Der 20. Juli – Christen gegen Atheisten?

BERLIN. (hpd) Der kürzliche 70. Jahrestag des Attentats vom 20. Juli auf Adolf Hitler erfuhr in den Medien eine breite Berichterstattung – der hpd bildete hier keine Ausnahme. Natürlich haben andere Nachrichtenseiten eine weit größere Reichweite. Zwei Beiträge auf der Onlinepräsenz der WELT verdienen daher eine kritische Aufmerksamkeit.

Chefkommentator Torsten Krauel selbst nahm sich der Männer um Stauffenberg an. Bei ihm heißt es: “Der Hauptgrund für den Umsturzversuch war nicht das Wissen um Luftangriffe oder um die kommende deutsche Niederlage. Die Verschwörer des 20. Juli wollten Hitler nicht deshalb umbringen, weil sie deutsche Städte vor der Zerstörung retten wollten. […] Die wahre Antriebskraft der Verschwörer war ihr Wissen um den Massenmord an den Juden, um den Mord an Geisteskranken, den Hungertod Hunderttausender russischer Kriegsgefangener und die Gräuel in den KZ, ihr Wissen um die Kirchenverfolgung und die Entrechtung des Menschen überhaupt.”

Diese Einschätzung ist leider nur für einen Teil der Männer des 20. Juli richtig. Wie ich in meinem Beitrag zeigte, waren viele Angehörige des militärischen Widerstands in hohem Maße selbst in Kriegsverbrechen verstrickt. Bei ihnen war es tatsächlich die “kommende deutsche Niederlage”, die Zweifel an Hitler weckte. Krauel selbst erwähnt dies nicht. Nur für kurze Zeit hätten die Militärs Hitlers Machtergreifung bewundert, sich dann aber durch ihren Gesinnungswandel von aller Schuld freigewaschen. Diese Darstellung ist verkürzt und blendet viele Grautöne der Männer des 20. Juli aus.

Aus humanistischer Perspektive ist jedoch der Artikel von Lars-Broder Keil das eigentliche Ärgernis. Dort beschreibt er, dass viele Mitglieder des Widerstands aus christlichen Motiven die Verbrechen Hitlers ablehnten. Soweit korrekt – dass aber die Mehrheit der Christen in der Wehrmacht nicht aufbegehrte, fällt unter den Tisch. Sachlich falsch argumentiert Keil erst, wenn er davon spricht, dass der Nationalsozialismus eine atheistische Ideologie war. Hierbei handelt es sich aber nicht nur um einen Fehler – die passieren auch den Besten. Das Zerrbild der atheistischen Nazis ist eine bewusste Geschichtsfälschung.

Ihre Wurzeln finden sich im Hirtenbrief der katholischen Bischöfe vom 23. August 1945: “Katholisches Volk, wir freuen uns, dass du dich in so weitem Ausmaße von dem Götzendienst der brutalen Macht freigehalten hast. Wir freuen uns, dass so viele unseres Glaubens nie und nimmer ihre Knie vor Baal gebeugt haben. Wir freuen uns, dass diese gottlosen und unmenschlichen Lehren auch weit über den Kreis unserer katholischen Glaubensbrüder hinaus abgelehnt wurden.”

Wo Hitler und Baal gleichgesetzt wurden, war der Nationalsozialismus nichts weiter als eine dämonisch-heidnische Kraft. Die Suche nach den irdischen Wurzeln der Verbrechen, die Frage nach der Verantwortung der Täter waren damit überflüssig. Die Bischöfe hatten aber auch ein ganz eigenes Interesse daran, sich von der braunen Ideologie zu distanzieren. Vor 1945 hatten sie Hitler noch bejubelt und dessen Angriffskriege als gottgewollt bezeichnet. Danach aber strickten die Kirchenvertreter fleißig am Opfermythos. Josef Kardinal Frings, Erzbischof von Köln, erklärte schon kurz nach der deutschen Kapitulation: “Soll das deutsche Volk schuld sein am Krieg? Die Entscheidung über Krieg und Frieden lag beim Führer allein und er hat höchstens seine engsten Mitarbeiter zur Beratung bei dieser Frage hinzugezogen. Als der Krieg eröffnet war, blieb unseren Soldaten nichts anderes übrig, als ihrem Fahneneid getreu zu kämpfen. […] Kein Mensch in der Welt aber wird dem deutschen Soldaten aberkennen, daß er mit bewundernswertem Mute, mit zäher Ausdauer und heldenhafter Todesverachtung gefochten hat. […] Unkontrollierbare Gerüchte schwirrten umher, aber Genaueres über das Ausmaß der Grausamkeiten, ja selbst die Namen mancher Konzentrationslager erfuhren wir erst durch die Enthüllungen des englischen Rundfunks nach dem Kriege. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit ist selbst mehr Opfer dieser furchtbaren Machenschaften als ihr Träger gewesen.”

