Wer ist der Igel, wer der Hase? (1)

HAMBURG. (hpd) Das Hamburger Verwaltungsgericht hat gegen die „Arbeitsgruppe Scientology" der Hamburger Behörde für Inneres, ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Euro verhängt. Ein Lehrstück über die Freiheit von Religionen und Weltanschauungen in Deutschland sowie über die ‚Räuberpistole' zweier Gegner, von denen die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt wird. (Teil 1)

 

Im Arsenal der weltanschaulichen Auseinandersetzungen in Deutschland nehmen die beiden Facetten ‚Diffamierung' und ‚Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes' eine prominente Rolle ein. Wer meinte, dies geschehe den Betroffenen schon ganz recht - nach dem Prinzip „selber schuld", der irrt. Denn so geschah es auch im Zusammenhang mit der Debatte, ob das atheistische Kinderbuch „Wo bitte geht`s zu Gott? fragte das kleine Ferkel" von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als „jugendgefährdend" indiziert werden sollte.

Lorenz Jäger schreibt am 4. Februar im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): „Der Autor [Michael Schmidt-Salomon] ist ein rühriger Mann. Er ist Sprecher der ‚Giordano Bruno Stiftung', die hierzulande das Programm des neuen internationalen Atheismus vertritt, dem sie den wohlklingenden Namen ‚evolutionärer Humanismus' verliehen hat. Der Tom Cruise dieser Sekte ist der bedeutende Hirnforscher Wolf Singer - leider."

Eine vorsätzliche Verunglimpfung - in der Gleichsetzung eines renommierten Beiratsmitglieds der GBS mit dem Schauspieler Tom Cruise (dem „Messias der Scientologen") und der GBS als Organisation mit Scientology - gegen die sich die GBS entsprechend verwahrt hat.

Im Materialdienst 3/2008 der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) schreibt der Leiter dieser Zentralstelle, Reinhard Hempelmann, im gleichen Indizierungszusammenhang: „Der Mitautor dieses Buches, Schmidt-Salomon, vertritt das skizzierte weltanschauliche Konzept, das ‚Humanismus' mit Animalismus, Anarchismus und Religionshass verbindet. (...) Sollte das, was als ‚evolutionärer Humanismus' bezeichnet wird, größere Resonanz und Akzeptanz finden, würde dies sicher ein wichtiges Thema für weltanschauliche Auseinandersetzungen sein und ein neues Aufgabengebiet für den Verfassungsschutz werden."

...beobachtet vom Verfassungsschutz

Für viele Menschen ist die Bemerkung „... beobachtet vom Verfassungsschutz" bereits die Abseitsstellung als „Verfassungsfeind" im gesellschaftlichen Diskurs. Es ist insofern beachtlich, dass ein leitender Funktionsträger der Evangelischen Kirche in Deutschland sich erlaubt, staatlichen Einrichtungen Empfehlungen zu geben, wer als „Verfassungsfeind" zu gelten habe.

Sind es nur die ersten Versuche, der eigenen Weltanschauung missliebige Auffassungen ins gesellschaftliche Abseits zu drängen und die GBS nach dem Beispiel der Scientologen zu diskreditieren? Das war eine Aufforderung, sich den Umgang mit Scientology etwas genauer zu betrachten.

Zwei Gegner, die sich nichts schenken

Die Recherche ergibt eine Fülle von Material. Neben rund zwei Dutzend Büchern die sich kritisch mit Scientology auseinandersetzen, gibt es zum Suchwort „Scientology" bei Yahoo 45,3 Mio. Seitenverweise, die umfangreiche Kritiker-Interseite von Ingo Heinemann („Eine internationale Blutspur von tragischen Opfern") und bei YouTube mehr als 400 Videos zu Scientology. Insbesondere die Videos dokumentieren sehr klar, mit welcher Härte beispielsweise Kritiker von Scientologen attackiert werden und wie ein Journalist darauf reagiert.

