BERLIN/KASSEL. (hpd) Journalisten, die Thesen des Kreationismus vertreten, gelingt es immer wieder einmal, in Medien einen Beitrag
zu platzieren, wo man es eigentlich nicht erwarten würde. Ein aktuelles Beispiel, in dem unter der Flagge des „fairen Ideenwettstreits" der Pflanzenphysiologe Ulrich Kutschera angegriffen wird.
Am 27.06.2008 veröffentlichte der Berliner Wissenschaftsjournalist Benno Kirsch einen Artikel mit der Überschrift „Der McCarthy aus Kassel" bei der Wochenzeitung Freitag 26, in dem er sich kritisch über den Pflanzenphysiologen Ulrich Kutschera äußert. Der dortige Vergleich von Professor Kutschera mit dem als „Kommunistenjäger" bekannt gewordenen US-Senator Joseph McCarthy (1908-1957) erinnert an frühere Polemiken von Benno Kirsch, für die ihn Brights Deutschland im Dezember 2007 mit dem Anti-Aufklärungspreis „Dodo des Monats" auszeichnete.
Er verdiente sich diesen Preis unter anderem mit seiner folgenden Äußerung über die Autoren des Biologie-Sachbuchs „Als das Leben laufen lernte": „Wie andere Vertreter ihres Faches auch dekonstruieren sie [mit ‚Darwins Theorie vom Ursprung der Arten‘] nämlich auch Menschenrechte, Zivilisiertheit und Humanität, ohne auch nur die Andeutung einer Antwort auf die Frage zu geben, durch was sie ersetzt werden könnten."
In seinem Artikel bei Freitag 26 schreibt Benno Kirsch: „Doch zeichnet sich Wissenschaft nicht gerade durch den Streit der Meinungen aus? Und dogmatische Bewegungen, dass sie diesen nicht zulassen wollen?"
Würde diese Aussage isoliert stehen und würde sie nicht von jemandem stammen, der aus weltanschaulichen Gründen kein Freund der naturalistischen Evolutionstheorie ist, dann könnte man ihr sicherlich nur zustimmen. In diesem Kontext und vor diesem Hintergrund erinnert dieses „Fazit" jedoch eher an die „Teach the Controvery"-Strategie des amerikanischen Discovery Insitute, welches sich der Verteidigung des ID-Kreationismus verschrieben hat.
Ein Ziel dieser Strategie ist die Aufnahme von Intelligent Design in den Biologieunterricht. Hierfür soll das Bewusstsein der Bevölkerung dahingehend verändert werden, dass sie ID und Evolution als zunächst gleichwertige Theorien akzeptiert. In diesem Zusammenhang wird stets der faire Ideenwettstreit gefordert, sowie die undogmatische Herangehensweise an neue Ideen - wobei ID natürlich alles andere als neu ist. Man übernimmt häufig verwendete und bei der jeweiligen Kultur beliebte Kollokationen („freier Wettbewerb", „Wettstreit der Ideen", „offener Diskurs", „aufgeklärte Streitkultur") und nutzt sie zur Einführung einer diesen entgegengesetzten Ideologie. Im Falle des Kreationismus handelt es sich dabei um das fundamentalistische Christentum. Der Islam kennt eine ähnliche Strategie unter dem Namen „Taqyiia" (siehe hierzu die Rede von Ralph Giordano bei der kritischen Islamkonferenz).
Leider neigen auch einige Geisteswissenschaftler dazu, dieser Strategie auf den Leim zu gehen. Professor Ulrich Kutschera hat kürzlich einen Artikel im Labor-Journal veröffentlicht, in dem auf diese Problematik eingegangen wird.
