"Das Bürgerrecht auf sichere Computer"

BERLIN. (hpd) HU-Tagung "Online-Durchsuchungen. Konsequenzen des Karlsruher Richterspruchs" in Berlin.

 

"Man muss doch was

machen können!" Diese Worte von Sicherheitspolitikern und Polizeiführern zitierte Dr. Burkhard Hirsch am Montag (28. April) im "Roten Rathaus" von Berlin. Dort hielt der frühere Vizepräsident des Deutschen Bundestags und vormalige nordrhein-westfälische Innenminister die Eröffnungsrede zu der Fachtagung "Online-Durchsuchungen. Konsequenzen des Karlsruher Richterspruchs".

Ausgangspunkt der Diskussionen bei dieser Veranstaltung war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Mittwoch (27. Februar). Darin hatten die Karlsruher Richter die im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz-Gesetz vorgesehene Online-Durchsuchung für nichtig erklärt.

Computer-Grundrecht

Rund 140 Interessierte waren der Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) und der Humanistischen Union (HU) gefolgt, um die Auswirkungen dieses Richterspruchs zu diskutieren. Im Mittelpunkt stand dabei das vom Gericht neu geschöpfte Grundrecht auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme". Kurz wird es mittlerweile auch "IT-Grundrecht" oder "Computer-Grundrecht" genannt.

Hirsch hob hervor, dass dieses neue Grundrecht eine notwendige Reaktion auf die Masse der aktuellen Angriffe auf die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger sei. Er listete dabei eine ganze Reihe neuer Gesetze und Maßnahmen auf, mit denen Polizei und Geheimdienste, aber auch die Bundeswehr in die Bürgerrechte eingreifen oder demnächst eingreifen wollen.

Scharf kritisierte der FDP-Politiker die Ignoranz des Gesetzgebers gegenüber Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und dem Grundgesetz selbst. Den Bürgerinnen und Bürgern gaukle die Politik hier die Möglichkeit absoluter Sicherheit vor, die es allerdings nie geben könne. Dafür würden Grundrechte massiv eingeschränkt.

Massive Einschränkung der Grundrechte

Wer diese Vorgehensweise kritisiere, werde mit dem Argument konfrontiert, er behindere dadurch eine mögliche Aufklärung terroristischer Attentate oder gar deren Verhinderung.

Einmal habe ein Politiker ihm entgegengehalten, er solle sich doch vorstellen, dass Terroristen mit einem Flugzeug auf das Kölner Marienfeld zusteuerten, wo gerade Hunderttausende versammelt seien. Mit diesem Szenario habe dieser Politiker den Abschuss dieser Maschine rechtfertigen wollen, berichtete Hirsch. Doch er habe ihn nur gefragt: "Würden Sie diese Maschine auch abschießen, wenn der Papst drinsäße?"

Auf Hirschs Verfassungsbeschwerde hin hatte das Bundesverfassungsgericht den Abschuss von Flugzeugen für verfassungswidrig erklärt. Dennoch unternehmen CDU-Politiker wie Dr. Wolfgang Schäuble und Dr. Franz-Josef Jung nach wie vor Vorstöße, der Bundeswehr das Recht zum Abschuss von Flugzeugen einräumen zu wollen.

"Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme"

Ausführlich widmete sich anschließend Prof. Dr. Oliver Lepsius von der Universität Bayreuth dem neu definierten Grundrecht auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme". Die Verfassungsrichter hätten dieses neue Grundrecht nicht als persönliches Abwehrrecht definiert, sondern als generelles Grundrecht.

Mit dem neuen Grundrecht hätten die Richter eine Antwort auf die Tatsache gefunden, dass die Entwicklung der Informationstechnologie nahezu niemanden mehr außen vor lässt. Für den Menschen des 21. Jahrhunderts sei es fast unmöglich, sich derartigen Systemen zu entziehen.

Dabei hätten die Karlsruher Richter nur ein Versäumnis des Gesetzgebers durch eine Nothilfe-Aktion geheilt. Eigentlich sei es Aufgabe des Parlaments gewesen, dieser technischen Entwicklung Rechnung zu tragen.

Dass die Verfassungsrichter das neue Grundrecht nicht aus Artikel 1 abgeleitet haben, liege vermutlich an rechtssystematischen Erwägungen, erläuterte Lepsius. Seine eigene Rechtsprechung zur Menschenwürde sei inzwischen "vermintes Gelände". Auf dieses Glatteis habe sich Berichterstatter Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riehm deswegen wohl aus guten Gründen lieber nicht begeben wollen.

Nach seiner Interpretation haben die Karlsruher Richter mit dem neuen Grundrecht allein ein Abwehrrecht der Bürger definiert, meinte Lepsius. Eine Verpflichtung zur Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme beispielsweise durch deren Bereitstellung als staatliche Leistung wollte er nicht erkennen.

Dem widersprachen indes andere Tagungsteilnehmer. Sie sahen in dem Urteil auch die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Betreiber derartiger Systeme auf bestimmte Sicherheits-Standards zu verpflichten.

Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung

Im anschließenden Vortrag setzte sich Dr. Maximilian Warntjen aus Berlin mit dem "Kernbereichs-Schutz" auseinander. In verschiedenen Entscheidungen hatte das Verfassungsgericht den Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung festgeschrieben. Diesen Schutz habe die neuerliche Entscheidung jedoch leicht verwässert, bemängelte er. Hatten die Karlsruher Richter ein Aushorchen der Intimsphäre von Menschen noch strikt verboten, so lasse das Online-Urteil ihn dann zu, wenn persönliche Details mit anderen - möglicherweise tatrelevanten - Fakten verknüpft seien.

Warntjen wies auf das abgestufte Verfahren hin, das das Verfassungsgericht einem Eingriff in den Kernbereich vorschalte. Mit der Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit jedes Eingriffs schütze das Gericht den Kernbereich schon im Vorfeld.

Problematisch sei der Kernbereichs-Schutz jedoch in der Praxis. Häufig sei der Kernbereich schon verletzt, bevor das auffalle. Alle Regelungen wie das so genannte "Richter-Band", auf das möglicherweise intime Gespräche aufgezeichnet werden sollen, seien deswegen kein wirklicher Schutz, sondern lediglich nachträgliche Vorkehrung zur Schadensbegrenzung. Zudem sei die Definition des Kernbereichs rechts schwammig, was die Durchsetzung seines Schutzes in der Praxis ebenfalls erschwere.

Neue Perspektiven für den Schutz personenbezogener Daten?

Sieben Thesen präsentierte der Berliner Datenschutzbeauftragte Dr. Alexander Dix in seinem Vortrag "Neue Perspektiven für den Schutz personenbezogener Daten?". Aus dem neuen Grundrecht leitete er auch das Recht ab, Verschlüsselungs-Software oder andere Techniken zum Schutz der eigenen Persönlichkeit einzusetzen.

Seiner Ansicht nach verpflichte die Karlsruher Entscheidung den Gesetzgeber auch zur Regelung der Sicherheits-Standards von Internet- und Mail-Providern sowie anderen Anbietern von Telekommunikations- und Online-Diensten.

Wichtig ist nach seiner Auffassung aber auch die Aufklärung über einen sicheren Umgang mit dem Internet und anderen Daten-Systemen. Das müssten Kinder ebenso in der Schule lernen, wie ihnen dort heute schon den Umgang mit Computern beigebracht werde.

Lob für die Gründlichkeit des Bundesverfassungsgerichts

Das Urteil aus der Sicht eines Informatikers beleuchtete Prof. Dr. Andreas Pfitzmann von der Technischen Universität Dresden. Er lobte das Gericht und vor allem dessen Berichterstatter Hoffmann-Riehm ausdrücklich für die Gründlichkeit, mit der sie sich in die Materie eingearbeitet haben..

Die Passagen im Urteil zur technischen Umsetzung der Online-Durchsuchung hätte er selbst als Informatiker nicht besser formulieren können, betonte er. Dem stehe bei Politikern und den Verantwortlichen für die Durchführung von Online-Durchsuchungen eine erschreckende Unkenntnis gegenüber.

So habe der Präsident des Bundeskriminalamts während der Verhandlung in Karlsruhe Fragen zur technischen Umsetzung nicht selber beantwortet, sondern durch einen jungen Mitarbeiter beantworten lassen. Auf die Frage "Woher wissen Sie, dass Sie das richtige System erwischt haben?" habe dieser Mitarbeiter von Jörg Zierke geantwortet: "Wenn wir etwas gefunden haben, dann sind wir richtig!"

Bundesinnenminister Schäuble und andere Politiker brüsteten sich gar damit, keine eigene Erfahrung im Umgang mit der elektronischen Datenverarbeitung zu besitzen. Das sei einer gründlichen Arbeit des Gesetzgebers aber absolut unwürdig, kritisierte Pfitzmann unter dem Beifall des Publikums.

Er stellte klar, dass jede Infiltration eines datentechnischen Systems über elektronische Leitungsverbindungen automatisch auch die Möglichkeit bestätigt, dass dieses System auch für dritte infiltrierbar sein kann. Zudem warf er die Frage auf, ob ein so genannter "Bundes-Trojaner" nicht auch von Dritten missbraucht werden könne.

Schließlich wies Pfitzmann darauf hin, dass die Begriffe "Vertraulichkeit" und "Integrität" aus der Fachsprache der Informatik stammen. Unter "Vertraulichkeit" verstehen sie die Beschränkung des Zugriffs auf die dazu Berechtigten. Unter "Integrität" verstehen sie die Vollständigkeit und Aktualität des Datenbestandes oder die klare Erkennbarkeit, dass dem nicht so ist.

Strafrechtsfragen und Polizeirecht

Strafrechtliche Konsequenzen aus dem Karlsruher Richterspruch zog Prof. Dr. Hans-Heiner Kühne von der Universität Trier. Er stellte fest, dass eine Anwendung von Online-Durchsuchungen zur Überführung von Straftätern auf noch wesentlich höhere verfassungsrechtliche Hürden stoßen müsste als eine Online-Durchsuchung durch den Verfassungsschutz.

Mit dem Referat des Stellvertretenden HU-Bundesvorsitzenden Dr. Fredrik Roggan "Folgerungen für das Geheimdienst- und Polizeirecht" ging die Veranstaltung am frühen Abend schließlich zu Ende. Sie zeigte, dass das neue Grundrecht nur ein Einstieg sein kann in eine weiterführende Debatte zum Schutz der Persönlichkeitsrechte.

Franz-Josef Hanke