Der 14. Dalai Lama hielt im Tennis-Court am Rothenbaum in Hamburg
einen öffentlichen Vortrag zum Thema „Mitgefühl in der globalisierten Welt".
HAMBURG. Mit einer bemerkenswerten medialen Unterstützung war Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, in der Hansestadt angekommen. Nicht nur das Magazin Der Spiegel hatte dem Menschen und dem tibetischen Buddhismus eine Titelgeschichte gewidmet („Ein Gott zum Anfassen"), auch der Fernsehsender Hamburg1 hatte umgehend die sympathische Botschaft „Seiner Heiligkeit" verbreitet: „Be Happy".
Auch für Nicht-Buddhisten war der öffentliche Vortrag am Sonntag im Tennis-Court am Rothenbaum vorgesehen, eine Arena, die für eine Woche in eine Art Tempel umgebaut wurde. Auf der Balustrade zum Eingangsbereich waren große gold aussehende religiöse Symbole aufgestellt und die Sicherheitsleute gaben Anweisungen: „Benutzen Sie auch die rechten Eingänge!" Es regnete und im zusätzlichen Schatten der großen Regenschirme blubberte das blaue Licht der Scanner bei der „Ticketkontrolle!" auf grün.
Vor dem Tennis-Court-Tempel verbreiteten große weiße Zelte die Atmosphäre einer Karawanserei. Neben dem indischen Restaurant „Shamilar" konnte der Besucher auch andere Bistros besuchen oder sich über die diversen Angebote des Tibetanischen Zentrums Hamburg e.V. informieren. In einem anderen Zelt werden „Live-Mitschnitte" von allen Veranstaltungen „unmittelbar nach dem Ende" angepriesen. „Gäste und Gönner" bitte in den „VIP"-Bereich, in dem die Speisen nicht auf Papptellern und in Selbstbedienung in Empfang genommen werden brauchten, sondern auf gedeckten Tischen serviert wurden.
Das Publikum des ausverkauften Vortrages ist überwiegend im Altersbereich zwischen 25 bis 40 Jahren, bemerkenswert viele Männer und Paare. Eine insgesamt freundliche Atmosphäre auf den Plätzen, man kommt leicht und interessiert ins Gespräch. Nach den Auto-Kennzeichen waren die Zuhörer aus allen großen Städten Deutschlands gekommen, bis hinunter nach Köln, Frankfurt und Tübingen. Auch Niederländer und mehrere Fahrzeuge mit Schweizer Kennzeichen (Lausanne) stehen auf den umgebenden Parkmöglichkeiten.
Der Boden des überdachten Tennis-Platzes ist mit intensiv blauem Teppichboden bedeckt, darauf Reihen mit blauen Plastik-Klappstühlen. An der ‚Stirnseite' eine hohe breite Plattform, eher offene Bühne, mit ebenfalls blauem Teppichboden und an der Verkleidung und im Hintergrund mit roten und goldgelben Stoffbahnen und Dekorationen bedeckt. Auf der Bühne zwei Stühle, ein breiter Sessel, dahinter - mit seitlicher Treppe -, der rot-goldene Thron des „Gottkönigs". Rechts und links zwei überdimensionale Monitore. Eine bemerkenswerte Kombination aus altem Kult und modernster Technik.
Anhänger haben für alles Verständnis
Gespräche und Fragen, Antworten: „Seine manchmal etwas eigenartig klingenden Scherze sind die bewusste Übernahme der ‚Slogans der Zeit' - er will uns damit einen Spiegel vorhalten." „Er ist für mich die Projektionsfläche, so dass ich mehr zu mir finde." „ Er ist die gelebte Nächstenliebe." Viele tragen rote Halsbänder „Dalai in Hamburg 2007" an denen ihre Mehrtagesdauerkarten befestigt sind, das Erkennungszeichen der ‚Buddhisten'.
Moderation: „Wollen Sie sich jetzt bitte erheben! Wir erwarten in wenigen Minuten Seine Heiligkeit." Alle Zuhörer stehen auf, warten, blicken sich um - Woher kommt er? -, dann öffnet sich der Bühnenhintergrund und Klatschen brandet auf. Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, lächelt, geht mit ständigen Verbeugungen auf der Bühne herum und setzt sich dann im ‚Schneidersitz' in den breiten Clubsessel. Der hoch aufragende Thron hinter ihm bleibt leer. Rund zwanzig männliche und weibliche Leibwächter postieren sich auf, vor, neben und über der Bühne.
