POLEN. (hpd) Bemerkenswertes in Polen aus säkularer Sicht aus dem Januar 2014. Zum 22. Mal bewegte das Große Orchester der Weihnachthilfe die Polen zum Spenden. Doch die Spendenaktion erhält auch viel Kritik – nicht nur von klerikalen Kräften.
Im Neujahr fängt in Polen traditionell die Spendenzeit an. Möglich macht das Jurek Owsiak, der Initiator des Großen Orchesters der Weihnachtshilfe (WOSP). Begonnen hat die Spendenaktion 1993 – seit dem wird jedes Jahr im Januar für medizinische Geräte für Kinderstationen und seit zwei Jahren auch für Erwachsene gesammelt.
Das konkrete Ziel der Spendenaktion ist immer ein anderes. 1993 wurde zum Beispiel für Geräte gesammelt, die bei Herzkrankheiten bei Kindern zum Einsatz kommen sollten; 1995 waren es Geräte für onkologische Kinderstationen und 2009 für die Früherkennung von Krebs bei Kindern. Dieses Jahr sammelten Owsiak und rund 120.000 ehrenamtliche Helfer für die Lebensrettung von Kindern und für die medizinische Versorgung von alten Menschen.
Das nun schon 22. Finale fand am 13. Januar statt – in ganz Polen veranstaltete WOSP Konzerte, auf denen Musiker ehrenamtlich für Stimmung sorgten. Im Zentrum von Warschau zündete am Abend ein großes Feuerwerk. Insgesamt flossen dieses Jahr mehr als 12 Millionen Euro.
Bestandteil polnischer Kultur
Das Große Orchester der Weihnachtshilfe ist in Polen nicht nur Symbol für Mitgefühl und Spendenbereitschaft. Schon längst ist die Veranstaltung als fester Bestandteil in der polnischen Kultur verankert. Fast jeder Pole trägt Anfang Januar den Aufkleber in Form eines roten Herzens an seiner Kleidung, den die ehrenamtlichen Helfer bei einer Spende ausgeben – dieses Jahr wurden 35 Millionen Herzen gedruckt (das Land hat ca. 38 Millionen Einwohner).
Auch bei polnischen Emigranten ist das Orchester sehr beliebt. Seit über 10 Jahren versammeln sich Polen in vielen Ländern, um für die Heimat zu sammeln. Dieses Jahr war WOSP unter anderem in Afghanistan, Deutschland, Spanien und Kanada vertreten – insgesamt koordinierten 51 Auslandskomitees die Spendenaktionen. Und über nationale Grenzen hinweg versteigerte WOSP im Internet Gegenstände für das Spendenziel.
Die Herzen berühren
Dieses Jahr berührte eine besondere Geschichte die polnischen Herzen. Der 10-jährige Lukasz wurde im Fernsehen kurz eingeblendet, als ein Reporter Helfer nach ihren Eindrücken fragte. “Mir ist nicht mehr zu helfen, aber dafür möchte ich wenigstens anderen helfen”, sagte der kleine Lukasz dabei. Dieser Kommentar blieb nicht ungehört, kurze Zeit später wurde Lukasz in ganz Polen bekannt. Der Junge leidet an einer unheilbaren Darmerkrankung – Morbus Crohn – und war trotzdem schon zum zweiten Mal als ehrenamtlicher Helfer für WOSP aktiv.
Jurek Owsiak zeigte sich tief berührt von der Einstellung des kleinen Jungen aus Stettin. Deswegen veranstaltete er vor dem Wohnhaus des Jungen ein kleines Konzert mit Musikern, Bühne und Zuschauern, die durch soziale Netzwerke vom Konzert erfuhren. Der 10-Jährige wurde so für sein Engagement gewürdigt und bekam zudem noch einige Geschenke.
Kirche ist dagegen
Oftmals beansprucht die Kirche die “Spendenhoheit” für sich. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass gerade aus dem religiösen Lager Kritik an dem Orchester und seinem Initiator laut wird. Klerikale Kommentatoren sind der Meinung, nur circa 50 Prozent der Spenden käme dem tatsächlichen Zweck der Aktion zugute. Ein großer Teil des Geldes verschwinde in dunklen Kanälen. Zudem bekomme das Große Orchester der Weihnachtshilfe überproportional viel Aufmerksamkeit von den Medien. Caritas würde zum Beispiel viel mehr Geld in Polen sammeln und mehr Menschen helfen, aber nicht so viel Beachtung erhalten.