Scientologen werden in Deutschland geächtet und Scientology gilt als „gefährlich"

Scientologen berichten in Gesprächen von verschiedenen Beispielen, warum es für sie im Alltag angebracht ist, ihre Mitgliedschaft zu verschweigen. Ihnen könnte sonst von der Bank nahe gelegt werden, doch die Bank zu wechseln (was gerichtlich erlaubt wurde: Landgericht Stuttgart, Urteil vom 06.09.1996, Az. 27 O 343/96). Sie gelten als „extremistische Organisation". Wie kommt es zu diesen Zuweisungen? Sind die Scientologen „gefährlich" oder „extremistisch"?

Wer Scientologen einmal persönlich kennen gelernt hat, kann das nicht bestätigen. Es sind schlicht normale Leute und über Religion hat jeder der Befragten seine eigene Auffassung. Von außen gesehen ist der Glaube der Scientologen ebenso absurd wie christliche, muslimische, jüdische, buddhistische oder andere Religionsmythen. Es handelt sich zudem um eine kleinere Religionsgemeinschaft, die in der Übersicht des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes (REMID) unter „Verschiedene Gemeinschaften / neuere religiöse Bewegungen" aufgelistet wird und nicht zu den größten zählt.

Aber Schlagzeilen ängstigen: „Scientologys Weg in Berlins Chefetagen. Die Scientologen haben die Berliner Wirtschaft entdeckt: Die Organisation unterwandert Firmen - und verbreitet ihre Ideologie. Und das mit guten Manieren." (30.4.2008)

Sachlicher Hintergrund: Unter den 6.000 Mitgliedern des Immobilienverbandes Deutschlands (IVD) gibt es in Berlin einen Scientologen und seit Januar 2007 gab es drei IVD-Bewerber, die die „Scientologen-Klausel" (dass sie keine Scientologen sind) nicht unterschreiben wollten. Was für ein lärmendes Missverhältnis, was für eine Angst?

In die gleiche Kerbe haut report München: Deutschland im Visier - Scientology auf dem Vormarsch: „Berlin ist jetzt ins Fadenkreuz der weltweit operierenden Organisation geraten. Im vergangenen Jahr wurde hier eine neue repräsentative Deutschland-Niederlassung von Scientology eröffnet. (...) Schläft die Regierung von Klaus Wowereit, während die Scientologen dabei sind in Berlin, Politik, Unternehmen und Gesellschaft zu unterwandern?" (14.7.2008)

Und wer nimmt solche Schlagzeilen ernst: „Scientologen nehmen Bundesregierung ins Visier - Internes Papier spricht von ‚planetarischer Rettungskampagne". (Januar 2007)

Eine groteske Idee und noch grotesker ist es, solche Phantastereien ernst zu nehmen und zu verbreiten.

Die Geschäftsführerin des Sekten-Info NRW, Sabine Riede, antwortet im März 2008 auf die Frage des WDR: „Welche Betriebe in NRW hat Scientology unterwandert?" Riede: „Im Bereich Management-Training und in der Immobilien-Branche sind einige Scientologen vertreten. Da liegen uns Unterlagen von Mitarbeitern vor, die unsere Beratungsstelle aufgesucht haben. Die Aktivitäten sind aber nicht auf diese beiden Zweige beschränkt. In einem weiteren Fall geht es um eine Druckerei, deren Leiter Scientologe ist und mehrere Angestellte missioniert hat. Es wurden sogar am Arbeitsplatz Scientology-Kurse abgehalten. Wir haben auch Hinweise auf einen Handwerker, einen Boutique-Besitzer, einen Spielzeug- und Geschenkartikel-Produzenten, einen Spielautomaten-Vertrieb sowie einen Fotografen. Wichtig ist zu wissen, dass es sich immer um Kleinbetriebe von bis zu maximal 100 Mitarbeitern handelt. Das es Scientology gelungen wäre, ein Großunternehmen zu unterwandern, ist momentan weder uns noch dem Verfassungsschutz bekannt."

Das ist also das weltumspannende, die Weltherrschaft anstrebende Netz von Scientology-Unternehmen, die demnächst wohl NRW übernehmen werden.

Wie ist Scientology in dieses Abseits geraten?

