Alles ist möglich: Der esoterische Psycho-Markt

DARMSTADT. Psychotechniken waren der Schwerpunkt der 17. GWUP-Konferenz. Nachdem am „offenen“ Donnerstag verschiedene Themen in moderierten Vorträgen kurz angerissen wurden, berichteten am Freitag drei ReferentInnen über den Psychomarkt.

Zunächst befasste sich Ingo Heinemann, Rechtsanwalt und Vorstandmitglied der AGPF – Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung, mit rechtlichen Aspekten jenes Marktes, der trotz eines geschätzten jährlichen Umsatzes von über 10 Milliarden Euro nicht reguliert ist. Da es kein „Psychotherapie-Gesetz“ gibt, ist nicht geregelt, welche unter den unzähligen Angeboten überhaupt als „Psychotherapie“ gelten können. So existieren unzählige Beeinflussungsmethoden, deren Anbieter eine Verbesserung geistiger Fähigkeiten und Eigenschaften aller Art versprechen, wobei teilweise sogar die Grenze zur unzulässigen Heilbehandlung überschritten wird. Trotzdem gibt es nicht einmal Ansätze eines wirksamen Verbraucherschutzes.

Dies liegt einerseits daran, dass es noch immer kein einschlägiges Gesetz gibt. In den letzten Jahren war es zu zwei Anläufen gekommen („Lebensbewältigungshilfegesetz“), die jedoch nicht zu einem Ergebnis kamen. Eine Initiative des Bundeslands Bayern war im Bundesrat steckengeblieben, ein Gesetzentwurf konnte durch die geschickte Verzögerungstaktik einschlägiger Lobbyisten nicht mehr vor Ablauf der Wahlperiode abschließend beraten werden. Zum anderen führen weltfremde Entscheidungen deutscher Gerichte dazu, dass eine effektive Kontrolle dieses Marktes verhindert wird. So befand das Bundesverfassungsgericht im Falle eines Geistheilers, dass dieser überhaupt keine „Heilung“ im eigentlichen Sinne anbiete, und dementsprechend in die Zuständigkeit der Gewerbeaufsicht falle. Dass dort weder die Kapazitäten noch das Knowhow vorhanden sind, die Psychoanbieter zu überwachen, kümmerte Karlsruhe wenig. Deshalb, so Ingo Heinemann, sei es zwingend geboten, wenigstens ein „Psycho-Vertragsgesetz“ auf den Weg zu bringen, das Mindeststandards und ein Widerrufsrecht festlege.

Kinnform als Einstellungskriterium
Dass die Neigung, von esoterischen Verfahren begeistert zu sein, nicht zwangsläufig auf einen Mangel an formaler Bildung zurückzuführen ist, verdeutlichte der Vortrag von Bärbel Schwertfeger. Die Wissenschaftsjournalistin, die in den letzten Jahren mehrere einschlägige Bücher vorgelegt hat, erläuterte, „warum Manager oftmals auf fragwürdige Psycho-Angebote setzen“. Der Wunsch, perfekt zu funktionieren und dadurch aufzusteigen, verleitet viele Führungskräfte der mittleren Ebene dazu, sich bei einschlägigen „Fortbildungs“-Seminaren anzumelden. Das dort vermittelte Wissen ist in der Regel minimal, die angewandten Psychotechniken zeitigen bei den Beteiligten hingegen häufig verheerende Folgen. Bärbel Schwertfeger berichtete über Veranstaltungen, die ausgesprochen autoritär strukturiert sind und die Teilnehmerinnen & Teilnehmer einem Wechselbad von Verunsicherung und Euphorisierung aussetzen (in der anschließenden Diskussion sprach ein Mann aus dem Publikum von einer faschistoiden Konditionierung).

