sie nach Wien gebracht haben. Für die Südafrikanerin Ingrid steht das Gedenken an ihren Präsidenten im Vordergrund. "Nelson Mandela war unsere Hoffnung. Es ist schade, dass es nicht mehr Menschen wie ihn gibt", sagt sie.

Als Kind hat sie die Apartheid miterlebt. "Wir hatten ein Hausmädchen, das sich um uns gekümmert hat. Im Sommer sind ihre Kinder zu uns spielen gekommen. Das durfte aber keiner wissen. Wir haben das nicht verstanden. Ihr jüngster Sohn war zwei Jahre jünger als wir, und wir durften ihn nicht ins Haus mitnehmen zum Spielen."

Der Idee, den Platz umzubenennen, kann sie viel abgewinnen. Wie die Chancen stehen, will sie von Manfred Domschitz wissen. "Da ist sicher noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten", sagt er. "Aber wir haben viel Unterstützung, von einigen Sozialdemokraten, Grünen, von vielen anderen. Auch die Caritas unterstützt die Initiative." Auch der Freidenkerbund hat sich mit dem Ansinnen solidarisch erklärt.

Nicht überall stößt die Idee auf Gegenliebe. Historiker etwa verweisen auf Luegers Verdienste als Bürgermeister: So wurde die Wiener Hochquellenwasserleitung in seiner Amtszeit gebaut und zahlreiche bis dahin private Infrastrukturbetriebe in das Eigentum der Gemeinde übernommen.

Das bestreite auch niemand, sagt Domschitz. „Nur, man darf eben auch nicht vergessen, dass Lueger mit Antisemitismus Politik gemacht hat und sich die Nazis später auf ihn als Vorbild berufen haben.“ Im Gegensatz dazu stünde Nelson Mandela für die Weltoffenheit, derer sich auch Wien gerne rühme.

Zumal Nelson Mandela auch bei einigen Wienern biografische Spuren hinterlassen. "Ich habe wegen ihm 24 Stunden im Gefängnis gesessen", erzählt Schani Margulies mit Schmunzeln und einem gewissen Stolz. "Wir haben 1989 vor der südafrikanischen Botschaft dafür demonstriert, dass er aus dem Gefängnis entlassen wird", erzählt der ehemalige Gemeinderat der Grünen. Die damalige Polizei zeigte wenig Toleranz und eine Ausrede, einige Anti-Apartheid-Demonstranten festzunehmen, fand sich offenbar schnell.

Die Grünfläche füllt sich langsam. Kerzen und Blumen vor den beiden Bildern Mandelas werden mehr.

Futurelove Sibanda aus Simbabwe stimmt spontan ein Lied zu Ehren des Verstorbenen an. Damit sitzt der Student am Konservatorium den emotionalen Höhepunkt der Kundgebung.

Wie breit die politische Unterstützung für die Initiative ist, zeigt der Besuch der Bundesspitze der Jungen Generation, einer der beiden Jugendorganisationen der SPÖ. Bundesvorsitzende Katharina Kucharovits, ihre Stellvertreterin Julia Hinterseer-Pinter und Bundessekretär Andreas Stadlmayr (v r n l) legen Blumen am improvisierten Denkmal nieder.

Auch Schauspieler Serge Falck und Raimund Wallisch nehmen an der Kundgebung teil.

Dazwischen einiges an Medienrummel. Mehrere Tageszeitungen haben Fotografen geschickt, der ORF Wien einen Kameramann. Die Initiative stößt offenkundig auf großes Interesse bei Österreichs Medien.

Die Kerzen locken auch nach dem Ende der Kundgebung Unterstützerinnen und Unterstützer:

Beinahe scheint die Anordnung der Kerzen einer Regie zu folgen. Entfernt erinnern sie an die Umrisse Afrikas. Das ist allerdings Zufall.

Ob es einen Nelson-Mandela-Platz geben wird, wird sich in einem Jahr entscheiden. So lange müssen laut Wiener Landesgesetz Menschen tot sein, bevor man Verkehrsflächen nach ihnen benennen darf. Ein vernünftiges Gesetz, wie Domschitz findet. "Das heißt aber nicht, dass wir bis dahin abwarten werden. Wir werden weiter auf unser Anliegen aufmerksam machen."

Christoph Baumgarten