Ferner wird Jurek Owsiak vorgeworfen, er organisiere das Rockkonzert Haltestelle Woodstock. Die Veranstaltung findet im Sommer statt und ist als Dank für die vielen ehrenamtlichen Helfer gedacht. Nach Meinung der Kritiker konsumieren die Jugendlichen dabei Drogen, sie werden zu ungebührlichem Verhalten und der Teufelsanbetung angestiftet. Darüber hinaus fließe viel von dem Geld in das Rockkonzert, das im Rahmen von WOSP gesammelt werde.
Owsiak wird auch persönlich angegriffen. Die für kontroverse Äußerung bekannte Parlamentsabgeordnete Krystyna Pawlowicz, Recht und Gerechtigkeit (PiS), schreibt auf einer Internetseite: “Owsiak schmückt sich mit armen und kranken Kindern” und er und sein Umfeld “bekämpfen auf brutale Weise die Kirche”. Dem schillernden WOSP-Initiator wird auch seit vielen Jahren vorgeworfen, er verharmlose Drogenkonsum oder rufe zu diesem auf.
Owsiak erwidert – Caritas schaltet sich ein
Jurek Owsiak und seine Anhänger wehren sich gegen diese ihrer Meinung nach unmöglichen Anschuldigungen. So sagte im Januar der Minister für Arbeit und Sozialpolitik Wladyslaw Kosiniak-Kamysz in einem Fernsehinterviewe, solche Spendenaktionen wie WOSP seien notwendig und würden die Rolle des Staates in der Sozial- und Gesundheitspolitik ergänzen. Auch seien die Kontrollen von Spendenorganisationen besonders intensiv und die Anforderungen an sie in Bezug auf Transparenz sehr hoch.
Im Januar in den Medien bekannt gewordene Kontrollen des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik haben in der Tat ergeben, dass die Verwaltungskosten beim Großen Orchester im Vergleich zu anderen Spendenorganisationen besonders gering sind. Sie betragen lediglich um die acht Prozent, der Rest fließt in den tatsächlichen Zweck der Spenden.
Owsiak wehrt sich zudem regelmäßig gegen die Anschuldigungen in Bezug auf die Haltestelle Woodstock. Dabei passiere nichts Unanständiges und auch sei es eine offene Veranstaltung und ein schönes Erlebnis für junge Menschen. Darüber hinaus werde Geld speziell für diesen Zweck gesammelt – und komme nicht aus WOSP-Spenden.
Es finden sich tatsächlich keine Beweise für Drogenkonsum oder ähnliches bei der Haltestelle Woodstock. Auch gibt es keine medialen Aussagen von Owsiak, in denen er zum Drogenkonsum aufruft oder diesen verharmlost.
In die Diskussion schaltete sich sogar Pawel Keska, Sprecher von Caritas Polen ein. Keska wehrte sich in einem Radiointerviewe gegen die Ausnutzung von Spendenaktionen zu politischen Zwecken. Das Große Orchester und Caritas stünden demnach nicht in Konkurrenz zueinander, sondern seien verschieden und man sollen sie nicht gegeneinander ausspielen.
Kritik am polnischen Sozialstaat
Doch auch unabhängig von Kirche und politischer Instrumentalisierung erfährt WOSP Kritik. So seien die Spenden für medizinische Geräte nur ein Bruchteil von dem, was das polnische Gesundheitswesen im Jahr für seine Versicherten aufbringe und somit nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn überhaupt.
Darüber hinaus werde es dem Gesundheitssystem und der Gesellschaft leicht gemacht, sich aus der Verantwortung zu stehlen. So solle medizinisches Gerät, nicht nur für Kinder, durch die Krankenversicherung getragen werden. Die Menschen hätten einen Anspruch auf die bestmögliche gesundheitliche Versorgung und sollen nicht von Gutmenschen und Almosen abhängig sein.