Besonderer Beliebtheit – angeblich auch in großen Firmen – erfreut sich derzeit die „Psycho-Physiognomik“. Dieses Verfahren, das in erschreckender Weise an die rassenkundlichen Betrachtungen der NS-Zeit erinnert, soll bei der Personalauswahl hilfreich sein. Aus der Kopfform, aus Nase, Stirn & Kinn sei vermeintlich ablesbar, welche Charaktereigenschaften ein Bewerber mitbringe. Wer auf diese Form der Personalrekrutierung setzt, kann aufwändige Vorstellungsrunden und Assessment Center einsparen. Einem der Anbieter, dem gelernten Fahrzeuglackierer Dirk Schneemann, ist es sogar gelungen, für seinen Ausbildungsgang zum „Referenten für Psycho-Physiognomik“ ein Zertifikat des TÜV Rheinland zu erhalten.

Sehr skeptisch äußerte sich die Diplom-Psychologin Schwertfeger über die Aussichten, diesen Markt auszutrocknen. Nach ihrer Erfahrung seien die Protagonisten der Szene so dreist, dass sie auch dann weitermachen, wenn ihnen die Unwirksamkeit ihres Ansatzes oder sogar explizite Lügen nachgewiesen wurden. Auf Seiten der Kunden gebe es offenbar eine große Bereitschaft, sich auf derlei fragwürdige Methoden einzulassen und auch gut belegte Kritik abzutun. Kritisches Denken ist augenscheinlich keine Grundvoraussetzung, um in der Manager-Kaste Karriere zu machen.

Hellingers Instant-Therapie
Durch seine den rechtsextremen Diskurs bedienenden Aussagen hat sich Bert Hellinger mittlerweile selbst aufs Abstellgleis befördert – der „Aufsteller“-Kongress findet dieses Jahr ohne ihn statt. Die ganze Szene jedoch, die an das von ihm erfundene „systemisch-phänomenologische Familienstellen“ anknüpft und Hellingers Instrumentarium in der Regel nur unwesentlich abgewandelt einsetzt, wächst. Die Sozialpädagogin Claudia Barth stellte die Grundbegriffe der Therapie à la Hellinger & Co. vor. Dabei verdeutlichte sie sein autoritäres Verhältnis zu den Klienten, die Beliebigkeit seiner Interventionen (die eher auf seinen gesellschaftspolitischen Vorurteilen, z.B. über die Rolle der Frau, als auf wissenschaftlicher Analyse aufbauen) sowie seine esoterische Auffassung von Ordnung. Auch wenn Hellinger persönlich an Bedeutung verloren hat, ist seine Vorgehensweise in den letzten zehn Jahren in die helfenden sozialen Berufe eingesickert und insofern nach wie vor eine Herausforderung.

Am abschließenden Samstag waren mit Mahlon Wagner und Joe Nickell zwei Gäste aus der amerikanischen Skeptiker-Bewegung anwesend. Nickell, der als „Investigator“ für die CSI unterwegs ist, berichtete von einige aktuellen Fällen, die er untersucht hatte; Der Psychologie-Professor Wagner stellte die Hintergründe der in der USA stattfindenden Kreationismus-Debatte dar und arbeitete die sozialpsychologischen und kulturellen Unterschiede zur Situation in Europa heraus.

Die neuesten Erkenntnisse über die Gründung der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) vor 20 Jahren stellten Bernd Harder & Klaus Schmeh vor. Da das Ganze unter der Überschrift „Wir basteln uns eine Verschwörungstheorie“ stattfand, liegt die Annahme, dass nicht jeder Satz hundertprozentig Ernst gemeint gewesen sein könnte, nahe.

 

Nach drei Tagen Kongress wurde am Abend noch gefeiert – 20 Jahre GWUP gaben dazu allen Anlass. Kreuz und quer durch die Musik der 1970er Jahre, von The Cream bis Jethro Tull, rockte die extra für diesen Auftritt zusammengestellte Session-Band Connect bis Mitternacht. Auf der Bühne stand dann auch jemand am Mikrophon, der ansonsten die Geschäfte der GWUP führt und als einer ihrer profiliertesten Sprecher auftritt. Im Hinblick auf das 25-jährige GWUP-Jubiläum 2012 bleibt nur Steely Dan zu zitieren: „Do it again“, Amardeo.

Gunnar Schedel