Reinhard Kühnl ist tot

MARBURG. (hpd) Am 10. Februar ist der Marburger Politikwissenschaftler Reinhard Kühnl nach langer Krankheit im Alter von 77 Jahren verstorben. Bereits seit Jahren konnte er wegen einer Alzheimer-Erkrankung an den aktuellen Debatten um Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus in Deutschland und Europa nicht mehr teilnehmen. Seine Stimme fehlt.

 

Reinhard Kühnl, war ein bundesdeutscher Faschismusforscher der ersten Stunde. Er war Schüler des unvergessenen Wolfgang Abendroth.  Mit seinen umfangreichen Studien und Publikationen zum Faschismus, zu Faschismustheorien und auch -  bezogen auf die BRD - zur NPD prägte er in erheblichem Maße (aus marxistischer Sicht) die Ansichten weiter Kreise innerhalb der bundesrepublikanischen Linken zum Dritten Reich und zu den heutigen Gefahren des Rechtsradikalismus.  Sein Standard-Werk Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus – Faschismus war ein Muss in jedem Bücherregal eines Linken, Marxisten, radikalen Demokraten, der etwas auf sich hielt.

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war er von den 70er bis Ende der 90er Jahre Mitglied des Vorstandes des Bundes demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (BdWi), zeitweilig zusammen mit Walter Jens und Helmut Ridder.

Reinhard Kühnl hat sich große Verdienste in der Aufklärung über den Faschismus und in der bundesrepublikanischen demokratischen Bewegung erworben. Das bleibt.
Danke, Reinhard Kühnl

 

Walter Otte


Für den Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (BdWI) hat Georg Fülberth folgenden Nachruf verfasst:

Trauer um Reinhard Kühnl

Am Morgen des 10. Februar 2014 verstarb in Marburg der Politikwissenschaftler Reinhard Kühnl.

1936 in Schönwerth (Tschechoslowakei) geboren, studierte er in Marburg und Wien Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft und Germanistik. Er wurde ein Schüler Wolfgang Abendroths. Mit seiner Dissertation von 1965, „Die nationalsozialistische Linke 1925 – 1930“, schrieb er sich sofort in die erste Reihe der damals noch jungen Faschismusforschung. 1967 erschien „Die NPD – Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei“. Nach seiner Habilitation – die Ernst Nolte mit einer publizistischen Kampagne zu verhindern suchte – wurde er 1971 Professor für Politikwissenschaft in Marburg. Auf Einladung seines Freundes Walter Grab bekleidete er 1973 eine Gastprofessur in Tel Aviv.

In den folgenden Jahrzehnten entfaltete Reinhard Kühnl eine sehr fruchtbare wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit. Sein Buch „Formen bürgerlicher Herrschaft: Liberalismus – Faschismus“ erreichte von 1971 bis 1990 zahlreiche hohe Auflagen. Eine ähnlich große Wirkung erzielte seine Gesamtdarstellung der Faschismustheorien. Reinhard Kühnls Bücher wurden in 14 Sprachen übersetzt.

Stets arbeitete er – als Marxist und radikaler Demokrat – den Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und den von ihr hervorgebrachten politischen Systemen – darunter dem Faschismus – heraus.

Groß war auch Reinhard Kühnls Erfolg als akademischer Lehrer. Wie vorher schon zu Wolfgang Abendroth, so kamen nun von nah und fern Studierende nach Marburg, um bei ihm zu lernen. In der gesamten Bundesrepublik und international zog er als Vortragender viele Menschen in fast immer überfüllten Auditorien an.

Schwerpunkt seiner Forschungen und seiner Lehre blieben Ursachen und Geschichte des Faschismus. In der Praxis wurde er so zum Mitstreiter in den Kämpfen der Friedensbewegung und im Bemühen um Verteidigung und Erweiterung der Demokratie.

1968 war er Gründungsmitglied des Bundes demokratischer Wissenschaftler (heute: Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, BdWi). Bei dessen Neukonstituierung 1972 wurde er zusammen mit Walter Jens und Helmut Ridder Mitglied des Engeren Vorstandes, dem er bis 1999 angehörte.

Die demokratische Bewegung und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verdanken Reinhard Kühnl unendlich viel. Seine Stimme – seit Jahren schon aufgrund einer Krankheit verstummt – fehlte uns sehr in den Auseinandersetzungen mit alten und neuen Geschichtslegenden. Jetzt, 2014, wenn sich in der Interpretation des Kriegsausbruchs 1914 ein massives ideologisches Rollback zur Beschönigung neuer militärischer Aktivitäten anzubahnen droht, wird schmerzhaft spürbar, dass der Ort, an dem er so eindrucksvoll stritt, nunmehr verwaist ist.

Wir danken Reinhard Kühnl für seine Arbeit und seine Kämpfe. Wir trauern um ihn.

Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)

Der BdWi hat auf eine ausführliche Würdigung der Lebensleistung von Reinhard Kühnl verwiesen, die vor zwei Jahren zu seinem 75. Geburtstag in Forum Wissenschaft erschienen ist.