Götterdämmerung in Düsseldorf

DÜSSELDORF. (hpd) “Wir befinden uns im Jahre 2014 n. Chr. Ganz Düsseldorf ist von Religiösen besetzt… Ganz Düsseldorf? Nein! Ein von unbeugsamen Humanisten bevölkerter Laden feiert glücklich seine Gottlosigkeit: Denn Düsseldorf ist jetzt zu 50 % konfessionsfrei”.

 

Mit diesem provokanten Text auf einem knallgelben Flyer ruft die gbs-Regionalgruppe Düsseldorf, “Düsseldorfer Aufklärungsdienst (DA!)”, Anfang April den “säkularen Frühling aus”. Die Gruppe hat die städtische Statistik zum Anlass genommen, laut derer im Jahr 2012 48 Prozent der Bürger nicht mehr Mitglieder der beiden großen Kirchen waren. Die Austrittszahl beträgt jährlich mindestens 1 Prozent, so dass 2014 50 Prozent der Düsseldorfer konfessionsfrei sein müssten. Mit einer spektakulären Aktion will der DA! die mangelhafte mediale und politische Wahrnehmung der atheistischen und humanistischen Belange thematisieren. Ein kurzfristig bezogenes Ladenlokal in der Innenstadt soll zwei Wochen lang das Zentrum dieses freudigen Ereignisses werden und lockt mit viel Programm: Pressekonferenz, Ausstellung, Filmreihe, kollektivem Kirchenaustritt am Gründonnerstag, “Das Leben des Brian” an Karfreitag und viel Möglichkeit zur religionsfernen Information und Diskussion mit Mitgliedern des DA!.

Wer spaltet hier eigentlich?

Die Reaktion auf die Ankündigung lässt dann auch nicht lange auf sich warten: Bereits Tage vor der im Laden geplanten Pressekonferenz titelt der Düsseldorfer Express: “Die Gottlosen spalten Düsseldorf”. Damit ist die Aktion Stadtgespräch: enormer Andrang auf der Facebookseite und Anrufe diverser Medien zeigen, dass das Thema ins Schwarze trifft.

Als dann tags darauf im riesigen Schaufenster noch der Schriftzug: “Wir sind DA! Gottlos glücklich. Halb Düsseldorf ist konfessionsfrei.” prangt, gibt es kein Halten mehr. Passanten bleiben stehen, lassen sich vor dem Fenster fotografieren, lachen, Autofahrer hupen, Menschen kommen neugierig in das “interim-humanistische Zentrum”.

Einen weiteren Tag später kann die Gruppe via Internet vermelden, dass Herbert Steffen, Mitgründer der Giordano-Bruno-Stiftung, aus Sympathie mit der Aktion jedem Kirchenaustrittswilligen am Gründonnerstag die 30 Euro Verwaltungsgebühr erstatten wird. Massenweise kündigen sich die Leute als Teilnehmer dieses Events auf Facebook an.

Zur Auftaktpressekonferenz am 04.04.14 wird es dann voll: Vertreter der Westdeutschen Zeitung, der BILD und - völlig unerwartet – der konservativ-christlichen Rheinischen Post sind gekommen, um zu hören, was Ricarda Hinz und Eva Creutz vom DA! sagen wollen.

Und sie haben einiges zu sagen: Der Express hat Anfang der Woche über uns getitelt: “Die Gottlosen spalten Düsseldorf”. Wir haben sehr gelacht. Vor allem auch, weil der plumpe Versuch der Lagerbildung tatsächlich an der Wirklichkeit vorbei geht: Wir wollen nicht spalten, sondern endlich das trennende Element der Religionen abschaffen, das z. B. dafür sorgt, dass Kinder in “katholische Kinder”, “evangelische Kinder”, “islamische Kinder” etc. separiert werden. Absurd, wenn man sich überlegt, Kinder würden in der Schuke in den SPD-, CDU- und Grünen-Politikunterricht eingeteilt.

Wir wollen darüber aufklären, in welch verstörendem Ausmaß die Politik in Deutschland immer noch und zunehmend von der Religion bestimmt wird. Vielen Menschen ist nicht klar, wie weitreichend die religiöse Bevormundung in unserer Gesellschaft geht. 

Ein weiteres Anliegen für uns als Initiative aktiv zu werden ist das Bedürfnis Gesicht zu zeigen und säkular-humanistische Anliegen sichtbar zu machen. Wir verstehen uns als Interessensvertretung all derer, die frei von Religion leben wollen und möchten außerdem eine kulturelle Plattform bieten, jenseits religiöser und esoterischer Weltanschauungen.