Nach der Begrüßung durch seinen deutschen Übersetzer trägt Tenzin Gyatso in einfachem Englisch seine Gedanken vor, sie werden auf Deutsch wiederholt, dann geht es auf Englisch weiter, und so weiter.
Welche Ziele hat der „Dalai Lama" (der „Ozean der Weisheit")? Sie sind kurz benannt: 1. Menschliche Werte wie Mitgefühl und Toleranz zu befördern, 2. die Harmonie unter den Religionen zu fördern, und 3. eine Lösung des Tibet-Problems herbeizuführen. Der Moderator betont seinen Respekt, dass bei allen Problemen der Welt durch den „Dalai Lama" die menschlichen Werte hoch gehalten werden und er auf seinem Weg der Gewaltlosigkeit so unerschütterlich sei. (Beifallklatschen)
„Happiness!"
Was sagt er selbst? „Das Glück hängt von unserem inneren Frieden ab. Ob es persönlich ist, ob in der Familie oder in der Gesellschaft - die gesamte Zukunft der Menschheit hängt vom inneren Frieden ab. Und dieser innere Frieden kommt aus einem guten Herzen. Deshalb ist es wichtig, über diese grundsätzlichen menschlichen Qualitäten zu sprechen und sich derer bewusst zu werden. Dieses gute Herz muss individuell entstehen, es kann nicht verordnet werden, von Regierungen oder Gesetzen.
Durch die Bewusstheit, dass wir die Wertigkeit des Mitgefühls und anderer Werte anerkennen, kommt die Bewusstheit darüber fast wie etwas Automatisches, wie etwas Natürliches. Letztlich liegen die Kraft und das Vertrauen in uns selbst. Wenn wir innere Werte entwickeln, dann entsteht Toleranz, Vergebung, die Werte, die wir möchten, fast wie automatisch."
„Institutionen und auch der Dalai Lama kommen und gehen. Sie kommen und gehen nach dem Wert, den sie für die Menschen haben. Der buddhistische Kultur Tibets ist schon sehr alt, aber der Dalai Lama wurde erst vor vierhundert Jahren ins Leben gerufen und seit dreihundert Jahren ist der Dalai Lama auch das Staatsoberhaupt. Ich werde mich jedoch heute nicht zu Tibet äußern, auch nicht zur Religion, sondern zu menschlichen Werten. Sie sind für mich ein Zeichen der Stärke. Gewalt ist für mich ein Zeichen der Schwäche."
„Glück ist möglich"
„Was ist der Sinn des Lebens? Wie können wir angenehme Empfindungen erreichen, Wohlbefinden? Darum geht es und primär in unserem Leben. Wichtig dafür ist, dass wir eine optimistische Haltung haben, dass wir die Hoffnung haben, Glück ist möglich. Diese Haltung allein führt zu einer Frische und Lebendigkeit in uns, die sich auch auf den Körper auswirkt und zum Beispiel zu einem langen Leben beiträgt."
„Wir schauen in die Zukunft und müssen sie selbst gestalten, sie ist nicht festgelegt. Und dafür haben wir als wichtigstes Element in uns, dass eine positive Hoffnung möglich ist. Der Sinn unseres Lebens ist es, Glück zu erreichen. Jedes Wesen, jeder Mensch hat das gleiche Recht, dieses Glück zu erreichen."
Er unterbricht und fragt, wer zum ersten Mal als Zuhörer dabei sei? Die sollen die Hand heben, damit er sich nicht vom Vormittag wiederhole und langweile. Etwa die Hälfte der Zuhörer hebt die Hand und er hat die Lacher wieder auf seiner Seite. „Er ist so natürlich!" Wenn er im Englischen nicht weiter weiß (was selten vorkommt) fragt er seinen Begleiter und mit seinem „Ah? Oh!" zieht er wieder den Beifall zu sich. Anscheinend erkennen viele der Zuhörer sich selbst in ihm.
Er streift in seinem Vortrag alle Themen der letzten Jahre, sei es den 11. September oder sei es den Irak-Krieg, den er missbilligt - aber Präsident Bush sei ein umgänglicher Mann, den er schätze.
