Theologie ist keine Wissenschaft

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Uwe Lehnert, Foto: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Prof. Dr. Frieder-Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD), gab dem Online-Magazin des HVD "diesseits" ein Interview, in dem es um den Streit um Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Universität Münster, geht. Aber auch um die umstrittene Rolle der Theologie an einer Universität. Der moderaten Auffassung von Prof. Frieder-Otto Wolf setzt Prof. Uwe Lehnert einen etwas prononcierteren Standpunkt entgegen.

 

Das Interview nimmt Bezug auf einen Tagesspiegel-Leserbrief, den Uwe Lehnert verfasst hatte, der aber im Interview nicht explizit erwähnt wird. Deshalb wiederholt und präzisiert er hier einige dort aufgeführte Argumente.

 

Frieder-Otto Wolf meint: "Wenn religiöse Welt­anschauungs­gemeinschaften wie die christlichen Kirchen oder jüdische bzw. islamische Gemeinden diese (gemeint ist die Freiheit von Forschung und Lehre; U.L.) ihren Hochschul­lehrerInnen nicht zugestehen wollen, dann sollen sie in der Tat dies außerhalb der Universitäten organisieren".

Aber das genau wird ja wissenschafts­politisch verhindert. Tatsächlich ist es ja eher umgekehrt. Vertrieben werden die religions­kritischen Geister. Man denke an Prof. Gerd Lüdemann, Universität Göttingen, oder Prof. Hubertus Mynarek, der es immerhin bis zum Dekan der katholischen Fakultät der Universität Wien gebracht hatte. Lüdemann verlor seinen theologischen Lehrstuhl. Eine Entlassung ist aufgrund deutscher Gesetze nicht möglich, dafür eine wie Frieder-Otto Wolf zurecht formuliert "schlitzohrige Notlösung". Mynarek musste bedingungslos die Universität verlassen, er wurde zum Sozialfall. Beide hatten es gewagt, ergebnisoffene Forschung zu betreiben. Sie kamen zu Ergebnissen, die den kirchlichen Dogmen widersprachen, folglich mussten sie – Wissen­schafts­freiheit hin oder her – ihre Lehrstühle räumen. Zwei Beispiele unter vielen.

Ich bleibe bei der Feststellung, dass der Theologie der für eine Forschungs­tätigkeit festmachbare Gegenstand fehlt. Die Natur­wissenschaften, die man treffender als Wirklichkeits­wissenschaften bezeichnen sollte, haben einen materiell-energetischen Untersuchungsgegenstand. Die Geistes und Kultur­wissenschaften haben begrifflich definierte Gegenstände, denen aber reale Objekte, Verhaltensweisen oder Situationen entsprechen. Gleiches gilt im Prinzip auch für die Philosophie und die Mathematik. Die Theologie hat – wie Frieder-Otto Wolf selbst zugesteht – einen nur in den Köpfen der Gläubigen konstruierten Gegenstand als Untersuchungsobjekt (wäre somit eher ein Fall für die Psychologie). Etwas, das in der realen Welt nicht existiert, kann logischerweise dann alle denkbaren Eigenschaften und Verhaltens­weisen annehmen. Die unzähligen Gottes­begriffe und ebenso vielen Versuche, das Jenseits zu erklären, sprechen für diese Feststellung. Mit wissenschaftlichem Erkenntnis­interesse und wissenschaftlicher Untersuchungs­methodik ist das jedenfalls schwerlich zu vereinbaren.

Frieder-Otto Wolf weiter: "... aber es gibt Schriften und Traditionen, an denen durchaus wissenschaftlich geforscht und gelehrt werden kann". Richtig, aber das ist dann Gegenstand der Religions­wissenschaften, die selbst­verständlich ihren Platz an der Universität haben. In dem Moment jedoch, wo nicht hinter­fragbare Dogmen und päpstliche Vorgaben zu beachten sind, hört Wissenschaft auf. Darüber dürfte es doch keinen Dissens geben. Daher hat die Theologie aus wissenschafts­theoretischer Sicht an einer nur wissenschaftlichen Standards verpflichteten Denk- und Forschungs­stätte nichts verloren. Mit dieser Auffassung befinde ich mich gewiss in breiter Überein­stimmung mit jenen, die eine strikte Trennung von Staat und Religion, damit auch Universität und Theologie anstreben.

Frieder-Otto Wolf plädiert für Untersuchungen, die "aus einer Perspektive der teilnehmenden Beobachtung zu betreiben" seien. Aber es ist doch erkennbar: Sobald relevante Differenzen zwischen eigener Erkenntnis und religiös-organisatorischen Vorgaben und Interessen (!) eintreten – siehe den aktuellen Fall Khorchide – dann endet regelmäßig die Wissen­schafts­freiheit. Wenn die Frage, ob Gott existiert, nach inzwischen allgemeiner Auffassung weder philosophisch noch mit wissen­schaftlichen Methoden entscheidbar ist – Kant hatte dies bekanntlich schon klar formuliert – dann ist doch die logische Folgerung, dass solche Fragen nicht an eine Universität gehören.

Nun nimmt Frieder-Otto Wolf in der ganzen Diskussion einen mehr pragmatischen Standpunkt ein. Dafür sprechen durchaus Argumente, die zu bedenken sind, auch wenn sie gewissermaßen der "reinen Lehre" widersprechen. Frieder-Otto Wolf argumentiert, dass ja auch nichtreligiöse Welt­anschauungs­gemeinschaften Ansprüche auf Vertretung in den forschenden und ausbildenden Institutionen erheben, also etwa durch Etablierung von Humanismus-Lehr­stühlen und die Ausbildung von Lebens­kunde-Lehrern. Dafür spricht nicht nur die analoge, Gleich­berechtigung anmahnende Situation zur faktisch existierenden Theologie an den Universitäten. Vor allem das Fundament des heute vertretenen Humanismus, der eine naturalistisch-wissen­schaftliche und streng diesseitige Orientierung anstrebt, spricht durchaus für eine Etablierung an der Universität. Und selbst der Lebens­kunde­unterricht, der sich überwiegend im Bereich der Normen und Werte bewegt, kann auf Erkenntnisse der Evolutions­theorie verweisen, die zunehmend die empirische Fundierung von gesellschaftlichen Werten und Normen aufzeigt.

Angesichts der faktischen Übermacht der Kirche in allen politisch relevanten Bereichen ist vorläufig mit einer Auslagerung der theologischen Fakultäten ohnehin nicht zu rechnen. Daher scheint eine mehr pragmatische Haltung, verbunden allerdings mit der Forderung nach Gleich­berechtigung auch für nicht­religiöse Welt­anschauungen, die derzeit vernünftigere Alternative zu sein. Insofern also stimme ich Frieder-Otto Wolf zu.

Im Verlaufe des Interviews heißt es an einer Stelle: "Und jedenfalls diejenigen Theisten, die dazu bereit und in der Lage sind, auf jeglichen Aber­glauben zu verzichten, behaupten ja gar nicht, dass..." Herr Wolf, zum Schluss etwas spitzbübisch gefragt, bitte sehr, worin besteht für Sie der Unterschied zwischen Glauben und Aber­glauben?