Wir begrüßen, dass sich mehr und mehr Menschen von der Institution Kirche abwenden, denn mit Statistik wird Politik gemacht. Da die Kirchen standhaft behaupten, die ethisch-moralische Instanz der Gesellschaft darzustellen und damit ihre politische Stellung und Macht legitimieren, helfen als Argument, dass dem nicht so ist, offenbar nur blanke Fakten: Spätestens wenn nur noch 10% der Bevölkerung Mitglieder der Kirchen sind, muss deren gesellschaftliche Rolle neu verhandelt werden.“

Der Redakteur des Express erscheint an diesem Tag nicht, vermeldet aber den Wunsch nach einer öffentlich inszenierten Diskussion zwischen einem katholischen Pfarrer, der evangelischen Superintendentin Düsseldorfs, Henrike Tetz, Ricarda Hinz und Eva Creutz. Letztere nehmen die Aufforderung freudig an.

Gottlose gehören nicht in unsere Gesellschaft Teil 1

So öffnet der Laden am 04.04.14 seine Pforten. Täglich ab 14 Uhr kommen Menschen, besuchen die Ausstellung religionskritischer Grafiken von Jacques Tilly und Eva Creutz, führen Diskussionen mit Mitgliedern des DA! und informieren sich über die säkulare Szene Deutschlands. Abends ab 19 Uhr gibt es zwei religionskritische Filme. Die Presse ist weiter sehr interessiert, schickt Fernsehteams und Journalisten und steht dem Umstand, dass eine Gruppe von Menschen öffentlich ihren Unglauben bekundet und 50qm Ladenfläche zur religionsfreien Zone erklärt, insgesamt sehr verwundert gegenüber. “Gottlose provozieren Gläubige”, “Kirchenkritiker zahlen Geld für Austritte” und “Glücklich ohne Gott: Initiative will Kirche aus Öffentlichkeit beseitigen” wird getitelt und fälschlich zitiert. Die mediale Aufmerksamkeit ruft auch die üblichen Verdächtigen auf den Plan: Einige der DA!-Mitglieder erhalten seither regelmäßig anonyme Anrufe eifriger Christen: “Gottlose gehören nicht in unsere Gesellschaft. Wir sind Christen und stolz darauf, wir werden weiter gegen Sie kämpfen.” Auf eine öffentlich ausgetragene Diskussion mit Superintendentin Tetz und dem katholischen Pfarrer wartet die Gruppe allerdings zu diesem Zeitpunkt noch immer vergeblich.

Mitten in diese ereignisreichen Tage platzt die Nachricht, dass der Nochmieter des Ladenlokals eine Abmahnung seiner Vermieterin wegen des auffälligen Schriftzugs “Gottlos glücklich” erhalten hat: “Die hier in den Schaufenstern vorhandene Dekoration ist offensichtlich darauf ausgerichtet, die religiösen Gefühle von Passanten (gleich welcher Konfession) zu verletzen. Dies ist für unsere Mandantin nicht Akzeptabel. Weitergehende Schadensersatzansprüche, insbesondere für den Fall von Beschädigungen der Schaufenster behalten wir uns ausdrücklich vor.” Wegen zeitlicher Nähe zum Osterfest und räumlicher Nähe zu einer Kirchengemeinde bestehe dringender Handlungsbedarf. Spätestens bis zum Folgetag, 12 Uhr mittags, sei die Dekoration zu entfernen. Die Juristen drohen mit “erheblichen Mehrkosten”, sollte der Aufforderung nicht fristgerecht Folge geleistet werden - zusätzlich zu den bereits entstandenen 572,- Abmahnkosten.

Gottlose gehören nicht in unsere Gesellschaft Teil 2

Die Nachricht von der Abmahnung spricht sich wie ein Lauffeuer herum. Als dann noch jemand den Wortlaut des Abmahnungstextes auf Facebook veröffentlicht, bricht eine wahre Solidaritätswelle los. Die Reaktionen reichen von Kopfschütteln bis zu juristischer Fachsimpelei und Spendenangeboten: Kann es sein, dass das Bekenntnis “wir sind Gottlos glücklich” religiöse Gefühle verletzt? Was sollen “religiöse Gefühle” sein? Verletzen in dieser Logik dann nicht auch Kirchengeläut und Bibelwerbung in der Öffentlichkeit “atheistische Gefühle”?

Der Vorfall macht in seiner Absurdität das Anliegen der Düsseldorfer Aufklärer noch mal deutlich: Zu bekennen, dass man ohne Gott sehr gut leben kann, scheint auch im Jahr 2014 noch eine Provokation zu sein und hat öffentlich keine große Lobby.

