Sarkozy gegen Trennung von Staat und Kirche

PARIS. (hpd) Chronologie einer Wende? Seit der berüchtigten Rede des Präsidenten

Nicolas Sarkozy im Vatikan am 20. Dezember 2007 (hpd berichtete) wurde im neuen Jahr die Kritik an ihm immer schärfer. Besonders angegriffen werden seine Konzeption der sogenannten „positiven Laizität“ sowie die ideologischen Grundlagen der neuen Regierung. In seiner Konzeption betont Sarkozy u.a. die Bedeutung der spirituellen Strömungen für die Definition der Moral des Staates. Für Sarkozy ist deren Kritik indiskutabel und er setzt ständig neue Signale gegen die Trennung von Staat und Kirche. Er nimmt dabei das Problem der notwendigen Integration der Muslime zum Vorwand, um das Gesetz zur Laizität von 1905 weiter abzubauen. Eine kurze Chronologie des Streites der Gegensätze illustriert diese Entwicklung. (Französisch)

4. Januar

Charles Jaigu verweist im „Le Figaro“ auf die ausgesprochenen ideologischen Zielsetzungen Sarkozys. Er begründet dies mit einer Reihe von Zitaten des Präsidenten. Bereits im Wahlkampf sagte Sarkozy: „Ich führe keinen politischen Kampf, sondern einen Ideologischen. Im Grunde habe ich meine eigene Analyse Gramscis gemacht: Die Macht erobert man durch Ideen. Zum ersten Mal führt ein Politiker von rechts einen solchen Kampf.“
Im Mittelpunkt Sarkozys Wirken steht nach Jaigu deswegen eine Politik der Werte. Für 2008 umschreibt er deshalb seine Ziele als „eine Politik, die vor allem das Wesentliche berührt (…) unsere Identität, unsere Werte (…) grundsätzlich alles, was eine Zivilisation ausmacht.“ (Aus: La République, les Religions, l'Espérance; Le Cerf, 2004). Hier erneuert Sarkozy seine frühere Botschaft, dass die Politik nicht ohne Verbindung zum Spirituellen möglich ist. Zugleich wird dadurch auch der innere Widerspruch Sarkozys deutlich: Ein unsicheres Hin und Her zwischen billiger konsumorientierter Wohlfahrt und spirituellem Wohlsein. (Französisch)

Im „Libération“ wird Jean-Michel Quillardet, Großmeister der Freimaurerloge „Grand Orient de France“ deutlicher. Nach ihm öffnet die Konzeption der „positiven Laizität“ eine furchterregende Kluft im republikanischen und laizistischen Pakt Frankreichs. Dass der Staat, um seine Werte zu finden, mit den Religionen sprechen muss, sei eine sehr amerikanische Ideologie.
Quillardet ist entsetzt, wenn Sarkozy behauptet: „Die laizistische Moral droht immer zu erschöpfen oder zu Fanatismus zu werden, wenn sie nicht mit dem Verlangen nach der Unendlichkeit verbunden wird.“ Besonders die Forderung des Präsidenten, das Gesetz von 1905 zur Trennung von Kirche und Staat zu ändern, wird durch ihn auf’s Schärfste abgelehnt. Die Änderung sieht eine staatliche Anerkennung der Religionen und die Entlohnung ihrer Funktionsträger vor. (Französisch)

7. Januar

Fréderic Lazorthes, ein bekannter Essayist und Historiker, betont im „Le Figaro“, dass Sarkozy zumindest die französische Konzeption des Laizismus nicht in Frage stellt, sondern sie als eine erworbene Freiheit betrachtet. Seine „positive Laizität“ tendiere jedoch stark zum katholischen Konkordatismus, so als wäre der Katholizismus die mehrheitliche Religion Frankreichs. „Die Toleranz ist durch den liberalen Staat verwirklicht, sie ist die Basis seiner Autorität. Das spirituelle und politische Universum Sarkozys ist etwas ganz anderes“. Die Vermischung von französischer Identität und Religion „ist das Ende des liberalen Staates. Es ist der Moment, wo die Regierung von Personen durch die Macht der Identitäten ersetzt wird.“ (Französisch)