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Nichts in den Geisteswissenschaften ergibt einen Sinn außer im Lichte der Biologie
Als Labor-Physiologe und Evolutionsbiologe, der seit einiger Zeit neben einem Haupt-Dienstort in Deutschland regelmäßig in den USA tätig ist, erstaunt es mich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit in diesem Land einzelne "Geistes"-Wissenschaftler über die Prinzipien und Erkenntnisse der Life Sciences urteilen. Im englischsprachigen Raum wird unterschieden zwischen den Sciences (Naturwissenschaften) und den Humanities (wörtlich übersetzt "Humanitäts-Studien"). Diese beiden Wissensbereiche kann man auch überspitzt als "Real- und Verbalwissenschaften" bezeichnen. Während der Naturwissenschaftler real existierende Dinge erforscht (vom sub-atomaren Teilchen, wie dem Elektron, bis hin zur Biodiversität von Regionen, z.B. Lebensgemeinschaften im tropischen Regenwald), beschäftigt sich der Verbalwissenschaftler bevorzugt damit, das, was andere über reale Sachverhalte gedacht und geschrieben haben, gegeneinander abzuwägen, neu auszulegen und zu kommentieren. Man denke an die zahlreichen deutschen "Universitäts-Philosophen", deren Hauptaufgabe darin zu bestehen scheint, das, was originäre Denker (z. B. Arthur Schopenhauer) über die Natur geschlussfolgert haben, neu zu editieren bzw. zu kommentieren.
Eine Ausnahme bilden die Biologiehistoriker. Die führenden Vertreter dieses Faches der Humanities (Thomas Junker, Uwe Hoßfeld, Olaf Breidbach, Ekkehardt Höxtermann usw.) haben ein naturwissenschaftliches Studium absolviert und somit unsere Denk- und Arbeitsweise im Rahmen aufwändiger Labor-Praktika kennen gelernt. Sie wissen somit aus eigener Erfahrung, wie mühselig die Erarbeitung reproduzierbarer Daten sein kann, wie schwierig sich die Hypothesen- und Theorienbildung oft darstellt und, was das Wichtigste ist, dass immer solide Fakten an der Basis aller theoretischer Deduktionen zu stehen haben.
Die Verhältnisse an einer kalifornischen Universität
Während in Deutschland die Verbal- und Realwissenschaften getrennte institutionelle Bereiche besiedeln, gibt es z. B. an der kalifornischen Stanford University seit langer Zeit eine "Fakultät für Geistes- und Naturwissenschaften" (School of Humanities and Sciences). Diese H & S bildet das Kernstück der US-Elite-Hochschule - nahezu 80 % aller Stanford-Undergraduate Degrees und über 40 % aller Doktortitel (PhDs) werden von dieser größten Fakultät verliehen. Mit Humanities für Geschichte, Philosophie, Theologie, Kunst usw. und Natural Sciences-Departments für Biologie, Chemie, Physik sowie zahlreicher finanziell unabhängiger assoziierter Forschungs- und Lehreinrichtungen (z. B. Carnegie Institution, Hopkins Marine Station, Woods Institute for the Environment usw.) werden in dieser Mega-Fakultät alle relevanten Wissensbereiche von führenden Fachwissenschaftlern in Lehre und Forschung vertreten. Dennoch habe ich es während meiner Forschungsaufenthalte und Seminarvorträgen nie erlebt, dass sich ein Historiker oder Philosoph aus den Humanities in die inneren Angelegenheiten und Fragestellungen der Sciences einmischt. Zumindest in Stanford herrscht Konsens darüber, dass Theologen, Philosophen und Kunsthistoriker keine Scientists sind, sondern einer andersartigen, jedoch gleichwertigen Tätigkeit nachgehen.
In Deutschland hat man dagegen oft den Eindruck, dass sich Verbalwissenschaftler, die sich mit menschlichen "Geistes-Produktionen" befassen, immer wieder über jene Personen erheben wollen, die unter Einsatz enormer persönlicher und technischer Aufwendungen reale Phänomene der Natur erforschen: diese Scientists produzieren über Research Papers und zusammenfassende, auf diesen basierende Review Articles die Primär- und Sekundärliteratur, auf der letztendlich unser gesamter verlässlicher, technologisch verwertbarer Wissensschatz aufbaut. Der von manchen Geisteswissenschaftlern produzierten meist in Buchform verbreiteten Tertiärliteratur kommt bei weitem nicht dieselbe Bedeutung zu.
