Staatliche Sicherung kirchlicher Privilegien

STUTTGART. (hpd) In den kommenden Sitzungswochen des Landtages von Baden-Württemberg soll der vor wenigen Monaten

vom Ministerpräsidenten Oettinger sowie den beiden Evangelischen Landesbischöfen Fischer und July bereits unterschriebene „Kirchenvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und den Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg“ parlamentarisch beraten und beschlossen werden. Doch die Sache ist schon jetzt völlig klar – um nicht zu sagen abgekartet.

Das Stuttgarter Kultusministerium hat vorher alle Formalien ordentlich abgearbeitet, damit das Parlament den Vertrag durchwinken kann, wenn es das will. Dazu gehörte, sich an im Land vorhandene „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ zu wenden, was sie zu Staatsverträgen dieser Art zu sagen haben. Deshalb wandte es sich noch schnell auch an „Die Humanisten Württemberg, K.d.ö.R, Freireligiöse Landesgemeinde“ in Stuttgart. Das ist ein seit 1845 bestehender Interessensverband religionsfreier Menschen und eine staatlich anerkannte und geförderte Weltanschauungsgemeinschaft.

„Die Humanisten“ analysieren Staatskirchenvertrag

Die Kultusbehörde bekam eine profunde Studie zurück, eine ausführliche und professionelle „Stellungnahme des Verbandes ... zum Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg“ mit dem Tenor: Der Staatskirchenvertrag schadet dem Land.
Wörtlich hält diese Analyse bereits eingangs fest, dass dieser Vertrag dem Grundgesetz Art. 140 und dem dort inkorporierten Art. 138 (1) Weimarer Reichsverfassung entgegenläuft, der die Abschaffung der auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Privilegien, wie sie in Konkordaten oder Staatsverträgen mit den beiden großen christlichen Kirchen bestehen, gebietet. Nicht „nur, dass das Land mit den beiden Evangelischen Landeskirchen (und wie bereits angekündigt aus Paritätsgründen auch mit den beiden Katholischen [Erz-]Diözesen im Lande) ein neues Vertragswerk begründet, in dem die gemäß unserer Verfassung eigentlich abzulösenden Privilegien der großen christlichen Kirchen festgeschrieben werden. Diese werden sogar noch ausgebaut.“

Um ihre Haltung öffentlich zu machen, übergaben heute „Die Humanisten Württemberg“ ihre „Stellungnahme“ – mit einer Presseerklärung (PDF im Anhang) – der Presse, verbunden mit einer umfänglichen Kritik der vorliegenden Vereinbarung zwischen Land und Kirchen. Sie warnen hier (unter Pressemitteilungen) vor verfassungsrechtlichen wie finanziellen Risiken für Baden-Württemberg.

„Die Humanisten“ zerpflücken das Vertragswerk gründlich. Parlamentarier des Landes Baden-Württemberg können nun nicht mehr sagen, das alles hätten sie nicht gewusst, als sie ihr Land – und damit die Steuerzahler, eingeschlossen die sonst eher sparsamen und rechenkünstlerisch begabten Schwaben – sozusagen auf „Ewigkeit“ an immer höhere Ausgaben banden – denn die faktische Unkündbarkeit dieses Vertrages steht in seinem Text.
Der Staatskirchenvertrag, so „Die Humanisten“, verstößt deshalb nicht nur gegen das Gleichbehandlungsgebot, sondern gegen die guten Sitten. Die Formulierungen (z.B.) in Artikel 3 (Theologische Lehrstühle) bedeuten eine institutionelle und finanzielle „Lebensversicherung“ für ein Fach, in dem nach Auskunft des „Statistischen Bundesamtes“ „die Zahl der Studienanfänger ... seit Jahren tendenziell rückläufig“ ist. Statt zu sparen bekommt die staatliche Ausbildung kirchlicher Prediger eine „angemessene“ Vertretung der fünf theologischen Kernfächer sowie eine darüber hinausgehende Schwerpunkt- und Profilbildung.

Durch die legislative Hintertür wird im vorliegenden Staatsvertrag zudem in Artikel 6 der Versuch unternommen, die schon seit langem strittige, dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität widersprechende und der soziokulturellen Zusammensetzung der Schülerschaft keineswegs mehr entsprechende Erziehung der Jugend in den Schulen „in der Ehrfurcht vor Gott und im Geiste der christlichen Nächstenliebe“ fortzuschreiben.
In Rundfunk-Sachen werden der evangelischen Kirche nicht nur „angemessene Sendezeiten“ garantiert, sondern eine besondere Achtung der „sittlichen und religiösen Überzeugungen der evangelischen Bevölkerung“, der eine „angemessene“ Darstellung des Lebens der Kirchen in den Sendungen sowie eine „angemessene“ Vertretung in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen soll.
Ähnliche kostspielige Hilfeleistungen durch den Staat gibt es für kirchliche Gebäude, bei den Baulasten und in der Denkmalpflege, von der Verwaltung der Kirchensteuern und Rechts-, Amts- und Vollstreckungshilfe einmal ganz abgesehen.