14. und 15. Januar

Sarkozy wird in Saudi-Arabien freundlich empfangen und lobt dort die neue Politik der französischen Regierung gegenüber dem Islam: "Saudi-Arabien bewegt sich jetzt auch zu Gunsten der Situation der Frauen und der freien Meinungsäußerung.“ (Französisch)

16. Januar

In Anwesenheit von Sarkozy hat der Vorstand seiner Partei (UMP) die Kandidatur von Christian Vanneste für den Gemeinderat von Tourcoing bestätigt. Vanneste wurde wegen extremer homophober Äußerungen bereits strafrechtlich verfolgt. Als Mitglied verschiedener konservativ religiöser Bewegungen verteidigt er z. B. die Todesstrafe und die positive Rolle des französischen Kolonialismus. Seine Wahl provozierte Protestaktionen verschiedener Vereinigungen Homosexueller, die zu Verhaftungen führte. Der Sprecher der PS-Fraktion im Parlament bezeichnete die Wahl als „eine Schande für die Republik“.
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17. Januar

Sarkozy empfing die Vertreter der sechs wichtigsten Religionen des Landes und betonte dabei erneut seine Verbundenheit mit dem Prinzip der Laizität. Sie sei grundsätzlich ein Prinzip der Achtung und nicht des Kampfes gegen die Religionen: „Die Anerkennung der religiösen Gefühle, als einen Ausdruck der Meinungsfreiheit (…) macht genau wie die Anerkennung der Erbschaft der Aufklärung, Teil unseres republikanischen Paktes und unserer Identität aus.“
Die Kirchenvertreter äußerten sich sehr zufrieden über die Worte des Präsidenten während des Empfangs und während seiner Besuche im Vatikan sowie in Riad.
Alt-Minister Laurent Fabius (PS) kritisierte dagegen die Ansprache von Sarkozy: „Man kann nicht zur selben Zeit laizistisch und nicht-laizistisch sein.“ Sarkozy sollte bei der „traditionellen Definition des Laizismus“ bleiben. Die Gewerkschaft der Lehrer, Snes-FSU, bezeichnete die Auslassungen Sarkozys als indiskutabel mit seiner Funktion als Präsident. Sie vermutet bei ihm die Idee einer der Religionen untergeordneten Republik. Das nationale Komitee der laizistischen Aktion (Cnal) will sogar ein „laizistisches Aktionsjahr“ organisieren. So soll deutlich gemacht werden, dass sich die Akteure der Republik nur um die republikanischen Werte zu kümmern haben.
Auch die katholische Mitte ist nicht sehr begeistert über die Idee des „positiven Laizismus“. Dadurch könnte eine neue antireligiöse Stimmung im Lande entstehen und sie sind außerdem mit einigen Elementen dieser Konzeption nicht einverstanden. Die Öffnung zum Islam wird dabei mit besonderem Argwohn betrachtet. (Französisch) (Französisch) (Französich)

18. Januar

Sarkozy möchte, dass Vertreter aller Religionen einen Sitz im nationalen Ökonomischen und Sozialen Rat (CES) bekommen. Der CES ist eine Art dritte parlamentarische Kammer mit weitgehenden beratenden Funktionen. (Französisch)

21. Januar

In einem Interview mit Le Monde sagt der bekannte Soziologe Jean Bauberot zur Frage des Laizität-Verständnisses von Sarkozy, dass es die Laizität angreift, weil sie nicht philosophisch neutral ist. Sie privilegiert die religiösen Überzeugungen gegenüber den anderen. Das würde deutlich aus der Rede des Präsidenten im Vatikan hervorgehen. Dort behaupte er, dass das Laizismusgesetz von 1905 nur retrospektiv als ein Gesetz der Freiheit zu betrachten wäre. Auch, dass die weltanschauliche Versöhnung nur auf die positive Haltung der Katholiken während des 1. Weltkrieges zurückzuführen ist und die Laizität eigentlich Frankreich von seinen religiösen Wurzeln abschneiden will. Nur auf dieser Basis versteht er seinen „positiven Laizismus“ sagt Bauberot. Sarkozys Laizismus baue sich nur aus der Vergangenheit auf und beantworte keine der heutigen Fragestellungen. (Französisch)