Der deutsche Stachel der Evolution
In einem in diesem Journal veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel "Steter Stachel fördert die Evolution" hat sich der "Ghost Scientist" Florian Mildenberger (1) bemüht, historische Zusammenhänge zwischen dem Kreationismus (wörtlich verstandener biblischer Schöpfungsglaube) und dem Vitalismus (der Glaube an das Wirken übernatürlicher Kräfte im Organismus) darzustellen. Dieses Ansinnen ist im Prinzip lobenswert und gut. Analysiert man den Aufsatz genauer, so fallen allerdings einige Dinge auf, die für sich in die Naturwissenschaften einmischende Soziologen, Politologen, Theologen, Philosophen usw. typisch sind. Zunächst ist es erfreulich, dass sich Mildenberger von den Kreationisten distanziert - dies ist für Vertreter der reinen Verbalwissenschaften eher unüblich. Warum sollte man denn nicht übernatürliche Wirkfaktoren (man denke an die Akte des "Intelligenten Designers") zulassen?, lautet deren immer wieder formulierte Frage. Zu den Geistesprodukten des Homo sapiens zählen ja auch imaginäre (biblische) Götter und Designer und für Verbalwissenschaftler, die nicht dem Zwang einer experimentellen Verifizierung unterliegen, sind diese Begriffe gedanklich gleichwertig mit dem eines Butterbrotes oder Straßenbesens - jedenfalls so lange sie am Schreibtisch sitzen.
Dass in den Realwissenschaften nur Dinge relevant sind, die sich mit unserem Methodenarsenal nachweisen lassen, sollte man im naturwissenschaftlichen Studium erlernt und danach verinnerlicht haben. Wer kein Studium absolviert hat, sollte sich auf den so genannten "gesunden Menschenverstand" verlassen. Viele große Naturforscher ohne philosophisch-wissenschaftstheoretische Interessen haben das getan: Es wäre ihnen nicht im Traum eingefallen, subjektive, übernatürliche Glaubensinhalte in die naturwissenschaftliche Theorienbildung aufzunehmen.
Im Beitrag von Mildenberger (1) fällt zunächst die Wortwahl auf: Der Autor spricht von "Darwins Evolutionstheorie", dem "Darwinismus", den (Anti)-"Darwinisten", der "Evolutionslehre" und den "Evolutionstheoretikern". Diese Terminologie zeigt, dass die Kreationisten über ihre medienwirksamen "Geistesprodukte" (Bücher, Videos, Internetseiten usw.) beneidenswert gute Öffentlichkeitsarbeit geleistet haben: Der Allgemeinbevölkerung (d.h. den Nicht-Spezialisten) wurde mit Erfolg vorenthalten, dass es seit 1942 die Wissenschaftsdisziplin Evolutionsbiologie gibt und dass sich Charles Darwins klassisches Fünf-Theorien-System aus dem Jahr 1859 über August Weismanns Neodarwinismus (ca. 1890) und die Synthetische Theorie (ca. 1950) zur Erweiterten Synthese (seit 2000) entwickelt hat (2). Die moderne Evolutionsbiologie ist somit ein Theoriensystem, das kilometerweit über Darwins rein makro-organismisch ausgerichtete Vorstellungen hinausgewachsen ist. Vom "Darwinismus" oder einer "Evolutionslehre" ist in der laufenden Fachliteratur (Zeitschriften wie Evolution, J. Evol. Biol., Trends Ecol. Evol. usw.) nichts zu lesen. Naturwissenschaftler sprechen in den Evolutionary Sciences eine eigene Sprache. Man hat leider den Eindruck, als würden die zum Thema Evolution schreibenden "Ghost Scientists" nicht einmal die Titel unserer wichtigsten zwanzig Fachjournale kennen, geschweige denn sie lesen. Wäre dem so, würden sie nicht noch heute die Begriffe der Biologie des 19. Jahrhunderts (und der modernen Kreationisten) verwenden.
