Der Papst kam wohl zu früh

WIESBADEN. (hpd) Was hat der Papstbesuch 2011 mit einem Gerichtsprozess vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden im Jahr 2014 zu tun? Wurde Benedikt XVI. etwa nach seiner Abdankung vor ein ordentliches Gericht gestellt? Nein! Überspitzt formuliert stand ein Lehrer einer Gelnhausener Schule als Kläger vor dem Richter, weil der Papst bereits im September 2011 vor dem Deutschen Bundestag sprach – für die Unterrichtsplanung sieben Monate zu früh. Das war natürlich nicht der Streitgegenstand, führte aber indirekt zu ihm.

So sachlich der Vorsitzende Richter, der Präsident am Verwaltungsgericht Dr. Christ, die Verhandlung leitete, so absurd mutete diese Farce an.

Gundolf Hambrock, die sympathische, streitbare Variante des großen Gandalf aus dem Herrn der Ringe, dessen langes, weißes Haar schlagartig an diese Figur denken lässt, ist Deutsch- und Englischlehrer an den Beruflichen Schulen Gelnhausen. “Herr Hambrock pflege […] eine parodistische Religionssichtweise”, zitiert ein Widerspruchsbescheid des staatlichen Schulamtes für den Main-Kinzig-Kreis “mehrere Eltern”. ‘Wie sonst sollte man bronzezeitlichen Geisterglauben sehen?’, kommt mir spontan in den Sinn. Aber halt, ehe ich hier auf die argumentative Schleimspur der Schule und des Schulamtes krieche, kehre ich zurück zum Kern dieses Gerichtsverfahrens, denn es ging strenggenommen weder um Religion, noch um Glauben an sich.

Mit halbstündiger Verspätung setzten sich viele Gesinnungsfreunde des Klägers Hambrock auf die beiden langen Stuhlreihen an der Rückwand des modern und zweckmäßig ausgestatteten Gerichtssaals. Viele einander oft unbekannte Bekenner einer säkularen Welt trafen sich aus Solidarität mit dem gemobbten Lehrer in der hessischen Landeshauptstadt. So waren Herbert Steffen, Vorsitzender der gbs, Dr. Ernst-Heinrich Ahlf, Hedwig Toth-Schmitz, gbs Mainz/Rhein-Hessen, verschiedene Freidenker, eine Journalistin der Jungen Welt und viele andere gekommen, um zu demonstrieren, dass die Zeit des Kadavergehorsams Kirchen – selbst Päpsten – gegenüber vorbei ist. Lehrer, die unsere Kinder zu mündigen, kritischen Bürgern erziehen, haben unsere Unterstützung verdient.

Justizzentrum Wiesbaden, Foto: VG Wiesbaden / vg-wiesbaden.justiz.hessen.de
Justizzentrum Wiesbaden, Foto: VG Wiesbaden / vg-wiesbaden.justiz.hessen.de

Nach anfänglichem juristischem Geplänkel um Zuständigkeiten ging es los. Faktisch stand für das fünfköpfige Gericht fest, dass Herr Hambrock am 22.09.2011 in seiner Englisch-Klasse einen Artikel aus der Tageszeitung Junge Welt mit dem Titel “Der Papst gehört nicht in den deutschen Bundestag, sondern vor ein internationales Gericht!” verteilte. Deswegen erhielt der Lehrer mit Datum vom 25.11.2011 durch seinen Schulleiter Günter Rau eine schriftliche Missbilligung, gegen die in diesem Verfahren geklagt wurde. Darin wird ihm u.a. vorgehalten: “Da die von Ihnen verteilten Texte ausschließlich der Zeitschrift Junge Welt entnommen wurden, einer Zeitschrift, die vom Verfassungsschutz eindeutig dem linksextremistischen Flügel zugeordnet wurde, ist es unabdingbar, dass zur Wahrung der objektiven Meinungsbildung ein gleichwertiger Text bereitgestellt wird.”

