KÖLN/HAMBURG. (hpd) Nachdem er fünfundzwanzig Jahre öffentlich geschwiegen hatte
, meldete sich Paul Schulz, Doktor der Theologie, im Oktober 2006 mit einem entschiedenen Buch wieder zurück:
„Codex Atheos - Die Kraft des Atheismus".
Am kommenden Dienstag (19. Juni 2007) wird er ab 22.45 in der ARD einer der „Menschen bei Maischberger" sein – als bekennender Atheist. Mit dem Sprecher der Giordano Bruno Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, sind damit gleich zwei dezidiert Ungläubige eingeladen worden, die zudem unterschiedliche Standpunkte vertreten.
Da über Michael Schmidt-Salomon bereits verschiedentlich berichtet wurde – sei es über das „Manifest des evolutionären Humanismus" oder die „Sternstunde Philosophie" –, hat der hpd mit Dr. Paul Schulz gesprochen, um seine Position besser verstehen zu können.
hpd: Herr Schulz, welche Erfahrungen haben Sie bisher mit ihrem Buch gemacht?
Paul Schulz: Das Buch hat, wie alle Titel, die sich mit Atheismus befassen, einen schweren Anlauf genommen. Das Thema des Atheismus findet nicht so leicht offene Türen – im Gegenteil, es sind sehr viele Türen zugeschlagen worden. Zeitungen lehnten Rezensionen ab, Buchhandlungen wollten das Buch nicht auslegen.
hpd: Hatten Sie erwartet, das es als Thema zum ‚Renner' taugt?
Paul Schulz: In der Kombination Theologe und Schulz habe ich dem Thema Atheismus mehr zugetraut. Das Buch war für mich aber aus dem Bedürfnis entstanden, mit meinen Gedanken zu einem Ende zu kommen. Nach dem „Lehrzuchtverfahren" – d.h. dem Verlust des Arbeitsplatzes und des Einkommens –, musste ich mich umschauen und fand eine herausfordernde Position in der freien Wirtschaft. In dieser Tätigkeit musste ich mich ganz anders beweisen und für Philosophie blieb viele Jahre keine Zeit. Erst mit Gründung der Seniorenakademie fand ich wieder zu meinen ‚alten Themen' zurück und die Reaktionen waren durchaus positiv. Die Ablehnung traf auch nicht meine Person oder die Qualität des Buches, sondern man wollte das Thema einfach nicht. Diese Sperre hat mich dann doch sehr überrascht, denn diese Leute nahmen das Buch erst gar nicht in die Hand. Atheismus? Und dann ist Schluss.
hpd: Aber diese Sperre haben Sie doch offensichtlich überwinden können?
Paul Schulz: Ich habe Vorträge gehalten und das Buch und das Thema sind dann eher ‚eingesickert', so dass wir jetzt mit dem Interesse daran und dem Verkauf doch zufrieden sind. Meines Erachtens erleben wir auch zurzeit, wie die Religionshysterie der vergangenen vier bis fünf Jahre jetzt zurückpendelt in ihr Gegenteil. Ich beobachte, wie beispielsweise der Papst immer mehr Menschen auf den Geist geht – mit der Brasilien-Geschichte, den nicht getauften Kindern, mit hässlichen Aussagen, die so lapidar in die Welt gestreut werden –, dass manche Leute langsam aufwachen.
hpd: Fehlt dem Buch vielleicht auch das Spektakel, dass Sie eben nicht mehr amtierender Pastor an einer der Hamburger Hauptkirchen sind und sich mit der Kirche streiten?
Paul Schulz: Das ist richtig. Ich habe mich ganz bewusst die beinahe dreißig Jahre zurückgehalten und geschwiegen, nicht ‚nachgekarrt'. Aber das hat für mich auch Vorteile, da ich jedem, auch bei Frau Maischberger, ehrlich sagen kann, ich habe keinen Zwist mehr mit der Kirche, das ist abgeschlossen. Ich hadere nicht, lebe nicht aus dem damaligen Bruch heraus, sondern bin meinen unabhängigen Weg weiter gegangen und schulde niemandem etwas.
hpd: Warum haben Sie nicht weiter geschwiegen?
