Verfassungsbeschwerde: Kirchenaustrittsgesetz

KÖLN. (hpd) Eine Gebühr von 30 Euro hatte der Beschwerdeführer zu entrichten, bevor er beim Amtsgericht

Köln seinen Kirchenaustritt erklären konnte. Das hält er für verfassungswidrig: Der Kirchenaustritt werde ihm unverhältnismäßig erschwert; das verstoße gegen sein Grundrecht auf Religionsfreiheit (Artikel 4 GG).

 

Er forderte die Rückzahlung der Gebühr. Zunächst auf dem Rechtsweg: Er legte „Erinnerung" ein. Ausführlich begründete er, warum er die Gebühr - sowie weitere Erschwerungen des Kirchenaustritts - für verfassungswidrig hält.

Die Erinnerung wurde zurückgewiesen. Die Gebühr von 30 Euro entspreche geltendem Recht. Verfassungsrechtliche Bedenken seien „im Erinnerungsverfahren unbeachtlich", so die Rechtsansicht/ des Amtsgerichts Köln.

Am 1. November 2007 wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt (Aktenzeichen 1 BvR 3006/07). Begründet wird sie vor allem mit Artikel 4 GG: Der Beschwerdeführer werde in seiner Religionsfreiheit verletzt. Die Ausübung des Rechts, jederzeit aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten, dürfe weder durch Kosten noch durch Formalien erschwert werden. Das Kirchenaustrittsgesetz von NRW sei deshalb „insgesamt verfassungswidrig und damit nichtig".

Willkürliche Bestimmungen

Beanstandet wird § 3 des Kirchenaustrittsgesetzes - er verlangt öffentliche Beurkundung, persönliches Erscheinen und zusätzliche Formalien wie z. B. das Familienbuch. Ebenso beanstandet werden Vorschriften, die durch eine Gesetzesänderung vom 13. Juni 2006 neu hinzugekommen sind - sie verlangen eine Gebühr von 30,00 € sowie die Vorauszahlung dieser Gebühr. Jede einzelne dieser Voraussetzungen, heißt es in der Verfassungsbeschwerde, sei „willkürlich und daher als Verstoß gegen Art. 2, 3, 4, 20 GG nichtig."

Mit der staatlichen Erhebung der Kirchensteuer könne die Formstrenge des Kirchenaustritts nicht begründet werden. Artikel 4 GG gewähre die Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt, und die staatliche Mitwirkung an der Kirchensteuererhebung sei von der Verfassung nicht geschützt. Abgesehen davon würden die Kosten des staatlichen Kirchensteuereinzugs von den Kirchen vergütet und seien damit bereits abgegolten.

Gleichheitsgrundsatz wird verletzt

Der Gleichheitsgrundsatz von Artikel 3 GG wird ebenfalls zur Begründung der Verfassungsbeschwerde herangezogen. Es gebe keinen Grund, den Austritt aus öffentlich-rechtlich organisierten Kirchen strenger auszugestalten als den Austritt aus anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts, oder aus Vereinen. Im privatrechtlichen Bereich müsse für einen Austritt die einfache Schriftform genügen; nicht einmal ein Einschreiben könne hierzu vom Verein verlangt werden. Das habe der Bundesgerichtshof festgeschrieben, damit die Freiwilligkeit von Mitgliedschaft nicht durch Formvorschriften ausgehöhlt werden könne. Im Schutzbereich der Religionsfreiheit müssten Erschwerungen des Austritts eher noch strengere Grenzen gezogen werden.

Kostenloser Eintritt, kostenpflichtiger Austritt

Beanstandet wird ferner die Ungleichbehandlung von Eintritt und Austritt: Der Eintritt in eine Kirche erfolge weitgehend formlos, liege in kirchlicher Hand und sei gebührenfrei - es sei nicht einzusehen, warum für den Austritt strengere Formvorschriften gelten und Gebühren erhoben werden sollten, und warum dafür der Staat zuständig sein sollte.

„Die Einführung einer Gebühr für den Kirchenaustritt verfolgt augenscheinlich ein verfassungswidriges Motiv, nämlich die Erschwerung des Austritts", hatte der Beschwerdeführer in seiner Erinnerung bemerkt. Er hatte Kirchenvertreter zitiert, die ausdrücklich begrüßt hatten, dass mit Einführung der Austrittsgebühr der Austritt erschwert und der Mitgliederbestand der Kirchen gesichert werde.

Eine weitere Begründung der Verfassungsbeschwerde stützt sich auf den Rechtsstaatsgrundsatz, Art. 20 GG. Rechtsstaatswidrig sei das Kirchenaustrittsgesetz schon wegen seiner Ungereimtheiten: einerseits werde vom „Austretenden" die ausdrückliche Erklärung verlangt, aus der Kirche „auszutreten" - andererseits werde klargestellt, dass überhaupt kein „Austritt" vorliege, sondern nur eine Beseitigung der staatlichen Folgen der Kirchenmitgliedschaft.

Gerügt wird schließlich die Höhe der Gebühr von 30 €. Sie stehe völlig außer Verhältnis zum tatsächlichen Verwaltungsaufwand. Der Zeitaufwand betrage nicht einmal zwei Minuten.

Kirchensteuergesetze ersatzlos aufheben

Der gesamte administrative und persönliche Aufwand sei unnötig. Würde das Kirchensteuergesetz ersatzlos aufgehoben werden, würde für den Kirchenaustritt das allgemeine Recht gelten, wonach für eine Kündigung die einfache Schriftform einer Willenserklärung gegenüber der betroffenen Körperschaft genüge. Auf diese Weise würde nicht nur der Bürger entlastet, sondern auch der Staat würde einer Aufgabe enthoben, die ihm nicht obliege.

Soweit die Begründung der Verfassungsbeschwerde.

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V. (IBKA) wendet sich seit Jahren gegen die Kirchenaustrittsgebühr, die in den meisten Bundesländern erhoben wird. Gegen die Austrittsgebühr in Niedersachsen reichte die Regionalbeauftragte des IBKA, gemeinsam mit betroffenen Bürgern, eine Petition an den Niedersächsischen Landtag ein. Jetzt unterstützt der IBKA den Kölner Beschwerdeführer aus einem Spendenfonds, der für derartige Fälle eingerichtet wurde. Langfristiges Ziel des IBKA ist eine konsequente Trennung von Staat und Kirchen. Dadurch würde vielen Verletzungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Boden entzogen.

Irene Nickel