Internationaler Kongress zur Sterbehilfe beginnt

ZÜRICH. (hpd) Morgen beginnt in der Schweiz ein internationaler Kongress von mehreren Dutzend Organisationen, die sich für ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und Sterbebegleitung einsetzen. Etwa 100 Delegierte, darunter der Bestseller-Autor Terry Pratchett sowie mehrere Hundert Besucherinnen und Besucher werden zum Kongress erwartet. Auch in Deutschland steht das Thema ganz oben auf der politischen Agenda.

Insgesamt 55 Organisationen haben sich in der World Federation of Right to Die Societies (WFRtDS), einem Weltverband für die Rechte auf ein würdiges Sterben, zusammengeschlossen. Er fungiert als internationale Schnittstelle von einem Teil der weltweit arbeitenden Organisationen, die sich für das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung am Lebensende einsetzen.

Der Kongress des Weltverbands findet alle zwei Jahre statt, die Veranstalter sind neben WFRtDS die beiden Organisationen EXIT Deutsche Schweiz und EXIT ADMD. Im Zuge der Kongresstage soll mit einem Festakt auch das Jubiläum der 1982 gegründeten Sterbehilfeorganisation EXIT begangen werden. Heute zählt der Verein mehrere zehntausend Mitglieder.

Insgesamt über vier Tage erstrecken sich die Veranstaltungen, einschließlich eines Publikumstags für die Öffentlichkeit. Mitgliedsorganisationen der WFRtDS aus Deutschland sind der Verein Dignitas Deutschland und SterbehilfeDeutschland. Letzterer ist auf Initiative des früheren Justizsenators Roger Kusch entstanden, der durch kommerzielle Angebote zur Sterbehilfe und die Präsentation eines Selbsttötungsautomaten in der Vergangenheit in die Schlagzeilen geraten war. Rund 27 Suizide soll der Verein im vergangenen Jahr begleitet haben.

Kongress soll zeigen, wie Leiden menschlicher gehandhabt werden könnte

Den Auftakt bildete am Dienstag eine Medienkonferenz zum Kongress und dem 30-jährigen Bestehen von EXIT. Im Mittelpunkt des Kongresses stehen aber vor allem die Wissensvermittlung und der Austausch, auch mit Kritikern. Daher zählen neben zahlreichen Rechtsexperten und Verbandsvertretern auch Palliativmediziner sowie Theologen zu den Referenten bzw. Teilnehmern von Podiumsdiskussionen während des Publikumstages am kommenden Freitag.

Der Publikumstag solle „zeigen, wie das Leiden am Lebensende mit Palliativmedizin oder ihren Alternativen menschlicher gehandhabt werden könnte“, so Bernhard Sutter, Vizepräsident des Schweizer Vereins EXIT. „Eindrücklich wird sicher der Bericht der Witwe eines bekannten deutschen Fußballers, der in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen musste. Oder die Schicksalsberichte eines bekannten Münchener Anwalts, der Patienten in ganz Deutschland zu ihren Rechten am Lebensende verhilft.“

Terry Pratchett, der an Alzheimer erkrankte britische Fantasy-Romanautor, wird ein Impulsreferat zum Thema halten: „Das letzte Recht für Jedermann“. Pratchett führte unter anderem eine Kampagne gegen das Verbot der Sterbehilfe in Großbritannien an. Im Vereinigten Königreich sind rund drei Viertel der Bevölkerung für eine Gesetzesreform, die Sterbehilfe legalisieren soll.

Wega Wetzel, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), sagte zum am Mittwoch beginnenden Kongress, dass es wichtig sei, mit anderen Organisationen weltweit im Austausch zu bleiben. Die DGHS, welche rund 30.000 Mitglieder in Deutschlands hat, sei zwar keine Sterbehilfeorganisation. Vertreter der DGHS werden trotzdem am Kongress teilnehmen, um sich als Bürgerrechtsbewegung und Patientenschutz-Organisation über die Probleme und Entwicklungen bei der Entwicklung und Umsetzung des Rechts auf ein selbstbestimmtes Lebensende in den unterschiedlichen Ländern zu informieren und auszutauschen.

Widerstand gegen Kriminalisierungsversuche durch Ärzteschaft und Regierung

Als Herausforderungen in Deutschland beurteilte DGHS-Sprecherin Wetzel drei politische Arbeitsfelder. Zum einen sei es notwendig, die vom Bundesärztetag im vergangenen Jahr beschlossenen Änderungen im Berufsrecht der Mediziner und Ärzte rückgängig zu machen. Denn sogar in der Ärzteschaft gibt es breiten Widerstand gegen die Reform, die jegliche Mitwirkung an einer Suizidbegleitung unmöglich machen soll. Die Landesärztekammern hätten sich bis heute nicht einhellig den Beschlüssen des Bundesärztetages gefügt. „In der strengen Form ist die Regelung unrealistisch und lässt keinen Raum für eine Gewissensentscheidung der Ärzte“, betonte Wetzel hier.

Um die Selbstbestimmungsrechte von todkranken Menschen zu wahren, seien ferner Reformen des deutschen Betäubungsmittelgesetzes erforderlich. Natriumpentobarbital, wie es in der Schweiz für eine Rezeptvergabe durch Ärzte zugelassen ist, müsse auch in Deutschland verfügbar gemacht werden.

Schließlich gehe es darum, den vorhandenen Bestrebungen zu einem Verbot von Sterbehilfe und Sterbebegleitung in Deutschland zu widerstehen. So meinte der Neurologe und Bestsellerautor Gian Domenico Borasio in einem Interview mit Welt Online am Montag: „Der assistierte Suizid wird kommen, auch in Deutschland.“

„Obwohl es in Deutschland offiziell fast gar keine Sterbehilfe gibt, kümmert sich die gegenwärtige Regierung sehr stark darum. Dasselbe gilt für die Ärzteschaft. Beide wollen die fast nicht existierende deutsche Sterbehilfe noch weiter einschränken oder gar verbieten“, stellte dazu Bernhard Sutter im Interview mit dem hpd fest.

Denn erst auf dem am 25. Mai zu Ende gegangenen 115. Deutschen Ärztetag wurde die Forderung der Ärzteschaft nach einem „Verbot jeder Form der sogenannten Sterbehilfe“ beschlossen. „Damit verschließen die Delegierten die Augen vor den tatsächlichen Sorgen der Menschen in Deutschland“, kritisiert DGHS-Präsidentin Elke Baezner diesen Schritt. Zwar lehne die DGHS ebenfalls die gewinnorientierte Sterbehilfe ab, fordert aber die Ermöglichung der ärztlichen Freitodhilfe.

Darüber hinaus gibt es für die nicht nur vom Vorstand der Bundesärztekammer vorangetriebene Kriminalisierung der Sterbehilfe, die auch mit einer von CDU/CSU und FDP geplanten Reform des Strafgesetzbuchs einhergehen soll, und der drastischen Einschränkung von Grundrechten kein Verständnis.

Baezner: „Es sollte Ärzten in Deutschland ähnlich wie im Nachbarland Schweiz und den Niederlanden offiziell gestattet sein, so einem Patienten unter Beachtung strenger Sorgfaltskriterien beim Suizid zu assistieren, wenn sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Nur klare Regelungen mit effizienten Kontrollmechanismen schaffen Rechtssicherheit, nur so lässt sich Missbrauch vermeiden.“

Arik Platzek