Paul Schulz: (lacht) Wenn Sie mein Temperament kennen würden, hätten Sie diese Frage nicht gestellt. (Wieder ernst) Ich bin jetzt in meiner dritten Lebensphase. In der ersten war ich ein evangelischer Pastor, der sehr ideell begeistert und sozial engagiert war, dann in der zweiten ein reiner Wirtschaftsmanager, der viele Illusionen verloren hat, und jetzt zähle ich eins und zwei zusammen und mache jetzt daraus drei – wie formuliert ein Mensch mit meinen Erfahrungen eine Ethik und Lebenssinn? Daraus entwickelten sich meine Überlegungen.
hpd: Wenn ich einmal zugrunde lege, dass Sie ein pragmatischer Mann sind – wie kommt man dann dazu, ein Buch über die Kraft des Atheismus zu schreiben? Das ist doch eher unpragmatisch.
Paul Schulz: Es ist ein zentraler Punkt meines inneren Prozesses. Meine Tätigkeit als Pastor habe ich mit einer atheistischen These beendet, dass – ganz im Sinne Feuerbachs – Gott eine Projektion, eine Erfindung des Menschen ist. Es war für mich ein theologischer Endpunkt, hinter den es kein Zurück gab, der aber damals nicht bis in die Welt zu Ende gedacht war, eben bis in die Säkularität, dass alles, was der Mensch tut und denkt – im Guten wie im Bösen – Produkte seiner selbst und seiner menschlichen Umgebung ist. Es gibt nur so viel Sinn, wie ich selber Sinn mache, und – um mit Jean-Paul Sartre zu reden –, es gibt kein ‚positives Telos'. Es gibt keine Erfüllung, die länger andauert. Nur was du jetzt tust, das gilt. Die Aussage: „Das Leben hat keinen Sinn", lässt manche Menschen verzweifeln und sich fragen: „Was soll denn das alles eigentlich?" Sie verstehen nicht, dass man das, was man als Sinn leben will, selber als Sinn bestimmen und verantworten muss.
hpd: Das heißt doch aber auch, dass Atheismus, wie Sie ihn verstehen, mit Religionskritik direkt nicht verbunden ist?
Paul Schulz: Gar nicht. Mein Atheismus ist über Religion hinaus gewachsen, braucht sie nicht mehr, weder als Begründung, noch als Gegner. Natürlich kritisiere ich Religion dort, wo sie als institutionalisierte Religion den Menschen hemmt, real sein Leben zu sehen. Aber wenn ein Mensch – als Fluchtpunkt seiner freien Entscheidung – Religion braucht, so soll man ihm das belassen. Atheismus ist in meiner Vorstellung in keiner Weise missionarisch. Wenn jemand Religion als Teil seiner Identität betrachtet, so ist und bleibt es sein Problem. Ich werde es nicht antasten.
hpd: Haben Sie den Eindruck, dass Sie sich verständlich machen können?
Paul Schulz: Ja. Seit mehr als zehn Jahren gibt es meine Seniorenakademie, mit Vorträgen und Diskussionen. Manche der Teilnehmer bleiben im Religiösen verhaftet, doch immer wieder erlebe ich die notwendigen Loslösungsprozesse, bis die Menschen sich befreit fühlen und sich als Atheisten von der Religion emanzipiert haben. Es läuft zwar immer im Kontra zur Kirche, aber nie als ein lautes Schlagen. Für mich ist Atheismus der Bewusstwerdungsprozess eines Menschen, der unterschiedliche Stufen haben kann und muss, und eines Tages zu dem Ergebnis führt: Jetzt bin ich durch, jetzt bin ich emanzipiert und frei. Das eigentliche Selbstbewusstsein ist für mich dann erreicht, wenn ich mich in allem von einem Gott getrennt und befreit habe. Diese Fragen stellen sich dann natürlich gerade auch auf den Tod hin. Es sind in meinem Umkreis viele Menschen, die ihre Ruhe darin gefunden haben, zu sagen, mit meinem Tod ist alles zu Ende, es ist für mich ein Endpunkt. Das ist kein lauter, kein leichter Weg. Atheist werden ist ein leiser Prozess.
hpd: Sie zählen sich nicht zu den „Neuen Atheisten", die eine explizite und grundsätzliche Religionskritik formulieren. Kann es sein, dass dieses Nicht-Kämpferische, Nicht-Missionarische, das Sie ja so deutlich vertreten, auch etwas mit Ihrem eigenen Alter zu tun hat? Dass Sie eher für Menschen wichtig sind, die etwas für sich selber klären und nicht mehr die Gesellschaft verändern wollen?