24. Januar

Für Robert Albarèdes in „Riposte Laique“ ist der heutige Kampf klar: Der Staat ist nicht religiös oder unreligiös, sondern areligiös! Dieser Ansatz ist zutiefst politisch. Der Präsident möchte, nach Albarèdes, den Kirchen erneut den Zugang zu den – bis jetzt laizistischen – öffentlichen Räumen bieten. Dabei sollten ihnen alle Mittel verschafft werden um dort, ohne legalen Widerstand, frei wirken zu können. Er öffnet dafür alle möglichen Türen, so dass die Situation unübersichtlich und jeder geordnete Widerstand unmöglich wird. Sarkozy will so das anglosächsische Modell in einem Land einführen, wo die Religion bis jetzt eine private Sache war.
Die laizistischen politischen Kräfte bleiben dabei passiv oder unterstützen diese Offensive mit ähnlich diffusen Konzepten (Laizität der Toleranz, Laizität des 21. Jahrhunderts, offene, grüne, moderne etc. Laizität). Auch die Linke bleibt ruhig. Hauptsache es bleibt eine Laizität mit einer Religion für Arme und Diskriminierte. (Französisch)

Michèle Alliot-Marie, Innen- und Kultusminister verteidigt in einem Interview mit der katholischen Zeitung „La Croix“ die Positionen von Sarkozy. Sie sieht in der Polemik eher einen Angriff auf den Präsidenten als eine Verteidigung der Prinzipien der Laizität. Er hätte das gesagt, was er bereits vor langer Zeit geschrieben hat, und damals gab es darauf keine Reaktionen. Manche der Kritiker haben nach ihrer Meinung eine archaische, ja sektiererische Auffassung über Laizität. Die Gesellschaft hat sich aber geändert und das 1905er Gesetz muss angepasst werden. (Französisch)

28. Januar

Sarkozy will eine positive Laizität durchsetzen, was bedeutet, dass die heutige Laizität negativ ist, so wie auch die Amerikaner das interpretieren (letzteres ist die Anmerkung der satirischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“). Es ist an der Zeit dagegen eine Massenmobilisation zu organisieren, z. B. beim Besuch des Papstes. Sonst wird in 5 Jahren der Präsident seinen Eid auf die Bibel schwören, während die städtischen Vororte wie die Bronx aussehen. (Französisch)

13. Februar

Auf einem Empfang der Vertreter des Rates der jüdischen Institutionen Frankreichs plädiert Sarkozy für die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes.
Er sagt dort u. a.: „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass unsere Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer intellektuellen und humanen Ausbildung das Recht haben, sich mit religiös engagierten Menschen zu treffen, die ihnen die spirituellen Fragen und die göttliche Dimension eröffnen.“ (Französisch)

20. Februar

Emmanuelle Mignon, enge Mitarbeiterin von Sarkozy, erklärt in Anspielung auf ein Gespräch von Sarkozy mit dem Scientologe Tom Cruise, dass die Sekten in Frankreich kein Problem darstellen. Frau Mignon ist als Ghost-Writer des Präsidenten verantwortlich für seine Reden im Vatikan und in Riad. (Französisch)

23. Februar

Sarkozy sendet seine Glückwünsche an das „Institut du Bon Pasteur“ anlässlich der Ordination von fünf französischen traditionalistischen Priester. Das Institut ist die apostolische Bildungsinstitution der „Brüderschaft des Heiligen Pius X“, des abtrünnigen fundamentalistischen Bischofs Lefebvres. (Französisch)

25. Februar

Dalil Boubakeur, Präsident des Islamischen Glaubensrates in Frankreich (CFCM) wird durch Sarkozy zum Kommandeur mit dem nationalen Verdienstorden ausgezeichnet. (Französisch)

17. März

Während der Gedenkfeier zu Ehren des letzten überlebenden „poilu“ (Soldat des 1. Weltkrieges) Lazare Ponticelli bekreuzigt sich Sarkozy entgegen aller Traditionen und Pflichten des französischen Präsidentenamtes mehrere Male. (Französisch)

Rudy Mondelaers