Anfang der 1970er Jahre war der Schock über die 1968er-Unruhen noch nicht überwunden, als vornehmlich die Kirchen Alarm schlugen, dass „Jugendsekten" immer größere Erfolge hätten und die Jugend „verderben" würde. Pastor Friedrich Wilhelm Haack, (1969 zum ersten Sektenbeauftragten der evangelischen Kirche für Bayern ernannt), der sich selbst in der Fortsetzung der Inquisition sah, formulierte diesen Begriff 1974 und fasste darunter insbesondere die Bhagwan-Bewegung, die Hare Krishna Bewegung, die Scientology-Kirche und die (Mun-)Vereinigungskirche.

1984 machte der seinerzeitige Münchener Kreisverwaltungsreferent Gauweiler den Versuch, die Münchener Scientology Organisation aus dem Vereinregister streichen zu lassen. Scientology konterte mit einer Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Der ermittelnde Staatsanwalt ließ aufgrund des „Verdachts des Betrugs, der Nötigung und des Wuchers, des Verstoßes gegen das Heilmittel- und Heilpraktikergesetz" in der Scientology-Zentrale umfangreiches Aktenmaterial beschlagnahmen. Ergebnis: Einstellungsbescheid des Strafantrags - aber auch keine Streichung aus dem Vereinsregister.

1989/1990 wird der Hamburger Immobilienmakler Görz Brase, der mit teilweise brachialen Methoden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandelt, den Scientologen zugeordnet.

1992 wird in Hamburg die „Arbeitsgruppe Scientology" eingerichtet und die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ursula Caberta y Diaz als Leiterin benannt. Frau Caberta war durch eine Strafanzeige gegen Scientology bekannt geworden, in der sie die Organisation im März 1991 aufgrund § 129 StGB als „kriminelle Vereinigung" angezeigt hatte. Die Ermittlungen wurden 1994 eingestellt, da die Staatsanwaltschaft keine Opfer von Scientology feststellen konnte und es keine „tatsächlichen Anhaltspunkte" für eine „kriminelle Vereinigung" gab.

Seit 1997 wird Scientology in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet.

„Scientology ist gefährlich" blieb haften und wurde von wenigen selbst ernannten „Scientology-Jägern" – vor allem Renate Hartwig und Ursula Caberta – aufgebaut und 'bedient'.

Die Buchtitel dieser Jahre sprechen für sich. „Scientology - Magie des 20. Jahrhunderts" (Haack, 1982) „Scientology - Ich klage an!" (Hartwig, 1994) / „Scientology. Das Komplott und die Kumpane" (Hartwig, 1995) / „Scientology. Die Zeitbombe der Wirtschaft" (Hartwig, 1994) / „Im Visier von Scientology: Haben Justiz, Sektenbeauftragte und Politik versagt?" (Hartwig, 1997) / „Scientology greift an. Der Inside-Report über die unheimliche Macht des Ron L. Hubbard" Caberta / Träger, 1997) / „Schwarzbuch Scientology" (Caberta, 2007) / „Kindheit bei Scientology. Verboten" (Caberta, 2008).

Allesamt reißerische Titel. Der Inhalt? Beängstigende Perspektiven, emotional aufbauschende Adjektive und dramatische Skizzierungen mit vielen Zitaten aus den großmäuligen Schriften Hubbards – und Fakten? Einzelne, wenige „Fälle" als Beleg.

Keine Frage, jeder dieser Fälle – bei denen sich Menschen gegen die Ausbeutung durch Mitarbeiter von Scientology nicht entschieden genug wehren konnten –, davon ist jeder Einzelne eine Schweinerei. Wenn das aber mit Verbot belegt werden sollte, dann müsste man auch die Teile der Finanzdienstleistungsbranche in Deutschland verbieten, von denen Kunden ‚über den Tisch gezogen' wurden.

Auffallend ist, dass der bayerische „Inquisitor" Friedrich Wilhelm Haack ebenso evangelischer Sektenbeauftragter war wie Pfarrer Thomas Gandow in Berlin, und die beiden letzten „Bestseller" von Ursula Caberta im evangelischen Gütersloher Verlagshaus erschienen sind. Renate Hartwig hat vorwiegend bei Pattloch publiziert, ein ebenfalls konfessionell orientierter Verlag.