HVD unterstützt Humanisten in Baden-Württemberg

Die bundespolitische Bedeutung dieses Vorgangs steht außer Frage. Deshalb unterstützt der „Humanistische Verband Deutschlands“ den befreundeten Verband in dessen Kritik des geplanten Staatskirchenvertrages in Baden-Württemberg und fordert „Pluralismus statt Privilegien“. Der Bundesvorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Dr. Horst Groschopp, erklärte heute dazu der Presse (PDF im Anhang):

„Wieder einmal haben wir es mit einem eklatanten Fall von einseitiger Privilegierung der Kirchen durch den Staat zu tun. Dabei gibt es in Deutschland keine Staatskirche mehr. Baden-Württemberg ist allerdings nicht das erste Bundesland, das mit einem derartigen Vertrag die staatlichen Subventionen für die beiden Kirchen in Deutschland für eine unbegrenzte Zeit beschließt und den Kirchen so gestattet, beharrlich ins Portemonnaie des Staates zu greifen.
Die Erhöhung der staatlichen Zahlungen für Pfarrer und für Religionslehrer, die dauerhafte Festschreibung theologischer Fakultäten trotz Senkung des Bedarfs und viele andere Leistungen des Landes Baden-Württemberg für die evangelischen Kirchen, deren Mitgliederzahlen – wie im Bundestrend – seit Jahren stark rückläufig sind, werden festgeschrieben. Besonders problematisch ist, dass die Kirchen selbst sich in dem sehr einseitigen Vertragswerk zu nichts verpflichten müssen, ja dass die Vereinbarung nicht einmal kündbar ist.
Der Humanistische Verband fordert bereits seit Jahren, die einseitige Bevorzugung der großen christlichen Kirchen in Konkordaten oder Staatsverträgen endlich abzuschaffen. Da dies leider nicht zu erwarten ist, trotz klarer Festlegungen im Grundgesetz, fordert der HVD, gleiche Verträge auch mit anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften abzuschließen und so das Gleichbehandlungsgebot umzusetzen.“

Gebot der Gleichbehandlung

Historisch mag ja viel für solche Staatskirchenverträge gesprochen haben, um die Kirchen in ihren Ansprüchen zu zügeln und um z.B. den Religionsunterricht durch seine Verstaatlichung der kirchlichen Willkür zu entziehen und um die Religionsfreiheit auf der Basis der institutionellen Trennung von Staat und Religion zu garantieren und den Kirchen sogar – was sie so und in Baden-Württemberg schon gar nicht nötig hatten – einen gewissen Schutz vor staatlichen Übergriffen zu bieten.
In der heutigen Bundesrepublik jedoch mit den im Grundgesetz festgeschriebenen maximalen justiziablen Verfassungsgarantien für die Religionsgemeinschaften, die in vielen Fällen noch dazu über die Freiheitsgarantie hinaus einen privilegierten Status als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ genießen, bedarf es – wie „Die Humanisten“ feststellen – nur kaum oder ausnahmsweise des Abschlusses von Vereinbarungen.
So „stellt ein solcher Vertrag regelmäßig eine unverhältnismäßige Privilegierung dar, was andererseits eine Diskriminierung kleinerer Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften bedeutet, mit denen der Staat keinen Vertrag abschließt. Doch Aufgabe des demokratischen Staates ist es gerade Minderheitenrechte zu schützen, anstatt Privilegien zu untermauern.“

Generell setzen „Die Humanisten“ – wie auch der HVD, siehe oben – darauf, dass die im hier vorliegenden Staatskirchenvertrag in Artikel 25 sowie im Schlussprotokoll zu Artikel 25 im einzelnen aufgeführten Verpflichtungen des Landes zu wiederkehrenden Leistungen und ihre zukünftigen, hier ebenfalls detailliert beschriebenen Anpassungen in Art und Höhe, auch für die pauschalisierten Staatsleistungen an ihren Verband gemäß der bisherigen Regelung und Praxis Geltung gewinnt: Was den Kirchen Recht ist – ist den Humanisten billig.


GG