Pressetechnisch aber kann der Gruppe kaum etwas besseres passieren, denn inzwischen verfolgen Hunderte Interessierte den Verlauf des Geschehens wie eine Seifenoper. Menschen kommen in den Laden und wollen wissen, was da vor sich geht.

Eine juristische Erwiderung von Seiten des DA! verschafft der Gruppe zunächst mehr Zeit. Die Entscheidung: Die Schrift wird natürlich nicht entfernt.

Nun sind auch BILD-Zeitung, Rheinische Post, Neues Deutschland und das Humanistische Magazin “diesseits” auf den Fall aufgesprungen und belagern sowohl den Nochmieter, als auch die Mitglieder des DA!. Parallel melden sich mehr und mehr Menschen zur kollektiven Austrittsaktion am Gründonnerstag an.

Es geht auf Ostern zu. Da die klagende Vermieterin offensichtlich die Tatsache hingenommen hat, dass die Schrift nicht entfernt wird, zeigt sich der DA! großzügig. Die Worte “Gottlos” und “Konfession” werden aus dem Schaufenster entfernt. Dort steht nunmehr: Wir sind DA! Glücklich. Halb Düsseldorf ist frei. Dieser nicht ganz uneigennützige Kompromiss wird von der Facebookgemeinde begeistert gefeiert. Alle kennen inzwischen das Schaufenster, alle haben die Querelen verfolgt und amüsieren sich nun über die pragmatischen Lösung.

Das große Finale

Schließlich ist Ostern. Pünktlich um 11 Uhr versammeln sich am Morgen des Gründonnerstag die Mitglieder des DA! vor dm Amtsgericht und bauen einen riesigen Infostand auf. Bunt werden der Kirchenaustritt, die Erstattung der 30 Euro Verwaltungsgebühr und ein selbstbestimmtes Leben beworben. “Gottlos glücklich”-Luftballons veranlassen Passanten und Kinder zum Stehenbleiben.

Um 13 Uhr wird es voll. Rund 70 Menschen sind inzwischen da, ein Fernsehteam des WDR, eins von SAT1, Reporter der Westdeutschen Zeitung und der BILD-Zeitung. Alle verfolgen, wie an diesem Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein, Musik und Applaus, 23 Menschen der Kirche den Rücken kehren. Abends widmet der WDR der Aktion einen längeren Bericht mit anschließendem Interview der evangelischen Superintendentin Henrike Tetz. Diese bedauert die mangelnde Bereitschaft des DA! zum Dialog und vermeldet, die Kirche habe schon immer das Gespräch mit Atheisten gesucht.

Am Karfreitag trifft der Düsseldorfer Aufklärungsdienst um 20 Uhr ausgelassen im Laden ein. Alle sind glücklich über die vergangenen zwei Wochen, den Erfolg der Aktion und das erreichte Ziel: Der DA! ist als Interessensvertretung der Konfessionsfreien, Atheisten und Humanisten in der Kulturlandschaft Düsseldorfs etabliert. Die Tatsache, dass es Menschen ohne Glauben gibt, die ein veritables Anliegen haben mit ihren Argumenten wahrgenommen zu werden, wird endlich öffentlich debattiert. Tanzverbot am Karfreitag, kirchliche Privilegien, Verquickung von Staat und Religion: Es scheint, als komme langsam etwas in Bewegung.

Als krönenden Abschluss schaut die Gruppe gemeinsam “Das Leben des Brian”, ungestört von Ordnungsamt und beleidigten Christen.

Ostersonntag sitzen Ricarda Hinz und Eva Creutz abends beisammen und resümieren die letzten Tage. Da wird Ihnen ein Videomitschnitt aus einer der großen Düsseldorfer Kirchen zugespielt: Vor vollem Haus spricht der Pfarrer die Ostermesse von den Kanzel. Plötzlich zitiert er den Text des knallgelben Flyers: “Ein von unbeugsamen Humanisten bevölkerter Laden feiert glücklich seine Gottlosigkeit: Denn Düsseldorf ist jetzt zu 50% konfessionsfrei. Es ist Zeit für eine humanistische Alternative zum Gottesdienst. Wir feiern Aufklärungsdienste… Am vergangenen Donnerstag haben 34 Menschen die Kirche verlassen. 23 davon auf Werben des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes. Die Jüngste war 25, der Älteste 74 Jahre.”

Die beiden Frauen trauen ihren Ohren nicht. Die Botschaft des evolutionären Humanismus ist nun auch in der Kirche angekommen und wird nicht länger totgeschwiegen!

Eva Creutz