WIEN. (hpd) Österreichs neue Bundesregierung ist die umstrittenste seit langem. Sie gilt als zögerlich, mutlos und ideenlos. Kaum eine Gruppierung, die sie nicht mit Kritik eindeckt oder auf die Straße geht. Enthusiastischen Applaus bekommt die Große Koalition einzig von den Religiösen.
Kardinal Christoph Schönborn wird beten für die neue Bundesregierung. Das hat er – sozusagen hoch und heilig – versprochen, lässt das Bundeskanzleramt der Republik Österreich am Mittwoch die mehr oder weniger erstaunte Öffentlichkeit wissen. Er hat auch leicht reden: Der wieder angelobte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hatte ihn und die Vertreter der anderen anerkannten Religionsgemeinschaften gleich am zweiten Tag seiner neuen Amtszeit empfangen. Das rangiert irgendwo zwischen hoher Anerkennung und Kniefall.
Zeit für Schönborn, nicht für Mandela
Auch wenn der Termin mit Sicherheit lange geplant war, bevor die Angelobung absehbar war – das Signal ist kein wirklich glückliches. Zumal andere Termine der hohen Politik in den vergangenen Tagen den Regierungsverhandlungen geopfert worden waren. Unter Verweis auf die Koalitionsverhandlungen hatte sich die Staatsspitze etwa außerstande erklärt, der Trauerfeier für Nelson Mandela beizuwohnen.
Selbst nach dem Ende der Verhandlungen wurde es nicht wirklich stressfreier. Am Montag die Angelobung, am Dienstag die Regierungserklärung vor dem Nationalrat, zwischendurch Amtsübergaben, Pressetermine… Dazwischen gehen Lehrer, Schüler und Studenten und Beamte auf die Straße, um gegen die neue Regierung zu protestieren oder eine ordentliche Gehaltserhöhung zu fordern. Arbeitnehmervertreter sehen einige positive Punkte im Koalitionsvertrag, kritisieren aber einige andere. Auch Teile der SPÖ-Basis gehen auf die Barrikaden.
Man sollte meinen, ein Bundeskanzler hätte Dringenderes zu tun, als Religionsvertreter zu treffen – mit denen er ohnehin nichts Substantielles hätte reden können. So wurde auch nichts von Bedeutung mit den Vertretern besprochen, wie sich der Presseaussendung entnehmen lässt. Ein paar Nettigkeiten wurden ausgetauscht, das war’s. Was übrig bleibt, ist eine schiefe Optik - um es freundlich zu formulieren.
Sterbehilfeverbot soll in Verfassung
Was freilich nicht der einzige Grund war, warum Schönborn derart freundlich mit der neuen Bundesregierung umgeht. Vielmehr hat diese sich im Regierungsprogramm bemüht, ihm nach Kräften entgegenzukommen. Zum Erstaunen aller, die sich den Koalitionsvertrag durchgelesen haben, plant die Große Koalition nämlich, die Sterbehilfe per Verfassung zu verbieten. Oder zumindest, eine einschlägige Verfassungsänderung vorzubereiten.
Keiner weiß, warum
Niemand weiß, was genau die Vertreter von ÖVP und SPÖ bewogen hat, das zu tun. Es gibt in Österreich keine öffentliche Debatte um Sterbehilfe, weder zur aktiven noch zur passiven. Es gibt keinen Hinweis, dass die Selbstmordraten älterer und kranker Menschen merklich gestiegen seien. Auch im Wahlkampf kam das Thema schlicht nicht vor. Kurz: Es gibt keinen Anlass, auch nur über eine Gesetzesänderung nachzudenken. Geschweige denn, die Verfassung zu ändern.
Klientelpolitik für Hospizbewegung
Vielmehr verrät das Regierungsabkommen, wer die Koalitionspolitiker bewogen hat, die Verfassungsänderung zu planen. Diese soll auch einen Rechtsanspruch auf "Sterben in Würde" beinhalten. Heißt im Klartext: Hospize werden unterstützt.
Auf Hospize hat in Österreich de facto die katholische Kirche mit diversen Suborganisationen ein Monopol. Dass man nachdenkt, öffentlich betriebene Hospize einzurichten, steht so nicht im Programm. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...