Die Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Bayern (der seinerzeitige Innenminister Dr. Günther Beckstein ist Synodaler) fasste 1997 den Beschluss: „Lange Zeit wurde die Auffassung vertreten, es handele sich bei Scientology um eine ‚Jugendsekte'. In der Zwischenzeit sind die Evangelische und die Katholische Kirche und ihre Beauftragten - nicht zuletzt durch die Berichte vieler Aussteiger - zur Überzeugung gelangt, daß Scientology eine totalitäre Organisation ist, die unter dem Deckmantel des Begriffs ‚Kirche oder Religionsgemeinschaft' in Wirklichkeit wirtschaftliche und ideologische Ziele verfolgt."

Die Frage ist, ob Aufklärung, im Sinne einer sachgerechten Analyse, zu einem Thema überhaupt möglich ist, das öffentlich umgehend emotionalisiert wird, und jemand, der nicht sofort entschieden gegen Scientology spricht oder schreibt, auf der Stelle verdächtigt wird, ein Scientologe zu sein und zumindest mit den Scientologen zu sympathisieren.

Wir wollten in Erfahrung bringen, wie man als Besucher von Scientology behandelt wird und haben uns auf den Weg gemacht.

Selbstversuche vor Ort

Ortstermin 1: Während eines Berlin Aufenthaltes der unangemeldete Besuch im Gebäude der Scientologen. Eine freundliche junge Frau am Empfangstresen. „Wir sind zu Besuch in Berlin und möchten uns gerne über Scientology informieren." „Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich schicke Ihnen gleich jemanden." Es kommt ein Mann um die dreißig, dunkelblauer Anzug, fragt nach den Wünschen und platziert uns dann nach Rückfrage, ob es gewünscht sei, auf einem Sofa und lässt auf einem Monitor einen 15 Minuten-Film über Dianetik laufen. Anschließend gibt es eine entspannte Diskussion, ob es sinnvoll sei, sich die Narben des Lebens - er nennt sie „Engramme" und „Blockaden", ich nenne sie „Charakterkerben" - wegzutherapieren. Er preist „Dianetik" an und auf Frage und Nachfrage, ob man denn dafür Kurse belegen könne, empfiehlt er - sofern ernsthaftes Interesse bestehe - das „Dianetik" Buch von Hubbard. Wir sind ja ernsthaft interessiert, kaufen den dicken ‚Schmachter' (Großformat, 662 Seiten) für preiswerte 16,00 Euro und fragen wieder, ob man das alleine verstehen würde. „Lesen Sie es zusammen, dann müssten Sie es verstehen. Falls nicht, können Sie sich an eine unserer Kirchen wenden." Wir bedanken uns und gehen.
Kein Bedrängen, kein Verkaufen von teurer Literatur, kein Angebot, einen kostenlosen Test zu machen.

Ortstermin 2: Die „Tribüne", ein kleineres Theater in der Otto-Suhr-Allee, rund zweihundert Meter von dem Scientology-Gebäude entfernt, hat sich gegen die Belästigung seiner Theaterbesucher durch Scientology-Werber gewehrt und ein Plakat an der Tür: „Scientology freie Zone". Das kurze Gespräch mit einer Mitarbeiterin verdeutlicht, warum Theaterbesucher sich berechtigterweise belästigt fühlen. Dann wird die Frau aufgeregt: „Und stellen Sie sich vor, die haben da auch Kinder im Gebäude!"
Verwunderung. Anscheinend hat sie noch nie etwas vom katholischen oder evangelischen Kinderunterricht in den Kirchen und Gemeindehäusern gehört? (2006: 265.935 Erstkommunionen / 262.194 Konfirmationen = 528.129 Kinder/Jugendliche)

Scientology in Deutschland verbieten?

Mit Vorstellung des „Schwarzbuch Scientology" (im August 2007) ist eine neue Verbotsdiskussion angestoßen worden. Der erste Satz in dem Buch lautet „Die Scientology-Organisation ist keine Kirche." So der Beginn des Vorworts des damaligen Bayerischen Staatsministers des Innern und evangelischen Synodalen, Dr. Günther Beckstein. Ursula Caberta und der damalige Hamburger Innensenator Nagel fordern auf einer Pressekonferenz das Verbot von Scientology.

