„Humanismus und Naturalismus passen zusammen“

NÜRNBERG (hpd) Inwieweit sind Naturalismus und Humanismus miteinander kompatibel – dieser Frage widmete sich im Juni 2008 eine Tagung in Nürnberg. Nun liegen die Ergebnisse in einem Sammelband vor, der in der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Bayern erschienen ist. hpd sprach mit Herausgeber Helmut Fink.

Passen sie denn nun zusammen, Humanismus und Naturalismus, oder hat Julian Nida-Rümelin recht, der im „harten Naturalismus“ einen theoretischen Gegner des Humanismus sieht?

Helmut Fink: Humanismus und Naturalismus passen hervorragend zusammen, sie ergänzen einander perfekt: Ein konsequenter Humanismus geht vom Menschen aus und verzichtet auf übernatürliche Behauptungen. Das führt auf innerweltliche Erklärbarkeit als Kern des Naturalismus. Und umgekehrt lässt der Naturalismus als erkenntnistheoretische und weltanschauliche Grundeinstellung Fragen nach Wertentscheidungen offen, insbesondere im Bereich der Ethik und der Lebenseinstellung. Hier kann der Humanismus Antworten geben.
Die Kritik von Julian Nida-Rümelin bezieht sich vor allem auf die Rolle von Gründen im Selbstverständnis des Menschen. Da muss man verschiedene Beschreibungsebenen auseinander halten: (Mentale) Gründe sind keine (neuronalen) Ursachen und können auch nicht durch sie ersetzt werden. Julian Nida-Rümelin hat durchaus recht, wenn er sich gegen einen solchen naiven Reduktionismus wendet. Aber man kann eben auch umgekehrt das lückenlose Ursachengeflecht der Natur (vom Quantenzufall hier abgesehen) nicht an bestimmten Stellen durchlöchern, die Löcher mit Gründen stopfen, und das ganze als theoretischen Humanismus verkaufen. Da hätte ich dann doch ein paar kritische Rückfragen an den methodisch geschulten Philosophen Nida-Rümelin...

Was genau ist unter einem „wissenschaftlichen Menschenbild“ zu verstehen? Hat sich der „alte“ Humanismus nicht auch bemüht, den Menschen mit Hilfe der Wissenschaften zu ergründen?

Helmut Fink: Sicherlich war der aufklärerische Anspruch des Humanismus von Anfang an auf das Engste mit der Freiheit und dem Fortschritt der Wissenschaften verbunden. Aber die Bildungs- und Erziehungsziele des „alten“ Humanismus sind doch oft eher geisteswissenschaftlich-literarisch geprägt gewesen. Dass die Naturwissenschaften – von der Evolutions- und Soziobiologie über die Wahrnehmungsforschung bis zu den Neurowissenschaften – auch etwas Wichtiges über den Menschen zu sagen haben, über seine Anlagen, Fähigkeiten und Bedürfnisse, wurde dabei allzu oft vernachlässigt. Dies als Erkenntnis ernstzunehmen und nicht etwa als bloßes „Verfügungswissen“ abzutun – und auch die empirisch-rational rückgekoppelte Denkweise der Realwissenschaften als Bildungsziel aus eigenem Recht zu verstehen und nicht als bloße Vorstufe zur Technik – das alles begründet ein Menschenbild, das wissenschaftsbasiert und wissenschaftsorientiert ist, oder kurz: ein „wissenschaftliches Menschenbild“.

Welcher theoretische Fortschritt kann darin gesehen werden und welche praktischen Vorteile bringt das?

Beispielbild
Helmut Fink in Nürnberg, 2008
Helmut Fink: Der theoretische Fortschritt ist klar – er liegt in einer Vereinheitlichung unseres Wissens von der Welt. Wir sehen nicht mehr hier die Natur und dort den Menschen, sondern wir sehen den Menschen als Teil der Natur. Vereinheitlichung heißt aber nicht Nivellierung: Natürlich hat der Mensch Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihn gegenüber anderen Lebewesen kennzeichnen und auszeichnen. Die „evolutionäre Wende“ des 19. Jahrhunderts hat uns Menschen in ein Geschehen integriert, das viel älter und größer ist als wir selbst. Das ist eine wissenschaftliche Erkenntnis mit weltanschaulichem Mehrwert. Ob das praktische Vorteile bringt, weiß ich nicht. Ich bin Theoretiker. Ich will wissen, was ist. Auch dann, wenn es mir keine Vorteile bringt außer dem Gefühl, ein wenig hinter die Kulissen des Welttheaters zu blicken. Einstein soll einmal gesagt haben: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“. Das leuchtet mir ein, schon aus Gründen der Denkökonomie.

An welche Traditionen schließt sich der Neue Humanismus an?

Helmut Fink: Der neue Humanismus baut auf dem alten Humanismus auf, akzentuiert ihn aber anders und integriert den Erkenntnisfortschritt der modernen Wissenschaften. Insofern bleiben die Traditionen der Aufklärung und der Rationalität weiterhin prägend. Gerade im Bereich der Ethik und der Vorstellungen vom guten Leben scheinen manche Ideen ziemlich zeitlos zu sein. Da wirken Klassiker der Antike nach, auch im neuen Humanismus. Im Band ist etwa ein Beitrag über Epikur (vom Erlanger Philosophen Theo Ebert), da hat man gar nicht den Eindruck verstaubter Spekulation, sondern eher das Gefühl dauerhafter Weisheit. Ein anderer Beitrag (von Bernulf Kanitscheider) widmet sich dem Hedonismus, der Lehre von der Freude, und auch da sehen wir die „alten“ Griechen im „neuen“ Humanismus am Werk. – Übrigens bin ich gar nicht sicher, ob das Schlagwort vom „neuen Humanismus“ lange Bestand hat. Aber es geht ja um den Inhalt und nicht ums Etikett.

Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit Religion und Humanismus aus evolutionärer Perspektive – wer hat hier letztlich die besseren Karten?

Helmut Fink: Das sind die Beiträge von Gerhard Schurz und von Eckart Voland. Beide sehr lesenswert, wer von beiden die besseren Karten hat, will ich nicht entscheiden... – o.k., gemeint war wohl, ob Religion oder Humanismus evolutionär erfolgreicher ist. Da kann ich nur sagen: Warten wir’s ab. Die Evolution geht ja weiter, hoffentlich auch die kulturelle Evolution. „Religion“ ist ein Sammelbegriff, schwer zu definieren, mit historisch unterschiedlichen Ausprägungen. Seit einigen Jahren wird verstärkt erforscht und debattiert, ob Religiosität eine Anlage des Menschen mit eigenem evolutionärem Vorteil ist, also „adaptiv“, oder ob ihre Bestandteile wie Autoritätshörigkeit und Geistzuschreibungen anderweitig nützlich und die Religion quasi nur eine Nebenwirkung ist. Es fällt jedenfalls auf (und Ungläubigen fällt das besonders auf), dass Religionen fast überall verbreitet waren und sind. Ich glaube daher auch nicht, dass Humanisten gut beraten sind, wenn sie immer alles anders machen wollen als die (bisher zahlenmäßig erfolgreicheren) Religionen. Bestimmte Elemente der Gemeinschaftsstiftung bekommen sicher auch dem Humanismus gut. Wenn es kulturell gelänge, Wunderglauben, Erlösungsphantasien, Unsterblichkeitshoffnungen und Jenseitsvorstellungen – also den Transzendenzbezug – loszuwerden, wäre schon viel gewonnen.

Das Christentum reklamiert für sich aber auch, dass eine Ethik ohne religiöse Rückbindung nicht funktionieren könne (Stichwort: „ohne Gott ist alles erlaubt“). Was hat der neue Humanismus hier entgegenzusetzen, wenn er den Menschen in die Natur zurückholt?

Helmut Fink: Da muss man zunächst einmal darauf hinweisen, dass das ja einfach nicht stimmt. Das ist wirklich eine ärgerliche Unterstellung von manchen Christen (so denken ja nur manche, viele gebildete und tolerante Christen wissen längst, dass das Quatsch ist). Das hieße ja, dass die Atheisten entweder schlechte Menschen sind oder aber Moralschmarotzer des Christentums. Dem muss man wirklich öffentlich entgegentreten, das ist diffamierend, und dafür braucht’s noch gar keinen neuen Humanismus. Was der neue Humanismus aber beitragen kann, ist der Hinweis auf die natürlichen Anlagen zur Kooperation und zur Einfühlung beim Menschen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, schon von Natur aus, und nicht etwa ein arglistiges Raubtier, das erst durch Religion gezähmt werden müsste. Übrigens ist die Vorstellung vom Christentum als Erfinder der Moral noch in anderer Hinsicht neben der Wirklichkeit: Wenn das wahr wäre, müsste es ja überall dort moralischer zugegangen sein, wo das Christentum geherrscht hat, und je totaler es geherrscht hat, desto höher hätten die ethischen Standards sein müssen. Wenn das jemand glaubt... da möchte man die Glocke läuten – aber nicht zum Gottesdienst, sondern zum Aufwachen!


Wird sich der Neue Humanismus eine soziale Basis verschaffen können oder wird er eine Gedankenübung für Intellektuelle bleiben?

Helmut Fink: Der neue Humanismus ist ein Impuls im weltanschaulichen Bereich, ein Beitrag zur theoretischen Fundierung des säkularen Humanismus. Er ist keine soziale Bewegung. Aber auch Weltanschauungen haben Auswirkungen. Menschen denken nach, stellen Fragen, bilden sich ihre Meinung, glauben dies und das einfach nicht mehr. Die „soziale Basis“ für kritisches Denken ist in unserem Land längst vorhanden. Nun müssen die nichtreligiösen weltanschaulichen Anbieter ihre Alternativen ausarbeiten, nicht damit ihnen die Leute nachlaufen, sondern damit die Optionen auf dem Tisch liegen und zur Wahl stehen und auch gegenseitig kritisiert werden können. Zwei der Beiträge im Band sind sehr kritisch (von Winfried Löffler und Armin Pfahl-Traughber), das ist gut, das ist Normalität in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft. Die säkulare Szene mit ihren recht unterschiedlichen Organisationen und Organisatiönchen braucht Ideenformung („Gedankenübung“ klingt mir zu abwertend) zur eigenen Identitätsfindung, aber sie muss auch wissenschaftlich gebildet und weltanschaulich dialogfähig nach außen auftreten. Kürzlich hat die Thomas-Morus-Akademie, eine katholische Bildungsstätte im Rheinland, schon das Thema „neuer Humanismus“ aufgegriffen. Klarerweise vertritt man dort andere Auffassungen, aber das heißt doch nur, dass jede Seite ihre Weltanschauung ernstnimmt. So soll es sein. Und Bücher helfen dabei. Bücher bilden Menschen – in diesem Punkt bin ich (das habe ich aus dem Beitrag von Franz Josef Wetz gelernt) wohl eher ein alter als ein neuer Humanist.


Die Fragen stellte Martin Bauer.

Helmut Fink (Hrsg.): Neuer Humanismus. Wissenschaftliches Menschenbild und säkulare Ethik. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Bayern, Band 4. 218 Seiten, kartoniert, Euro 18.-, ISBN 978-3-86569-059-8

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.