Konterrevolution von links?

(hpd) Anlässlich einer runden Wiederkehr des Jahres 1968 erscheinen regelmäßig Publikationen zu der seinerzeitigen Protestbewegung

: Die eine Seite beklagt deren Wirken, sieht man doch in ihr die Hauptursache für den kulturellen und politischen Erosionsprozess in der Gesellschaft. Die andere Seite huldigt die Achtundsechziger, gelten sie doch als die eigentlichen geistigen Begründer der Demokratie. Zwischen diesen beiden Polen tobt dann eine emotionale Debatte ohne neuere Deutungen und Perspektiven.

 

Einen innovativen Blick auf die Protestbewegung will demgegenüber der Würzburger Historiker und Politikwissenschaftler Leonrad Landois werfen. Seine Studie „Konterrevolution von links. Das Staats- und Gesellschaftsverständnis der ‚68er' und dessen Quellen bei Carl Schmitt" spürt dem Einfluss des bedeutenden Staatsrechtlers nach. Dieser gehörte seinerzeit zu den publizistischen Gegnern der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik und galt zeitweilig als „Kronjurist des Dritten Reichs". Doch welche Gemeinsamkeiten gibt es mit den Achtundsechzigern?

Dieser Frage will Landois mit einem Vergleich der jeweiligen zeitgenössischen Quellen Carl Schmitts und Rudi Dutschkes in den fünf Kapiteln seiner Arbeit nachgehen. Zunächst steht das Verständnis des Mythos als moralischer Quelle revolutionärer Ideen im Zentrum, wobei insbesondere dem voluntaristischen Faktor Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dem folgt eine Auseinandersetzung mit der Befreiung des Ich aus dem Bewusstsein der Negation, verbunden mit der Hervorhebung des Determinismus und Existentialismus in beiden geistigen Spektren. Hier folgt eine Auseinandersetzung mit der Kritik am Parlamentarismus, die sich auch dem gegenseitigen Ausspielen von Legalität und Legitimität widmet. Danach geht es um die Bedingtheit der Gewalt im Wesen der Politik, wobei auch die angeblich moralische Pflicht zur Gegenwehr angesprochen wird. Und schließlich widmet sich die Arbeit dem Bild vom neuen Staat, der die Form eines Genossenschaftsmodells und einer Rätedemokratie angesichts von politischer Homogenität und Identität in der Gesellschaft annehmen konnte.

Bilanzierend bemerkt Landois: „Dutschkes sittliches Programm zur Rettung der letzten bürgerlichen Prinzipen muss in der Traditionslinie der konservativen Systemkritik Carl Schmitts als Schutzschild eines christlich verankerten Autoritarismus gedeutet werden, der die Gesellschaft vor der sich beschleunigenden Tendenz des alles und jeden vereinnahmenden Nihilismus schützen hatte wollen." Und weiter: „Denn so wie Carl Schmitts ‚Begriff des Politischen' als Wegbeschreibung in einen autoritären Staat gelesen werden muss, folgte den rebellierenden Studenten ihrem modernen ‚sozialen Mythos' zwangsläufig der terroristische ‚Widerstand' einer RAF. Der ursprüngliche Antiautoritarismus fiel sich dabei selbst zum Opfer und ebene den Weg zur Selbstzerstörung ... Wie bereits in der ‚Konservativen Revolution' hatten die ‚68er' ihren Anfang und Kern in den ganz wesentlichen Fragen nach der kritischen Selbstsicht des Menschen, nach dem ideellen Gehalt seines Tuns und dessen metaphysische Bindung an Gott" (S. 247f.).

Insbesondere bei Johannes Agnoli und Hans-Jürgen Krahl, zwei bedeutenden Theoretikern der Achtundsechziger, fielen immer wieder Anklänge an Argumentationsmuster von Carl Schmitt auf. Daher war eine detaillierte Untersuchung dieses Einflusses mehr als nur überfällig. Landois kann damit verbundene Erwartungen aber nur in Ansätzen erfüllen. Dafür gibt es drei Gründe: Er holt in den einzelnen Kapiteln ideengeschichtlich weit aus, verkoppelt die referierten Inhalte dann aber nicht mit seinem eigentlichen Analysethema. Das Fehlen einer genau entwickelten Fragestellung und eines darauf bezogenen Untersuchungsrasters lässt die Ausführungen außerdem fragmentarisch und unsystematisch erscheinen. Darüber hinaus konzentriert der Autor sich auf eine vergleichende Betrachtung mit Dutschke, obwohl dieser sich an keiner Stelle seiner Veröffentlichungen direkt auf Schmitt berufen hatte. Dies räumt der Autor in einer Fußnote (vgl. S. 22, Fn. 36) selbst ein, ohne aber die daraus entstehenden methodischen Probleme stärker zu thematisieren.

Und schließlich stellt Landois bei den vergleichenden Betrachtungen zur Ideologie mehr auf formale und weniger auf inhaltliche Gemeinsamkeiten ab. Nur so erklären sich kaum nachvollziehbare Aussagen wie: „So entwickelte Dutschke zwar ein dem Namen nach rätedemokratisches Konzept, doch entsprach dieses im Kern und der praktischen Ausgestaltung nach dem Genossenschaftsmodell völkischer Staatsrechtler innerhalb der ‚Konservativen Revolution' der 20er und 30er Jahre" (S. 220f.). Inhaltlich bestanden hier doch grundlegende Unterschiede, die eine solche Einschätzung nach formalen Kriterien ausblendet. Ähnliches gilt für andere kritikwürdige Aspekte der Studie: Durchaus zutreffend verweist Landois darauf, dass den Achtundsechzigern ein identitäres Gesellschaftsbild eigen war. Doch dürfte der geistigen Anknüpfungspunkt mehr bei Rousseau und weniger bei Schmitt zu finden sein. Hier verliefen die Linie ideengeschichtlicher Kontinuitäten doch sicherlich nicht so kausal wie von dem Autor behauptet.

Armin Pfahl-Traughber

 

Leonard Landois, Konterrevolution von links. Das Staats- und Gesellschaftsverständnis der „68er" und dessen Quellen bei Carl Schmitt (Würzburger Universitätsschriften zu Geschichte und Politik 11), Baden-Baden 2008 (Nomos-Verlag), 299 S., 59 €