Erwartungen an die Demokratie

(hpd) Folgt man dem „Spiegel" (Nr. 19/2008) ist die Demokratie als politisches Modell weltweit in eine Legitimationskrise geraten

: Einerseits leide sie unter Ansehensverlust und Auszehrung, andererseits gebe sich der wirtschaftlich erfolgreiche autoritäre Staat als Alternative. Unabhängig davon, wie man solche Einschätzungen konkret bewertet, bedarf es in einer Demokratie fortwährend der Selbstvergewisserung über das Verständnis von Demokratie.

 

Dazu will Christoph Möllers, der an der Universität Göttingen Staatsrecht und Verfassungstheorie lehrt, mit seinem schmalen Band „Demokratie - Zumutungen und Versprechen" einen Beitrag leisten. Es handelt sich indessen nicht um ein geschlossenes Werk mit stringenter Linie, sondern um ein verlängertes Thesenpapier mit kursorischen Kommentaren. 173 Anmerkungen zu unterschiedlichsten Aspekten des Verständnisses von Demokratie - formuliert im aphoristischen Stil mit apodiktischer Tendenz - finden sich inhaltlich mühsam in neun Kapitel eingeteilt auf 125 Seiten.

Möllers will darin die Konturen und Minimalbedingungen von Demokratie verdeutlichen, aber auch ihre Grenzen und Widersprüche aufzeigen. Insofern plädiert er für eine realistische Sicht auf dieses Modell politischer Ordnung, welchem auch immer wieder unerfüllbare Versprechen eigen seien. Zutreffend bemerkt der Autor: „Die erfolgreichsten Verächter der Demokratie idealisieren die Demokratie, um sie dann wegen ihres vermeintlichen Verrats an den eigenen Idealen zugunsten autoritärer Ordnungen verwerfen zu können" (S. 12). Und als wichtigste Grundannahme seiner Erörterungen benennt Möllers: „Wir leben nicht in einer demokratischen Ordnung, um bestimmte Probleme zu lösen, sondern weil dies am besten zum Ausdruck bringt, wie wir uns selbst verstehen: als freie Personen unter wechselseitiger Anerkennung der Freiheit aller anderen" (S. 13). Insofern könne man in einer demokratischen Gesellschaftsordnung in allen nur vorstellbaren Lebensbereichen ungleich sein, dies könne aber nicht für die Freiheit als konstitutives Prinzip der Demokratie gelten.

Orientiert an rechtlicher Grundlegung und vertragstheoretischen Überlegungen entwickelt Möllers auf dieser Basis ein Verständnis, das sich auch und gerade gegen bedenkliche und falsche Erwartungen an Demokratie richtet: Sie verspreche kein gutes Leben, was auch eine autoritäre Ordnung anbieten könne. Demokratie ziele auch nicht auf eine herrschaftslose Zukunft, sondern mache Herrschaft ausdrücklich und sichtbar. Konsens sei ein Ideal der Herrschaftslosigkeit, nicht der demokratischen Herrschaft. Immer wieder hebt der Autor auch die dynamische Dimension und entwickelte Korrekturfähigkeit der Demokratie hervor: „Demokratische Legitimation basiert auf der permanenten Änderbarkeit ihrer selbst, nicht zuletzt, weil wir immer schon in eine Ordnung hineingeboren wurden, die sich uns gegenüber nur dadurch rechtfertigen kann, dass wir die Möglichkeit haben, sie zu ändern" (S. 31). Gleichwohl ziehe das demokratische Versprechen selbst Grenzen, welche allerdings durch die Entscheidung für Demokratie und nicht von außen auferlegt würden.

Die formale Präsentation von Möllers Überlegungen ist durchaus gewöhnungsbedürftig. Immer wieder ist man versucht, an den Rand Bemerkungen wie „Bitte genauer!", „Mehr begründen" oder „Was soll das heißen!" zu schreiben. Man könnte auf diese Einwände aber auch mit einem „Warum nicht auch einmal so?" reagieren. Offenbar kommt es Möllers mehr auf ein entwickeltes Problembewusstsein und weniger auf geschlossene Theorien an. Von daher liefert sein Buch wichtige Anregungen und Einsichten. Sie beziehen sich auf die unterschiedlichsten Politikbereiche von der Außenpolitik bis zum Parteiverbot. Über letzteres heißt es: „Mit einem Gerichtsverfahren gibt die demokratische Politik die demokratische Konfrontation auf und leitet ihre Verantwortung einfach weiter" (S. 112). Möllers macht an diesem Beispiel deutlich, dass Demokratie im Sinne einer wechselseitigen Anerkennung als vernünftige Wesen auch immer wieder begründet werden muss. Darauf aufmerksam gemacht zu haben, ist nur eines der Verdienste seiner Thesen.

Armin Pfahl-Traughber

 

Christoph Möllers, Demokratie - Zumutungen und Verspechen, Berlin 2008 (Verlag Klaus Wagenbach), 126 S., 9,90 €