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) erklärt sich (im Dezember 2007) bereit, den staatlichen Stellen aktiv zur Seite zu stehen: „Sie beteiligt sich nach Kräften an einer umfassenden Aufklärungsarbeit, die über Hintergründe, Werbestrategien und Gefährdungen des scientologisches Traumes vom Übermenschen informiert und den illusionären Charakter der Verheißung von totaler Freiheit und Unsterblichkeit aufdeckt."

Die Tageszeitung DIE WELT plädiert dafür, die Verbotsdiskussion zu beenden, und bemerkt: „Auch Scientology scheint ihre beste Zeit in Deutschland hinter sich zu haben. Zwischen 6000 und 10 000 stagniert seit Jahren die Mitgliederzahl, und von jüngeren Eintrittswellen wissen nicht einmal Warner zu berichten. Das pompöse Berliner Zentrum wird meist nur von dessen Angestellten bevölkert, und selbst die oft angeführten kriminellen Machenschaften dieser ‚Kirche' sind so alten Datums, dass sich die Frage stellt, ob bei Scientology überhaupt noch gearbeitet wird."

Anfang Dezember 2007 erklärt die Arbeitsgruppe Scientology in einer Pressemitteilung: „Die Scientology Organisation soll aufgrund ihrer Gefährlichkeit durch die Verfassungsschutzbehörden näher beobachtet werden. Dies haben die deutschen Innenminister am Freitag in Berlin einstimmig beschlossen. Ziel ist die Einleitung eines vereinsrechtlichen Verfahrens, das ein Verbot zur Folge haben könnte." Und: „Auf Antrag Hamburgs haben sich die Mitglieder der Innenministerkonferenz einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder unter der Federführung des Bundes Informationen sammeln und bewerten, die für die Einleitung eines Verbotsverfahrens erforderlich sind."

Das verwundert. Welche Informationen hat die mehrköpfige Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Behörde für Inneres in 15 Jahren zusammengetragen, wenn diese Informationen noch nicht für ein Verbot ausreichen? Entweder es gibt diese Informationen nicht - wozu gibt es dann die Arbeitsstelle? - oder die Arbeitsstelle hat sie bisher nichts finden können - dann wäre sie dazu einfach unfähig?

Im Gegensatz zu der Darstellung der Leiterin der Hamburger Arbeitsstelle: „Wir haben genug beisammen, Scientology zu verbieten", heißt es: „Politiker nennen Scientology-Verbot aussichtslos."

Was ist Scientology?

Die Lösung der Frage, wie man die zahlreichen Informationen, die es zu Scientology und ihrem Begründer / Propheten L. Ron Hubbard gibt, auf ‚den Punkt' bringen kann, ist einfach, wenn man mit der Beschreibung von Christopher Hitchens (in: „Der Herr ist kein Hirte") über Joseph Smith, den Gründer / Propheten der Kirche der Heiligen der letzten Tage („Mormonen") beginnt und sie parallel umformuliert.

„Scientology wurde von einem begnadeten Opportunisten gegründet, der seine Texte zwar bewusst mit von der Wissenschaft entliehenen Begriffen schmückte, jedoch verkündete: ‚Über die Scientology geht niemals die Sonne unter: Und möge für Sie, für die, die Sie lieben, und für die Menschheit ein neue Tag anbrechen. Unsere Ziele sind einfach, aber groß.'"

Und ebenfalls in Parallelität zu der Beschreibung Christopher Hitchens über Smith und die Mormonen: „Erstens verfügte Hubbard allen Berichten – auch seiner Gegner – zufolge über großen natürlichen Charme, Autorität und Redegewandtheit, die von Max Weber so bezeichnete ‚Führungsqualität'. Zweitens verlangte es nach dem Ende des grauenhaften Zweiten Weltkriegs (Pazifikschlachten, Atomwaffeneinsatz) in den USA nach einem Neuanfang im Westen. Deshalb übte die Prophezeiung einer „friedlichen Zukunft" durch einen neuen Führer - und durch neue ‚heilige Schriften' - unterschwellig eine große Anziehungskraft aus. Die Ausbreitung der Scientologen in den USA, die Auseinandersetzungen mit den Psychiatern, dem FBI und der Steuerbehörde bekräftigten ihre Vorstellungen von Auserwähltheit und Überleben, aber auch das Bild des „raw meat", wie die Scientologen Nicht-Mitglieder abschätzig bezeichnen.