Während der deutschen Übersetzung bleibt Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, bei sich. Er kratzt sich am Kopf, an den Armen, grient und winkt ins Publikum, zieht sich die Stoffbahnen seines Umhangs herunter und ordnet sie neu, wirft die über die linke Schulter, packt seine Sonnenbrille aus,... die Befragten erleben es als „Natürlichkeit" und „Ehrlichkeit".
Der religiös begründete Terrorismus? Das sind immer nur Einzelne, seien es Muslime, Christen oder Hindus. Deshalb dürfe man nicht den Islam insgesamt oder das Christentum als militant beurteilen. (Beifall) Und: „Wenn wir die Atmosphäre verbessern können, dann werden wir auch die Zahl der Menschen, die Übles wollen, verringern."
Es ist alles so nett, so freundlich, so „menschlich" - aber es sind immer auch die Fragen: „Wovon redet der Mensch? Wie und wo lebt der Mann? In welcher Realität denkt er?" Wenn ein normaler Sterblicher dort gesessen hätte, wäre das Ergebnis gewesen: „Ja, nun ist gut. Und: Was nun?"
Schließlich, nach ausführlichem Lob für Europa und der Aufforderung, dass Deutschland sich einmischen solle, der Schluss-Appell: „Meine Hoffnung ist, dass die Tibeter sich um moderne Bildung bemühen und dazu muss das Studium des Buddhismus kommen, denn der Buddhismus besteht nicht nur darin, Gebetsketten oder Gebetsmühlen zu drehen oder Gebetsfahnen aufzuhängen, die Struktur des Buddhismus benötigt unsere Intelligenz. Also lassen Sie uns unsere Intelligenz entwickeln und dann zu Überzeugungen kommen, mit denen wir unsere Emotionen transformieren. Dafür muss man den Buddhismus studieren."
Publikumsfragen
„Was macht eine gewaltfreie Person, wenn sie Massenvernichtung gegenübersteht?"
Antwort: „Zuerst muss man klären, dass der Unterschied zwischen Gewaltlosigkeit und Gewalt nicht das Verhalten ist, sondern die Einstellung. Wenn also jemand formal freundlich ist, den anderen damit aber verletzen will, dann ist es Gewalt. Wenn also Ungerechtigkeiten geschehen, dann sollen wir jede Option nutzen, evtl. auch Formen der Gewalt, wenn wir inhaltlich das Gute bezwecken."
(Das erinnert unvermittelt an das biblische „Wer sein Kind liebt, der züchtigt es.")
„Ist Meditation ein gutes Mittel gegen Umweltverschmutzung?"
Antwort: Frage ans Publikum „Was meinen Sie?" (Beifall und Lachen), dann: „Ich glaube nicht, dass es viel Wirkungskraft hat." Wie pragmatisch.
Harmonie der Religionen
Und nun? Zurück zu Punkt 2: „Wir beschließen diesen Tag durch eine interreligiöse Begegnung von fünf Jugendlichen aus Hamburg, erfahren im interreligiösen Dialog. Ja, es gibt Differenzen, aber es ist frappierend zu sehen, wie viel Gemeinsames zwischen den Menschen verschiedener Religionen vorliegt."
Das war es dann. Ein multikulturelles christlich - jüdisches - muslimisches - hinduistisches - buddhistisches Gotteslob stand nicht auf dem Programm. Es ist jedoch ein konsequenter Schluss, mit dem alle netten Freundlichkeiten ein besserer Mensch werden zu sollen, in einem religiösen Binnenkonsens zusammengebunden und überhöht werden.
Stimmen der Besucher
„Der Buddhismus ist eine Religion ohne Gott!" „Wieso wird dann dieser Mensch ‚Gottkönig' genannt und mit ‚Eure Heiligkeit' angesprochen?" „Er würde zusammenbrechen, wenn er wüsste und verstehen würde, dass er so bezeichnet wird. Denn er will eigentlich nichts anderes sein, als ein einfacher Mönch." Soll man Lachen oder Weinen?
Am Ausgang werden von jungen buddhistischen Mönchen Postkarten mit einer deutschen und einer englischen Seite verteilt: „Vorankündigung. Unterweisungen Seiner Heiligkeit des XIV. Dalai Lama: Leben und Sterben aus der Sicht des Buddha." 28. Juli bis 2. August 2009. Der Dalai Lama 2009 Frankfurt a.M."
CF