Paul Schulz: Nein, so sehe ich das nicht. Ich kann Positionen – wie die von Schmidt-Salomon – voll unterstützen, wenn es um die institutionalisierte Religion und ihre Verbrechen geht. Die Macht der Kirche ist zu zerstören. Das ist der Öffentlichkeitsbereich, die „res publica", dort muss gekämpft werden. Und wenn ich dafür allmählich zu alt werde, dann sollen die Jüngeren alle meine Unterstützung erfahren. Aber in der „res privata", dort ist der Einzelne und sind seine Entscheidungen zu respektieren.
hpd: Haben Sie für die Sendung am kommenden Dienstag eine Erwartung, wann Sie für sich sagen können: „Das war eine gute Sache". Wann wäre dieser öffentliche Auftritt für Sie ein Erfolg?
Paul Schulz: Mein Ziel ist klar. Es sollte deutlich werden, dass die Zuschauer nicht nur den Eindruck sondern auch das Bewusstsein bekommen haben, einem Atheisten kann man trauen in seinem Denken. Ein Atheist ist jemand, der die Welt versteht und der positive Antworten hat.
Es ist viel erreicht, wenn jemand erkennt: dem Mann kann ich vertrauen; seine Antworten sind ehrlich, der hat es eigentlich gar nicht nötig, sich dort zu platzieren, weil er dafür nichts bezahlt bekommt, wie ein Funktionär der Kirchen; und, der Mensch spricht aus der Trias seiner Lebenserfahrung heraus, nicht weil er A 13, 14 oder 15 oder noch höhere Gehälter dafür bekommt.
Die Kraft des Atheismus, das müsste rüberkommen.
Diese Kraft lässt sich in fünf Punkten definieren:
1. Atheismus ist aus demokratischem Denken entstanden. Damals, als Solon in Athen zum ersten Mal eine Demokratie entwickelte, schuf er damit gleichzeitig die Möglichkeit zur Freiheit des Denkens. Beides hängt geschichtlich eng zusammen: Die Befreiung und die Freiheit von adeligen und göttlichen Despoten. Atheismus ist immer demokratisch.
2. Atheismus ist immer verbunden mit dem Prinzip der Humanität. Die Humanitas, das von der Vernunft bestimmte Verständnis von Du und Ich, der Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Der Begriff „Humanitas" ist von dem großen heidnischen Denker Cicero geprägt worden und fasste schon damals das großartige ethische Bewusstsein der griechischen Philosophie zusammen - von Sokrates über Aristoteles über Epikur bis Epiktet - lange bevor es überhaupt ein Christentum gab.
3. Der Atheismus ist mit einem kontrollierten Hedonismus verbunden, mit Lebensfreude, also Freude am Leben: Mach etwas aus deinem Leben - für dich selbst und für die anderen.
4. Ganz wesentlich ist für den Atheismus das Einvernehmen mit der Natur. Der Mensch ist Natur, sonst nichts. Alle Lebensprozesse laufen naturgemäß ab und deshalb entspricht es auch dem evolutionären Entwicklungsprinzip des Entstehens und Vergehens.
5. Ein Atheist versteht sich im Letzten einvernehmlich mit seinem Tod, dem Schlusspunkt des Lebens. Bis dahin hat der Mensch alle Möglichkeiten des Lebens. Und wenn es dann zum Ende kommt, dann ist auch wirklich Ende.
Gelänge es, diese fünf Punkte deutlich werden zu lassen, was ich vorhabe, dann wäre für den Atheismus als inhaltlicher Wert für mich viel erreicht. Die Menschen sollen an diesem Abend keine Kirchenhasser sondern Atheismusfreunde werden.
hpd: Herr Dr. Schulz, ich bedanke mich für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Carsten Frerk.
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„Menschen bei Maischberger",
ARD - Sendung am 19.6. 2007 (Dienstag), 22:45 -0:00 Uhr.
Thema: „Aufstand der Ungläubigen: Keine Macht für Gott!"
Teilnehmer: Dr. Paul Schulz (Philosoph, Atheist), Witta Pohl (Schauspielerin, „Pakt mit Gott"), Dr. Gebhard Fürst (Bischof von Rottenburg-Stuttgart), Dr. Michael Schmidt-Salomon (Philosoph, Atheist), Gabriele Kuby (Konvertierte zum Katholizismus), Asiye Köhler (Muslima, Mitglied im Zentralrat der Muslime).