Nun war der fragliche Artikel ursprünglich ein Flyer der humanistisch-aufklärerischen Denkfabrik Giordano-Bruno-Stiftung. Macht ihn nun der Abdruck in einer linken Tageszeitung automatisch “linksextremistisch” – oder gar die Giordano-Bruno-Stiftung selbst? Sollte das Treiben in Oberwesel künftig durch den Verfassungsschutz beobachtet werden?

Was also stand denn nun Übles, Verfassungsfeindliches, Linksextremes in diesem Text, der 2011 unbeanstandet im Deutschen Bundestag verteilt wurde? Ein paar Zitate:

"Benedikt XVI. ist das Oberhaupt einer Institution, die in den letzten Jahrzehnten Menschenrechtsverletzungen an Hunderttausenden von Heimkindern begangen hat und unzählige Fälle von sexueller Gewalt vertuschte.

Er ist verantwortlich für eine zynische Sexualmoral, die Millionen von Menschen diskriminiert, das Problem der Überbevölkerung verschärft und die Ausbreitung gefährlicher Krankheiten fördert."

Danach folgen noch ein paar Fragen an Parlamentarier (an die sich der Flyer damals wandte), z.B. die, wieso sich der Papst der weltlichen Justiz entziehen könne. Nichts, was ich diesem Flyer entnehme ist sachlich falsch. Die anwaltliche Vertreterin von Gundolf Hambrock, Frau Dr. Bärbel Andres aus der Kanzlei Heinz Spillner und Kollegen, drang beim Gericht jedoch nicht damit durch, diesen Text zum Gegenstand der Erörterungen zu machen. Auch fand ihre Aussage kein Gehör, dass der Inhalt des Artikels ja nicht Religion an sich diskreditiere, sondern lediglich auf nachprüfbare Fehlentwicklungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche hinweise. Der Vorsitzende Richter wollte den Inhalt des Artikels nicht diskutieren. Er fand ihn lediglich “extrem” – für ihn ein ausreichendes Argument, dass er eine besondere pädagogische Einkleidung erhalten müsse, um für Schüler erträglich zu sein.

Alle weiteren Vorgänge um diesen “Skandal” zeigten sich umstritten zwischen den Parteien. Kurz zusammengefasst behauptete die Schulleitung, Herr Hambrock wolle Schulkinder mit einem deutschen, religionskritischen Text im Englischunterricht allein lassen, was diese überfordere. Es sei also eine reine Provokation, die gegen die Neutralitätspflicht verstoße. Der Lehrer hielt dagegen, er habe durchaus vorgehabt, den Text mit anderen Meinungen zu einer Debatte über gegensätzliche Positionen in Religionsfragen zu verwenden und habe deswegen zu Unrecht die schriftliche Missbilligung erhalten.

Die Verhandlung zeigte ein ums andere Mal, dass nicht nur das Gericht, sondern auch die Beklagten, Frau Wiloczek vom staatlichen Schulamt für den Mainz-Kinzig-Kreis und der Schulleiter Rau, teilweise schlecht vorbereitet erschienen. So vermutete der Schulleiter, in einer Jahrgangsstufe 11 seien 14- bis 15-jährige Schüler, die zu kritischem Denken noch nicht fähig seien. Der Lehrer musste korrigieren, denn die durch den kritischen Artikel “überforderten” Schüler wären zwischen 17 und 18 Jahre alt, einige bereits mit Führerschein und bot dem Gericht sogar die Geburtsdaten als Beweis an. Trotz dieser Richtigstellung sprach Frau Wiloczek weiterhin von “Kindern”.

Für das Gericht entstand langsam ein kompletteres Bild, woran es wirklich zwischen den Parteien hakte: Entstanden war diese verwaltungsprozessuale Posse just in dem Jahr, als Lehrer Hambrock im Englischunterricht sowieso kontroverse Positionen zur Religion durchnehmen wollte. Aus seiner Einstellung zur Rolle von Kirche und Staat hatte er nie ein Hehl gemacht und stand deswegen im Visier der Schulleitung. Diese war wohl motiviert durch vorauseilenden Gehorsam eventuell in ihren religiösen Gefühlen verletzten Eltern gegenüber. Auslöser war letztlich die Rede des Papstes am 22.09.2011 im Deutschen Bundestag.