Bundesprüfstelle an der Nase herumgeführt

BONN. (hpd) Anfang September 2007 waren zwei Bücher von Rudolf Steiner knapp der Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entgangen - weil der Verlag zusicherte, alsbald kommentierte Neuauflagen herauszubringen und bis dahin das Buch nur mit einer Beilage auszuliefern. Doch nach über einem Jahr ist noch immer nichts geschehen.

 

Wer etwa das Buch „Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie" über den Buchhandel bestellt, erhält die bisherige Auflage und zwar ohne einen Beipackzettel, der auf Risiken und Nebenwirkungen des Gedankenguts von Rudolf Steiner hinweist.

Dabei hatte die Bundesprüfstelle in ihrer Entscheidung vom 6.9.2007 ausdrücklich festgestellt, dass das Werk des Begründers der Waldorfschulen „in Teilen als zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen" sei. Auf eine Indizierung war damals verzichtet worden, weil die Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, deren Verlag das Buch vertreibt, zugesichert hatte, selbst für Abhilfe zu sorgen: „Das 12er-Gremium hat jedoch aufgrund der Erklärung des Verlages, zukünftig das benannte Buch nicht mehr in der vorliegenden Form zu veröffentlichen, gemäß § 18 Abs. 4 JuSchG, und damit wegen der Annahme eines Falls von geringer Bedeutung, von einer Listenaufnahme abgesehen. Die vorhandenen Restexemplare der gegenwärtig letzten Auflage erhalten nach Zusicherung des Verlages eine kritisch kommentierende Beilage. Die in Vorbereitung befindliche Neuauflage wird, in Anlehnung an die Verfahrensweise bei den niederländischen Ausgaben, eine kommentierte Ausgabe sein."

Da der Vorgang zu einer umfangreichen kritischen Berichterstattung über die rassistischen Vorstellungen Rudolf Steiners und den Umgang der Anthroposophen damit führte, sahen sich diese im Folgenden gezwungen einzuräumen, dass „einzelne Formulierungen" im vielbändigen Schrifttum Steiners „diskriminierend wirken" könnten. In einer „Stuttgarter Erklärung" betonte der Bund der Freien Waldorfschulen, dass sich Anthroposophie gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus richte. Und aus der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung war zu hören, dass für die publizistischen Vorhaben keine „Kompromisslösung" angestrebt werde; die Basler Zeitung zitierte den Präsidenten der Einrichtung mit den Worten: „Wir wollen einen klaren Umgang mit der Problematik." Doch bereits damals wurden Stimmen laut, die selbstkritischen Einsichten könnten vielleicht nur vorgetragen worden sein, um den Erwartungen der Öffentlichkeit nachzukommen; ob sich hier tatsächlich ein Kurswechsel innerhalb der deutschsprachigen Anthroposophen, die Steiner bislang stets als ausschließliche Lichtgestalt dargestellt hatten, andeute, bleibe abzuwarten.

Dass die Überarbeitung der Steiner-Ausgaben nicht (oder zumindest noch nicht) erfolgt ist und offenbar auch kein kommentierendes Beiblatt beigelegt wird, deutet darauf hin, dass diejenigen Recht behalten haben, die in den Verlautbarungen und Pressekonferenzen im Herbst 2007 nur eine Inszenierung für Medien und aufgeschreckte Waldorf-Eltern sahen. Diesen Eindruck verstärken Äußerungen aus anthroposophischen Kreisen, welche die Entscheidung im Indizierungsverfahren als „Freispruch" interpretieren. So erläuterte Henning Kullak-Ublick, Mitglied im Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen, in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur der Hörerschaft, die Bundesprüfstelle habe die inkriminierten „Stellen für unwesentlich erklärt und ... sie eben nicht indiziert. Gerade das hat sie ja nicht getan. Sie wäre dazu verpflichtet gewesen, wenn sie die eben als rassendiskriminierend angesehen hätte." Angesichts der Tatsache, dass in der Entscheidung 5505 explizit steht, dass das Zwölfergremium zu dem Ergebnis gekommen ist, dass „Die Mission einzelner Volksseelen" in Teilen „als zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen" sei, muss sich Kullak-Ublick eine Verdrehung der Fakten vorwerfen lassen. Noch dreister fabulierte die „Wochenschrift für Anthroposophie" Das Goetheanum, als sie bereits im Oktober 2007 wahrheitswidrig behauptete, Vertretern des Dornacher Rudolf-Steiner-Verlages sei es gelungen, „die deutsche Bundesstelle für jugendgefährdete [sic!] Medien zu überzeugen, dass Steiner in der Tat kein Rassist war".

Dem Vernehmen nach soll mittlerweile auch die Bundesprüfstelle davon Kenntnis haben, dass die Rudolf Steiner Nachlassverwaltung ihre im Zuge des Indizierungsverfahrens abgegebenen Zusagen nicht eingehalten hat. Bei der Staatsanwaltschaft in Berlin ist derweil eine Strafanzeige eingegangen; geprüft werden soll, ob die Steiner-Nachlassverwalter durch ihr Verhalten gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen haben. Erstattet hat sie Andreas Lichte, der seinerzeit in dem Fall als Gutachter vor der Bundesprüfstelle aufgetreten war. Er hatte sich im Oktober das betreffende Buch bestellt und die Mogelpackung entdeckt. Die Hinhaltetaktik der Steinerianer empört ihn: „Ich halte es für einen Skandal, dass der Rudolf Steiner Verlag seine Selbstverpflichtung einer kritisch kommentierten Neuausgabe nicht erfüllt hat. Die Neuausgabe sollte ja innerhalb eines Jahres nach dem Verfahren vor der Bundesprüfstelle, also bereits zum 6. September 2008, erschienen sein."

Ohnehin stelle sich ihm die Frage, so der ehemalige Waldorf-Seminarist, der als Insider gelten kann, „ob hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht" worden sei. Denn im Vorfeld des Verhandlungstermins hatten die anthroposophischen Vertreter immer wieder vorgetragen, es gebe überhaupt keine Rassenlehre und keinen Rassismus bei Rudolf Steiner. Und im Nachhinein kehren sie genau zu dieser Einschätzung wieder zurück und führen sogar die Entscheidung der Bundesprüfstelle als Beleg dafür an, dass Steiners Tiraden über den „Rassencharakter" der Europäer oder die kaukasische Rasse, die „auf die Sinne hin organisiert" sei, selbstredend mit Rassismus nichts zu tun habe. Ob die Anthroposophen damit durchkommen? - Auf der juristischen Ebene möglicherweise, denn es ist unklar, ob die Einhaltung der Zusagen erzwungen werden kann. Dem Ansehen der Anthroposophie und damit auch der Waldorfschulen sind solche Versuche, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen, jedoch wohl eher abträglich.

Gunnar Schedel

In der Anlage zwei Hintergrundsartikel aus den „Materialien und Informationen zur Zeit" (MIZ) zur Thematik.