HAMBURG. (hpd) Auf Einladung der Humanistischen Union (HU) referierte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte, Hartmut Lubomierski, am Mittwochabend (29.10.) zum Thema „Steuernummer für alle - Ende der Privatheit?" Seine Prognose war pessimistisch.
Der Vortrag beschäftigte sich mit dem zentralen Anliegen des Datenschutzes, der Gefahr des Verlustes der Privatheit durch ein immer enger werdendes Kontrollnetz des Staates. Die aktuelle Frage war, ob die Steueridentifikationsnummer (SteuerID) für alle, die jeden Bundesbürger vom Beginn bis zum Ende seines Lebens begleiten soll, schon die verfassungswidrige Personennummer oder nur eines der vielen kleinen Instrumente, die in ihrer Gesamtheit den Bürger für den Staat transparent und damit manipulierbar machen können? Wie hoch ist die Missbrauchsgefahr bei einer schon auf den ersten Blick unangenehm technokratisch wirkenden Identifikationsnummer?
Betrachtet man als Ende der Privatheit, dass immer mehr Daten zu einem Persönlichkeitsprofil zusammengeführt werden, dann wäre ein Personenkennzeichen dafür das geeignete Kernelement. Ist die Steuer-ID ein derartiges Personenkennzeichen?
Auch wen der Datenschutzbeauftragte einräumt, dass diese Gefahr bestehe, betont er, dass rein juristisch diese Möglichkeit nicht bestehe - wenn, und das sei das Entscheidende, im Gesetz keinerlei „Öffnungsklauseln" durch Rechtsvorschriften vorgesehen seien. Sofern die Steuer-ID tatsächlich nur für Steuerregister erlaubt sei, dann wäre diese Möglichkeit nicht gegeben. Aber politisch ist dieser Spielraum gegeben und die Parlamente hätten den Datenschutz in den vergangenen Jahren eifrig duchlöchert. Die Steuernummer selber sei aber keineswegs das Ende der Privatheit.
Die Klage der Humanistischen Union hält der Referent für wenig aussichtsreich, aber er begrüßt sie ausdrücklich als Mobilisierungselement, denn es gibt in vielfältiger anderer Weise bereits eine umfassende Erfassung persönlicher Daten.
Die Orwellsche Vision (in „1984"), dass unser Denken erfasst und katalogisiert wird, sei schon partiell Realität, denn wir kommunizieren und konsumieren.
Ohne Kommunikation sind wir nichts
In Fortführung des „cogito, ergo sum" (Ich denke, also bin ich) könnte es modern heißen: „Ich kommuniziere, also bin ich!" Jedes mal, wenn der Nutzer im Internet einen Klick macht, wird der erfasst und gespeichert, jedes mal, wenn jemand mit einer EC-Karte bezahlt, wird es erfasst, jede Aktivität eines Mobiltelefons wird erfasst und gespeichert. „Man weiß, wo Ihr Handy ist, dann weiß man auch, wo Sie selber sind."
Diese Datenerfassung, die von der Wirtschaft ausging, um einen „gläsernen Kunden" zu bekommen, ist zur rein wirtschaftlichen Leistungserbringung eigentlich nicht erforderlich. Aber die Industrie erstellt mit den Daten der Kundenkarten, Einkäufe, Zahlungen, etc. Infrastrukturen, auf die der Staat zugreift. Nicht der Staat speichert Daten, sondern die Wirtschaftsunternehmen.
Datenfriedhöfe? Nein!
Die Abwehr, dass diese Unmenge von erfassten Daten nicht mehr erfassbar oder auswertbar seien, die Daten also gleichsam auf „Datenfriedhöfen" sicher seien, verkennt völlig die technischen Möglichkeiten und den Alltag. Täglich werden in Deutschland rund 250 Millionen Kontendaten erfasst, auf google greifen täglich rund 1 Milliarde Menschen zu und werden erfasst, die google-Mails werden nach Schlüsselwörter durchsucht und man bekommt prompt eine passende Werbeanzeige zugeschickt.
Die Hardware ist immer billiger, die Software immer leistungsfähiger geworden. In Einkaufszentren werden Videos aufgezeichnet und automatisch ausgewertet, zukünftig sollen alle Gehälter (rund 30 Millionen Datensätze) monatlich gespeichert werden, etc., etc. Die Polizei fordere das „volle Programm". Für eine Terroristenabwehr wäre ein solches Vorgehen noch richtig, denn die Tatabsichten müssen vorher erkannt werden. Aber es gibt keine eindeutigen Täterprofile mehr und so entsteht eine flächendeckende verdachtsunabhängige Personenkontrolle.
Besteht also überhaupt noch ein „informationelles Selbstbestimmungsrecht" - ein Grundrecht? In dieses Grundrecht wird vom Gesetzgeber ständig eingegriffen. Statt es zu schützen, verstoßen die Parlamente ständig gegen dieses Grundrecht und denken nicht mehr vom Bürger au, sondern vom Staat her. Beispielsweise definiert das deutsche Datenschutzgesetz die Durchgriffslöcher für die Wirtschaft, so dass immer mehr das Prinzip um sich greift: „Ware gegen (persönliche) Daten".
Warum schreit niemand dagegen auf?
Die Technik ist so bequem und jeder Bürger meint, er habe nichts zu verbergen. Es ist kaum zu fassen, was jeder von uns schon freiwillig an Daten preisgegeben habe. Wir erleben diese Datenspeicherungen ja auch nicht, sie laufen unmerklich „im Hintergrund", ohne dass wir etwas davon merken.
Die nächste Volkszählung wird es auch nur als Registerabgleich geben, denn die verschiedenen Register bestehen bereits und werden durch Öffnungsklauseln „abgleichbar".
Es sind einfache Grundsätze, die jeder beachten kann, z.B.:
- Alles, was elektronisch geschieht -, auch höchst „privates", wenn man „alleine" vor dem PC sitzt -, alles wird erfasst und gespeichert.
- Es gibt elektronisch keine „Gnade des Vergessens".
- „Privatheit" gibt es nur noch „offline", wenn jemand ohne Handy und auf dem Fahrrad unterwegs ist.
Die neuesten Autos speichern auch jedes technische Verhalten des Fahrers während der Fahrt.
Dominanz des technisch Machbaren, bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit der Überwachung
Wir sind eine Informationsgesellschaft durch Technik geworden. Aber was bedeutet diese Gefahr, wenn es im Internet eine neue Möglichkeit der „Selbstveröffentlichung" gibt, eine Preisgabe persönlichster Informationen?
Der Referent ist skeptisch: „Wahrscheinlich ist ‚Privatsphäre' ein Auslaufmodell. Und: Um die Privathit zu verlieren, bedarf es nicht mehr der Steuer-ID, jeder ist bereits detailliert erfasst.
In der engagierten Diskussion wurden konkrete Beispiele genannt: Falls sie sich mehrmals bei einem Versandhaus beschwert haben, wundern Sie sich nicht, wenn Sie nicht mehr telefonisch durchkommen - Ihre Telefonnummer ist als „Querulant" gespeichert und blockiert. Sie haben vielleicht zweimal versäumt, die Handyrechnung zu bezahlen? Dann wundern Sie sich nicht, wenn Sie Jahre später keine Wohnung bekommen, da die Schufa-Auskunft negativ ist: „säumiger Zahler":
Wo wird die Steuer-ID überall eingesetzt werden? Arbeitgeber setzen sie bei Überweisungen der Abgaben an die Finanzämter ein, die Banken brauchen sie für die Abgeltungssteuer, die Rentenversicherung bei der Rentenberechnung...
CF