Bischöfe Franz Rudolf Bornewasser und Ludwig Sebastian im Hitlergruß vereint mit Innenminister Wilhelm Frick (2.v.r.) und Propagandaminister Joseph Goebbels
Bischöfe Franz Rudolf Bornewasser und Ludwig Sebastian im Hitlergruß vereint mit Innenminister Wilhelm Frick (2.v.r.) und Propagandaminister Joseph Goebbels

Wenn nur eine kleine gottlose Clique Schuld an den Verbrechen trug, war das gläubige Volk entlastet. Und so dankten die Bischöfe den “christlichen Soldaten”, die “im Kriegsgetümmel Herz und Hand rein bewahrt haben von Haß, Plünderung und ungerechter Gewalttat.” Die Legende der “sauberen Wehrmacht” war geboren. Auch Bischof Clemens August Graf von Galen, oft zum Widerständler verklärt, beklagte die angebliche Siegerjustiz der Alliierten und zeichnete das Bild von den Deutschen, die nur aus ökonomischer Not, keineswegs aber aus finsteren Motiven Hitler gewählt hatten. Widerstand sei wegen des allgegenwärtigen Gestapo-Terrors unmöglich gewesen.

Wo es nur ging, behinderten Vertreter beider Konfessionen die Entnazifierung im Nachkriegsdeutschland. Die Bischöfe Münchens, der Katholik Michael Faulhaber und der Protestant Hans Meiser, protestierten bei der amerikanischen Militärregierung gegen die Inhaftierung ehemaliger NSDAP-Mitglieder. Verbrechern wie Eichmann und Mengele gelang nur dank Hilfe des Vatikans die Flucht nach Südamerika. Die junge Republik Adenauers griff die Lüge von den atheistischen Nazis begierig auf, denn so konnte sie die dunkle Vergangenheit durch verstärkte Hinwendung zum Christentum ausblenden. Auch die Verfassung Bayerns aus dem Jahr 1946 bezeichnet den Nationalsozialismus als gottlos.

Wie aber gelang es der katholischen Kirche ihre Vergangenheit derart auf den Kopf zu stellen? Jede noch so dreiste Lüge muss zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten, um nicht sofort zu zerplatzen. Tatsächlich hatten kirchliche Stellen schon vor 1933 den Nationalsozialismus als “gottlos” gebrandmarkt. Wahlempfehlungen an die Katholiken rieten von der NSDAP ab. Diese wurden nach Kriegsende eifrig, doch keinesfalls vollständig zitiert. Tatsächlich ging es in ihnen nur um theologische Differenzen. Eine angedachte Zwangsfusion von Katholiken und Protestanten zur germanischen Reichskirche hätte für den Vatikan den Verlust 40 Millionen deutschsprachiger Katholiken bedeutet. Der Reinigung des Christentums von seinen jüdischen Wurzeln wäre das gesamte Alte Testament zum Opfer gefallen.

Am gravierendsten war aus Sicht der Bischofskonferenz jedoch die Umdeutung Christi zum Arier. Denn laut NS-Ideologie zeugte ein germanischer Legionär im Dienste des Imperium Romanum und nicht der Heilige Geist Jesus Christus. Durch diesen wenig himmlischen Akt war die Jungfräulichkeit Mariens hinfällig geworden. Die kirchlichen Gutachten hielten explizit fest, dass der Nationalsozialismus nur wegen seiner theologischen Fehler, nicht wegen seiner politischen Forderungen abzulehnen sei. In nur einem Punkt tat sich eine tatsächliche Differenz zwischen Hitler und den Bischöfen auf. Der Massenmord an den Behinderten wurde nach kirchlichem Protest eingestellt. Doch die Opfer der Euthanasieaktion T4 waren Deutsche und Christen. Für die ermordeten Juden, Polen und Russen erhoben die Bischöfe ihre Stimme nicht.

Tatsächlich erklärte die NSDAP den Atheismus zu einem ihrer Hauptfeinde. Nach der russischen Revolution entfesselten die Bolschewiki in der Sowjetunion eine Kampagne gegen die orthodoxe Kirche. Bischöfe, Priester und Mönche wurden inhaftiert oder erschossen. Ein Export des Marxismus nach Westeuropa hätte ebenso katholische und evangelische Kirche bedroht. Auf Wahlplakaten warnte die NSDAP vor den atheistischen Kommunisten in Moskau ebenso wie vor den kommunistischen Parteien in Europa. Den Christen empfahl sie sich als Rettung in der Not. Hitler selbst hatte immer wieder zum Kampf gegen den Atheismus aufgerufen. In einer Rede vom Februar 1933 wehrte er sich gegen die Vorwürfe des Zentrumspolitikers Eugen Bolz, der ihm eine kirchenfeindliche Politik vorwarf: “Heute sagen Sie, das Christentum sei in Gefahr, der katholische Glaube bedroht. Darauf habe ich zu erwidern: Zunächst stehen heute an der Spitze Deutschlands Christen und keine internationalen Atheisten. Ich rede nicht vom Christentum, sondern ich bekenne, daß ich mich auch niemals verbinden werde mit solchen Parteien, die das Christentum zerstören wollen. Vierzehn Jahre sind sie mit dem Atheismus Arm in Arm gegangen. Dem Christentum ist niemals größerer Abbruch getan worden, als in der Zeit, da diese christlichen Parteien mit den Gottesleugnern in einer Regierung saßen. Das ganze Kulturleben Deutschlands ist in dieser Zeit zerrüttet und verseucht worden.”