Katholiken applaudieren
Wenig überraschend applaudiert die Katholische Aktion (KAÖ) ganz begeistert. Zitat: "Die Umsetzung dieser Pläne wäre ein entscheidender Schritt zur Absicherung der Menschenwürde und der Rechte unheilbar Kranker und Sterbender in Österreich", betonte KAÖ-Präsidentin Gerda Schaffelhofer am Mittwoch in einer Stellungnahme. Ein derartiger Schritt wäre zudem ein deutliches Signal an jene europäischen Länder, "die den aus unserer Sicht eindeutig falschen Weg einer Zulassung von Töten auf Verlangen eingeschlagen haben."
Als ob sich Todkranke nur aus Mangel an Plätzen in Hospizen der Caritas für den Freitod entscheiden würden!
Was hat das mit dem Staatswesen zu tun?
Was das Ganze in einer Verfassung zu suchen hat, ist auch nicht schlüssig erklärbar. Man mag zu Sterbehilfe stehen wie man will – sie ist keine Frage, die fundamental für das Funktionieren der Republik Österreich wäre. Weder betrifft sie die Gewaltenteilung noch die Grundsätze der Republik noch hat sie irgendetwas mit internationalen Verpflichtungen wie den EU-Verträgen oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zu tun.
Die Republik wird nicht zusammenbrechen, wenn Sterbehilfe erlaubt wird. Oder wenn die bestehenden Verbote verschärft werden. Diese Frage ist für das Funktionieren des Staates schlicht irrelevant. Zumal Mord ja auch "nur" im Strafgesetz verboten ist. Dass sich das Mordverbot nicht in der Verfassung findet, hat noch niemanden animiert, seinen Nachbarn oder die Ehefrau zu töten.
Auch nur nachzudenken, eine Regelung, die für das Funktionieren der Republik egal ist, in die Verfassung zu heben, rangiert irgendwo zwischen Schlamperei, effektheischender und sinnloser Symbolpolitik und Klientelismus für die religiösen Lobbies im Land.
Keine öffentliche Debatte
Dass das ohne öffentliche Debatte geschieht, macht es nicht wirklich besser – und schon gar nicht demokratisch. Umfragen zeigen, dass die Österreicher Sterbehilfegesetzen wie in Belgien prinzipiell offen gegenüberstehen. Nur gefragt werden sie halt nicht. Weder formell noch informell. Daran wird auch die parlamentarische Enquete nichts ändern, die versprochen wurde. Dort werden aller Voraussicht nach wieder die religiösen Lobbies eingeladen werden und sonst niemand.
Gleichzeitig hat die SPÖ eine Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften auf dem Altar der Großen Koalition geopfert. Auf Druck der kirchennahen ÖVP.
Katholischer Eiferer als Landwirtschaftsminister
Auch die Personalpolitik dieser ÖVP dürfte bei katholischen Eiferern auf Zustimmung gestoßen sein. Der neue Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter bekräftigte seinen Amtseid nicht nur mit der erlaubten Beteuerung "so wahr mir Gott helfe" - sondern auch "im Angesicht des heiligen Herzen Jesu Christi". Das dürfte vor allem beim reaktionären Flügel der Tiroler Katholiken gut ankommen. Der Rest Österreichs schüttelte eher ungläubig den Kopf. So betont religiös hat man schon länger keinen Politiker mehr gesehen.
Was auch daran liegen mag, dass in Österreich anders als in Deutschland ein Amtseid prinzipiell säkular ist. Religiöse Beteuerungen dürfen hinzugefügt werden, wenn man unbedingt will. Das macht den offiziellen Amtseid zur Norm – der kommt ohne Gott aus. In Deutschland ist der religiöse Bezug die Norm. Man darf ihn nur gnädigerweise weglassen.
Für die Staatssymbolik ein wichtiger Unterschied. Nur, wie man sieht, hält das auch niemanden davon ab, religiöse Lobbies zu befriedigen. Man will ja von irgendjemandem lieb gehabt werden.
Christoph Baumgarten
Fotobeschreibung: "Am 17. Dezember 2013 lud Bundeskanzler Werner Faymann religiöse Vertreterinnen und Vertreter zu einem Adventempfang in das Bundeskanzleramt. Im Bild mit Kardinal Christoph Schönborn (r.)."