KÖLN. (hpd) Die Beschneidung von Jungen ist in Deutschland seit dem Inkrafttreten des §1631d BGB im Dezember 2012 gesetzlich erlaubt. Dass die Debatte, die im Vorfeld dieser Entscheidung des Gesetzgebers angestoßen worden war, damit nicht beendet ist, zeigte eine eintägige Veranstaltung in der letzten Woche in Köln.
Am 6. Mai 2014 veranstalteten MOGiS e.V. – Eine Stimme für Betroffene sowie pro familia NRW in der Universität zu Köln ein Wissenschaftliches Symposium mit dem Titel “Genitale Autonomie: Körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung – von der Theorie zur Praxis”.
Für das mit knapp 80 TeilnehmerInnen ausgebuchte Symposium konnten als Vortragende namhafte WissenschaftlerInnen aus dem In- und Ausland gewonnen werden. Unter den TagungsteilnehmerInnen waren professionell mit der Thematik befasste Berufsgruppen wie Mediziner, JuristInnen, PsychologInnen etc. zahlreich vertreten, sowie Betroffene, AktivistInnen für Kinderrechte und Genitale Autonomie. Die Problematik der Jungenbeschneidung und deren Legalisierung durch den am 28.12.12 in Kraft getretenen §1631d BGB wurde aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet.
Nach der Begrüßung durch VertreterInnen der veranstaltenden Organisationen - Christian Bahls, 1. Vorsitzender von MOGiS e.V. und Renate Bernhard, Vorstand pro familia NRW, wurde die Runde der Vorträge eröffnet von Prof. Dr. Jörg M. Fegert (Ärztlicher Direktor der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie der Universität Ulm, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomathik und Psychotherapie e.V. (DGKJP)), der sich in seinem Vortrag mit der Frage “Eltern als beste Garanten der Kindesinteressen?” beschäftigte.
Deutliche Kritik übte er u.a. daran, dass in der jetzt geltenden gesetzlichen Regelung der Kindeswille und eine entsprechende Aufklärung des Jungen (etwa im Rahmen der in späterem Alter stattfindenden Beschneidungen in der muslimischen Community) nicht berücksichtigt worden seien. Die gesetzliche Regelung vom Dezember 2012 beziehe die betroffenen Kinder nicht hinreichend in die Entscheidung über eine Beschneidung ein. Hier müsse unbedingt nachgebessert werden, eine “alters- und reifeangemessene Beteiligung des Kindes an der Entscheidung” sei unbedingt erforderlich. Favorisiert wurde von ihm eine Streichung des § 1631d BGB und eine Neuformulierung, die die Kindesbelange in den Vordergrund rückt und unter bestimmten genau umschriebenen Umständen eine Straffreistellung bei Beschneidungen von Minderjährigen erlaubt, wie es etwa die Deutsche Liga für das Kind fordert.
Prof. Fegert verlangte eine gesellschaftliche Neudiskussion, was überhaupt “natürliche Rechte der Eltern” auf Kindeserziehung sein könnten. Heute müsse stärker auch auf die Rechte der Kinder abgestellt werden, was in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen sei.
Seine Auseinandersetzung mit dem Begriff des “Kindeswohls” ergab, dass der Aspekt der Religionsfreiheit des Kindes nicht vernachlässigt werden dürfe: Durch ein Hinausschieben der Genitalbeschneidung würde das Kind bzw. der heranwachsende Mann möglicherweise an der vollumfänglichen Ausübung seiner religiösen Rechte und Pflichten gehindert werden und nicht als vollwertiges Mitglied seiner Religionsgemeinschaft anerkannt. Interessant war die überraschend gewagte Bezugnahme auf “andere Formen der Kindesmisshandlung” - hier fiele die außerordentliche Andersartigkeit der Eltern-Motive ins Gewicht. Aus dem Auditorium kam dazu der Hinweis, dass hinsichtlich §226a StGB, der die Beschneidung von Mädchen und Frauen (gleich welcher Form) unter Strafe stellt, dann wohl ebenso das Kindeswohl in dem von Prof. Fegert ausgelegten Sinn berücksichtigt werden müsse. Durch dieses Gesetz wird der Versuch, die eigenen Töchter mittels eines Beschneidungsrituals zu vollwertigen Mitgliedern der Gemeinschaft zu machen, unter Strafe gestellt.
Beschneidungsbefürworter lassen “wissenschaftlichen Anstand” vermissen
Schließlich kritisierte Prof. Fegert, dass sich die Beschneidungsbefürworter der Debatte über die Folgen von Beschneidungen vollständig entziehen. Er vermisste bei diesen “wissenschaftlichen Anstand”.
Als nächster Redner gab Prof. Dr. Maximilian Stehr einen Überblick über die wichtigsten medizinischen Fakten der Vorhautamputation. Nach einer Erläuterung von Nutzen und Funktion der Vorhaut, zeigte Stehr, ergänzt durch eindrückliches Bildmaterial, was bei einer Beschneidung im Einzelnen geschieht und nannte sowohl zwangsläufige (z.B. Reduktion der sexuellen Empfindung, die Verhornung der Eichel) als auch weitere mögliche (z.B. Entzündungen, Nachblutungen, Absterben) Komplikationen einer Beschneidung. Zudem argumentierte er schlüssig gegen die verbreitete Behauptung, eine Routinezirkumzision habe als präventive Maßnahme einen medizinischen Nutzen: Sämtliche Studien, auf die sich diese Behauptung stützt, ignorieren wichtige Faktoren wie sexuelle Praktiken oder Durchseuchung am jeweiligen Standort.
Prof. Stehr bewertete als Komplikation, dass auf jeden Fall nach einer Beschneidung eine verminderte sexuelle Sensibilität eintrete. Dies sei die zwingende Folge des gegebenen Funktionsverlustes bei Fehlen des sensibelsten Teils des Penis’.
Prof. Dr. Matthias Franz (Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Stellvertretender Direktor des klinischen Institutes Psychosomatischer Medizin und Psychotherapie) brachte in seinem Vortrag “Psychotraumatologische und psychoanalytische Aspekte der Jungenbeschneidung” einige Fallbeispiele aus seiner langjährigen Tätigkeit als Psychotherapeut. Laut Prof. Franz spielt die Kastrationsangst – die er eine der stärksten Ängste von Jungen und Männern nennt – eine große Rolle für die Langzeitfolgen nach einer Beschneidung. Er nannte unter anderem Probleme in der partnerschaftlichen Sexualität, psychisch bedingte Erektionsstörungen und Empfindungsminderung und nicht zuletzt den Vertrauensbruch gegenüber den Eltern und dessen Folgen, der das Kind in einer Entwicklungsphase trifft, in der die psychische Abhängigkeit und der Wunsch nach Liebe gegenüber den Eltern bzw. Bezugspersonen besonders stark und wichtig ist.