Scientology ist eine Geschichte, die man – anders als ihren Ursprung aus zusammengeklaubten Erfindungen – durchaus mit Respekt lesen kann. Zwei bleibende Makel haften jedoch an ihr: Der erste ist, dass die ‚wissenschaftlichen Grundlagen' so plump und offensichtlich phantasiert sind und von Hubbard so eigennützig interpretiert wurden. Der zweite ist der – für den Normal-Europäer und insbesondere für ‚biedere' Deutsche – primitive und abstoßende Wille der Scientology, Geld zu machen."

Scientology und der Wille „Geld zu machen"

Ein Vorbehalt in Deutschland, der allerdings erstaunlich ist. Die beiden christlichen Großkirchen in Deutschland erhalten derzeit pro Jahr von ihren Mitgliedern rund 9 Milliarden Euro aus Kirchensteuern sowie Vergünstigungen und Zuschüsse von rund 20 Milliarden Euro aus allgemeinen Steuergeldern und mit rund 44 Milliarden Euro werden ihre Sozialeinrichtungen aus Öffentlichen Mitteln finanziert, mit denen die Kirchen „selbstlos Gutes tun".

Sowohl der bayerische Ministerpräsident Beckstein, ein bekennender evangelischer Christ, und insbesondere die Leiterin der Hamburger „Arbeitsgruppe Scientology", Ursula Caberta, verweigern der Scientology rundweg die Bezeichnung „Scientology Kirche", da es sich um einen Gewerbetrieb handele, der sich mit dem Kirchenstatus einen privilegierten Status der Steuerfreiheit erlangen wolle.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen? Im Jahr 311 erließ der römische Kaiser Galerius das Toleranzedikt von Nikomedia, mit dem die Christenverfolgungen beendet wurden. Mit einem zweiten Dekret, zwei Jahre später, 313, erhielten die christlichen Priester das Privileg der Steuerbefreiung.

Welche organisierte Religion hatte bisher nicht den Zweck, mit individuellen Heilsversprechen einer Elite von „Wissenden" (den Priestern und Vorbetern) erst einmal sich selbst ein gesichertes Einkommen und Wohlstand zu garantieren, indem es die eigenen Gläubigen mental ‚metaphysierte' und finanziell zur Kasse bat. Dieser harte Kern jeder Geschäftsidee - seien es Banken, Versicherungen oder Religionsgesellschaften - vorrangig Geld für sich selbst und den eigenen ‚Apparat' zu verdienen, wobei Dienstleistungen und Versprechungen dafür nur Mittel zum Zweck sind, ist bei Scientology unmissverständlich zu erkennen.

Der kulturelle Unterschied der Einstellung zum Geld zwischen Deutschland und den USA ist grundlegend. Während in Deutschland ausgeprägte Vorbehalte gegen „Reichtum" bestehen und - insbesondere - die Glaubwürdigkeit der Kirchen davon abhängt, dass sie (angeblich) arm sind, ist in den USA das Geld der Maßstab für Erfolg. Insofern stößt die ‚hemdsärmelige Ungeniertheit' „Geld zu machen" in Deutschland auf Unverständnis und Abwehr.

Das Amerika der Nachkriegsjahre

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Scientology und christlichen Kirchen ist zudem die hundertprozentige „Amerikanität" der Scientologen, die für einen gebildeten Europäer eher wie schlechter Geschmack aus der Ära der Straßenkreuzer aussieht. Die Buchumschläge, die CD-Hüllen, die Ausstattung der Räume und Symbole, die Festdekorationen, die Sprache und der Stil – alles erinnert an einen US-amerikanischen Emporkömmling, der vorher Cowboy war und für den alles etwas zu bunt, zu schrill, zu aufgedonnert und gewaltig sein darf. Die Aufmachung der Science-Fiktion-Geschichten des Perry Rhodan lässt grüßen.

