Homosexualität und Christentum

Die unumstößliche Monstranz

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Aufgeschlagene Bibeln

KONSTANZ. (hpd) Wie eine heilige und unumstößliche Monstranz tragen Kritiker der Homosexualität seit jeher Aussagen aus dem 3. Buch Mose umher, die nach Meinung vieler bibeltreuer Christen eindeutigster Beleg dafür sind, dass die gleichgeschlechtliche Liebe in den Augen Gottes als widernatürlich und sündhaft einzustufen ist.

Levitikus, Kapitel 18, Vers 22, und Kapitel 20, Vers 13, sind zentrale Stellen der Argumentation derer, die mit möglichst textnahen Passagen beweisen wollen, dass schon zu Zeiten der Entstehung der alttestamentarischen Schriften galt: Wer seinesgleichen liebt, der müsse mit dem Tod bestraft werden.

Wenngleich sich heute kaum noch jemand – selbst aus den strengsten Kreisen der Christengemeinde – traut, solche Forderungen mit Ernsthaftigkeit in den Raum zu stellen, so bleibt doch: “Du sollst nicht bei einem Manne liegen, wie bei einer Frau. Es ist ein Gräuel!”. Wie in vielfältiger Weise bei nahezu jeder Form der verkürzten Exegese der Bibel zu erkennen ist, wird dem kritischen Betrachter auch bei diesem scheinbaren Naturgesetz rasch klar: Ohne Kontext und Sinnzusammenhang ist jeder isolierte Satz dem Populismus dienlich – denn: gesagt ist gesagt. Doch mehr als ein Abriss aus einer laufenden Mahnung ist auch zwei Kapitel später nicht zu finden, wenn Blutschuld auf dem angeblichen homo-erotischen Beischlaf liegt und für alle Beteiligte zum Sterben genügt.

Was wäre nur, wenn all die Interpretation zu kurz greifen würde? Überzeugung scheint allem Widerspruch überlegen, Glaube aller Vernunft. Nicht anders ist das vehemente Festhalten an völlig untauglichen Auszügen aus der Heiligen Schrift zu erklären, als mit der Angst, bei Hinterfragung von Sinnhaftigkeit und Bedeutung neue Wahrheiten zu erfahren. Wie ein Schutzschild, das vor den Angriffen der “Lobby” abwehrt, die Schwul- und Lesbischsein mit der Keule ihres “Gender-Wahns” in die Köpfe der Menschheit zu treiben versucht, begleitet Levitikus durch die tosenden Wellen der Diskussion zwischen “Hardlinern” und Gemäßigten, wie die Bibel mitsamt Gottes Willen auszulegen sei.

Abseits der Möglichkeit, dass die Übersetzung aus den Ursprungsschriften geirrt haben mag, bleibt gleichermaßen der Einwand des zeitlichen Hintergrunds, in dem das 3. Buch Mose und weitere, die Theorie der Verdammnis Homosexueller gleichermaßen stützende Abschnitte des Alten Testaments entstanden. Wer die hebräischen Schriften an gleicher Stelle genau studiert, wird bei Ernsthaftigkeit in regen Zweifel kommen, ob der Autor von Levitikus nicht eher den Beischlaf des “Knaben” mit einer Frau denunzierte – was im Gegensatz zum deutschen Laut des “Mannes” überdies nachvollziehbarer in die Verse vor und nach Kapitel 18 und 20 passen würde.

Denn die wild gelebte Sexualität ist mit allen in der damaligen Zeit verabscheuten Sünden eine im Gegensatz zur gleichgeschlechtlichen Liebe durch die gesamte Bibel getragene Scheußlichkeit, die in einer einheitlichen Konnotation von Altem und Neuem Testament Sinn ergibt. Sie widersprach den Riten – und war dennoch an der Tagesordnung. Sollte Levitikus bewusst ungenau in andere Sprachen übertragen worden sein, um Homosexuelle als Sündenböcke für ausufernde Lust, Untreue und Vielweiberei zu missbrauchen? Die Monstranz wackelt, denn kaum jemand weiß, ob in den hoch gehaltenen Versen des 3. Buches Mose nicht eher auf sexuelle Praktiken statt auf die teilhabenden Personen und deren Geschlecht abgezielt wird – und wer der eigentliche Adressat der Prophezeiung ist.

“Es” sei das Gräuel: Beurteilt man das demonstrative Pronomen abseits der deutschen Übersetzung, so ergibt sich besonders im Hebräischen der Hinweis, dass es die Art des Beischlafes ist, die den Zorn des Schreibers erregt – nicht aber die Gleichgeschlechtlichkeit der Akteure. Dass Wollust viel näher an den Menschen der ausgehenden Geschichtsperiode vor Jesu Geburt war, als es sich manch gebildeter Christ heute vorzustellen in der Lage ist, ist durch die Vielschichtigkeit der Berichte über sexuelles Geschehen in der Bibel belegt. Die Schrift beweist auch, dass Ehebruch und Verrat viel eher Sorge bereiteten, als der Geschlechtsverkehr Homosexueller – so sieht es schon die Erzählung von Sodom im Buch Genesis. Unbekannt war das sexuelle Miteinander unter Männern bei weitem nicht. Vielleicht zu damaligen Zeiten noch gängiger als im verklemmten Heute und deshalb wiederkehrender Bestandteil der Alltagsgeschichten, die die Bibel hergibt.

Für Sündhaftigkeit der gleichgeschlechtlichen Liebe fehlt gerade in der Heiligen Schrift der lückenlose Beweis – im Gegensatz zu Unzucht und sonstigen Umtrieben, die richtigerweise schon vor Jahrtausenden Kritiker brauchten, um ihre Gesellschaftsfähigkeit einzudämmen. Diesen Maßstab muss die gelebte Homosexualität gleichermaßen wie die ehr- und respektvolle Zweisamkeit aller Menschen an sich anlegen lassen – nicht mehr und nicht weniger. Denn das tatsächliche Gräuel entlehnter Sexualität aus dem Rahmen der moralischen Verpflichtung gegenüber dem Partner hinein in die alleinige Lust beklagt die Bibel bis heute zurecht. Wer hier selbstverständliche Parallelen zu praktizierter Homosexualität erkennen möchte, wird sich wiederum von traditionellem Vorurteil und Dogma leiten lassen, dem schon der Levitikus-Text zum Opfer gefallen ist.

“Gott ist die Liebe” als Inschrift christlicher Botschaft schützt und strahlt deshalb auch weiterhin segensreich über allen, die verantwortungsvolle Gemeinschaft leben. Der 16. Vers aus dem 1. Johannesevangelium, Kapitel 4, überwindet und sticht alle herbeigesehnten Interpretationen aus Altem und Neuem Testament aus, die sich nach Wille und Wunsch so mancher christlichen Randgruppierung beim unehrlichen Tunnelblick auf die Buchstabentreue der Bibel zweifellos verteidigen ließen. Die christliche Mehrheit täte gut daran, sich unter den abrahamitischen Religionen mit der Weitsicht abzuheben, die den Zusammenklang von christlichen Werten und Humanismus ermöglicht. Das allein gelingt durch die deistische und theistische Erkenntnis, wonach Gott selbst entscheidet, was ihm wohlgefallen ist. Die Liebe ist es. Denn wer in ihr “bleibt, bleibt in Gott” (1. Joh 4, 16 b) – schwul, lesbisch oder hetero.