Lebenskräfte und Spieldosen
Die Kernthese von Mildenberger (1) lautet, dass letztlich die religiös geprägten Evolutionsgegner (Anti-Darwinisten) den Erkenntnisfortschritt in der Evolutionsforschung vorangebracht hätten. Der Autor spricht von "Intelligent Design-Forschern", denen man Respekt zollen solle. Hierzu ist zu sagen, dass man die geglaubten übernatürlichen Akte eines "intelligenten, männlichen gasförmigen Wirbeltiers" (d.h. des biblisch-göttlichen Designers) nicht nach naturwissenschaftlichen Prinzipien erforschen kann, so dass Mildenbergers Annahme, es gäbe auf diesem Gebiet Ernst zu nehmende, überprüfbare Konzepte, nicht korrekt ist. Die allgemeine Schlussfolgerung, die Anti-Darwinisten hätten etwas konstruktives zur Entwicklung der Erweiterten Synthetischen Theorie beigetragen, ist durch keine mir bekannten historischen Fakten belegbar (2, 3, 5). Mildenbergers zweite These, die im Prinzip besagt, die Neo-Vitalisten hätten bei der Ausformulierung der Synthetischen Theorie der 1940er Jahre indirekt mitgewirkt, ist ebenfalls durch keine mir bekannten Dokumente zu untermauern (s. die entsprechenden Kapitel in Ref. 5).
Betrachten wir den Vitalismus in der Pflanzenphysiologie, so wird deutlich, dass hier der Erkenntnisfortschritt über Jahrzehnte hinweg durch Glaubensbekenntnisse behindert wurde. So wurde z. B. im 19. Jahrhundert das noch heute im Öko-Landbau verbreitete Dogma von einer nicht ergründbaren, übernatürlichen Lebenskraft in Lehrbüchern behandelt (4). Ohne die Leistungen des Botanikers Julius Sachs (1832 - 1897) und seines Kollegen Wilhelm Pfeffer (1845 - 1920) hätte sich die Pflanzenphysiologie kaum zu einer induktiven Naturwissenschaft entwickelt (4, 5). Der zuletzt genannte Physiologe brachte die Unsinnigkeit des Vitalismus-Glaubens in einem Zitat aus dem Jahr 1904 auf den Punkt: "Will man aber unser Unvermögen, das Getriebe des Lebens zu durchschauen, als einen zureichenden Grund für die Forderung einer Lebenskraft zu Felde führen, so muss man auch dem Australneger die Berechtigung zugestehen, für die ihm gänzliche unverständliche Spieldose oder Uhr eine besondere unbegreifliche Kraft anzunehmen" (4). Für unsere Soziologen und Politologen: der Physiologie Wilhelm Pfeffer war kein "Rassist": Seine Bezeichnung der Ureinwohner Australiens war damals in Deutschland üblich.
Fazit: Die Bemühungen mancher "Geistes"-Wissenschaftler, Erkenntnisse der Biologie aus ihrer Perspektive zu bewerten, sind lobenswert. Diese Schriften sollten allerdings auf den mühselig erarbeiteten Fakten der Life Sciences basieren, denn "Nichts in den Geisteswissenschaften ergibt einen Sinn außer im Lichte der Biologie". Zur Vertiefung dieser Schlussfolgerung verweise ich auf ein Buch des Freiburger Biologen Hans Mohr (6). Der Autor ist als Real- und Verbalwissenschaftler ausgewiesen, wodurch seine theoretischen Betrachtungen auch für "Labor-Biologen" von großem Nutzen sind.
Ulrich Kutschera
Literatur:
1. Mildenberger, F. (2008) Steter Stachel fördert die Evolution. Laborjournal 15/6, 30 - 31.
2. Kutschera, U. (2008) Evolutionsbiologie. 3. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart
3. Junker, T. (2004) Die zweite Darwinsche Revolution. Geschichte des Synthetischen Darwinismus in Deutschland 1924 bis 1950. Basilisken-Presse Marburg
4. Kutschera, U. (2002) Prinzipien der Pflanzenphysiologie. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin
5. Jahn, I. (Hg.) (2002) Geschichte der Biologie. 3. Auflage. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg.
6. Mohr, H. (2008) Einführung in (natur-)wissenschaftliches Denken. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg.
Erstveröffentlichung des Artikels von Ulrich Kutschera im LaborJournal 15/6: 32 - 33
Vorspann von Andreas Müller