Insofern erinnert Vieles bei Scientology – und noch mehr von dem, was der Organisation nachgesagt wird –, an den Stil und das Auftreten des „hässlichen Amerikaners" der Nachkriegszeit, der sich mit durchaus ruppigen Methoden „breit" machte und primär daran interessiert war, hier und jetzt Umsatz zu erzielen und Geld zu verdienen.

Deutsche Bundesbürger, die nach dem Zweiten Weltkrieg in keiner Weise entzückt darüber waren, von den ‚unkultivierten Cowboy-Typen der US-Army' „befreit" worden zu sein, gingen entsprechend auf Konfrontationskurs, als die Scientologen ebenfalls eine „Befreiung" versprachen, und das ebenfalls mit amerikanischen Methoden. Das Maß war voll: Nach Sex, Drugs und Rock'n Roll ... nun auch noch Scientology! Und das auch noch als Strukturvertrieb?

Das Wissen, dass die Bundesrepublik eine „Bananenrepublik" der US-Amerikaner war, verband sich problemlos mit Verschwörungsängsten, dass die Scientologen die Deutschen genau so ‚übernehmen und unterwerfen' wollten, wie die deutschen Truppen es selber im Zweiten Weltkrieg mit anderen Völkern getan hatten. Die Ankündigung der Scientologen (2007) „Wir sind im Krieg mit Europa" tat ein Übriges, nicht mehr zwischen großmäuligen Ansprüchen und geringen Realitäten zu unterscheiden.

Der Psychiater Robert Jay Lifton in seinem Buch über Gehirnwäsche: "Thought Reform and the Psychology of Totalism: A Study of Brainwashing in China" definiert, wie diese Beeinflussung funktioniert. (Quelle) Demnach gibt es acht Kriterien für diese Technik, die sich auch auf Scientology übertragen lassen.
1. Die Kontrolle der Beziehungen zur Außenwelt (Scientologen werden angehalten, sich von so genannten unterdrückerischen Personen selbst in der eigenen Familie fernzuhalten); 2. Die Behauptung, die Gruppe habe höhere Ziele als der Rest der Welt (Scientology gilt als unfehlbare Lehre); 3. Die Beichte (Scientologen unterziehen sich regelmäßigen Tests mit dem E-Meter, einer Art von „Lügendetektor"); 4. Ein Reinheitsgedanke (Scientologen befinden sich in einem lebenslangen Reinigungsprozess); 5. Die Lehre einer heiligen Wissenschaft (Scientology beansprucht einen Vorsprung vor den Naturwissenschaften); 6. Einen schwer verständlichen Jargon (schon das Buch "Dianetik" enthält ein 75-seitiges Glossar); 7. Eine Gruppendoktrin (die Gruppe ist wichtiger als das Individuum); 8. sowie ein Heilsversprechen (Scientologen arbeiten auf eine Erlösung von den Seelen Außerirdischer hin, die nach den Lehren Hubbards jeden Menschen daran hindern, zum „wahren Menschen" zu werden).

In unterschiedlicher Intensität der einzelnen Merkmale gelten diese Kriterien jedoch für so gut wie alle „geschlossenen" Glaubensvorstellungen oder Ideologien – darin hat Scientology keinerlei Alleinstellungsanspruch. Nur die Art, womit den Suchenden Angst gemacht wird oder ihre Hoffnungen geweckt werden, unterscheiden sie voneinander. Kernelement ist dabei häufig die Idee einer „Reinigung" oder eine „Befreiung" in verschiedensten Variationen.

Insofern ist es nahe liegend, Scientology mit dem katholischem „Opus Dei" zu vergleichen, wie es Billing und Sauer (2000) tun und Michael Schmidt-Salomon (2002), der u.a. zu dem Ergebnis kommt: „Beide Organisationen zeichnen sich aus durch charismatische Gründerfiguren, paranoide Heilslehren, geschickte Manipulationstechniken, scharfe Kontrollmechanismen und ein jenseits aller Kritik stehendes Führerprinzip, das absoluten Gehorsam verlangt."

 

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