"A Devil's Chaplain" von Richard Dawkins

"A Devil's Chaplain" ist eine Sammlung von Essays, in denen sich der Evolutionsbiologe Richard Dawkins mit unterschiedlichen Themen beschäftigt,

von Memen über Darwinismus bis hin zu Religionen. "Darwins Rottweiler" kennt dabei kein Erbarmen und sagt noch deutlicher als in seinen anderen Büchern, was er von irrationalen Weltanschauungen hält.

Seine Aufsätze sind von einem ausgezeichneten Stil geprägt, mit dem Dawkins genauso logisch wie humorvoll komplexe Zusammenhänge erklärt und kommentiert. Auch Anfänger werden mit den meisten Texten etwas anfangen können, nur selten überwiegt wissenschaftliche Fachsprache. Oberflächliche Kenntnisse wissenschaftlicher Zusammenhänge und aktueller Debatten sind allerdings empfehlenswert.

Die hier vorgestellte amerikanische Ausgabe - das Buch ist in Deutschland noch nicht erhältlich - beginnt mit einer kurzen Einführung inklusive der üblichen Danksagungen. Die folgenden Aufsätze sind sieben verschiedenen Themengebieten untergeordnet.

Thema 1: "Science and sensibility" (Wissenschaft und Aufklärung)

Im ersten Aufsatz, "A Devil's Chaplain" erklärt Dawkins, warum er den Darwinismus als Wissenschaftler so vehement verteidigt und warum er den Sozialdarwinismus als Humanist so radikal ablehnt: "Es ist nicht unlogisch, den Darwinismus als akademischer Wissenschaftler zu bevorzugen, während man ihn als Mensch ablehnt; genau so wenig, wie es ein Widerspruch ist, Krebs als akademischer Arzt zu erklären, während man ihn als praktizierender Arzt bekämpft." Außerdem erfährt der Leser die Bedeutung des Buchtitels. Darwin schrieb 1856: "Welch ein Buch könnte des Teufels Kaplan schreiben, über die stümperhaften, verschwenderischen, fehlerhaft niederträchtigen und grausamen Werke der Natur?" Ein ganz hervorragendes Buch, wie Dawkins beweist.

Im zweiten Aufsatz mit dem Titel "What is true?" (Was ist wahr?) richtet sich Dawkins entschieden gegen den Relativismus. "Es ist für immer wahr, dass die DNA eine Doppelhelix ist, wahr, dass, wenn du und ein Schimpanse (oder ein Oktopus oder ein Känguruh) die Spuren deiner Vorfahren weit genug zurück verfolgst, du irgendwann auf einen gemeinsamen Vorfahren treffen wirst. Für einen Pedanten sind das trotzdem nur Hypothesen, die morgen vielleicht falsifiziert werden. Aber dies wird niemals geschehen."

In Essay Nummer 3, "Gaps in the Mind" (Lücken im Verstand), fordert Dawkins provokativ Menschenrechte für Affen, mit der Begründung, dass Menschen Affen sind und die Unterschiede zwischen Menschen und anderen Affen keinen "double standard", keine Doppelmoral, erlauben. Er richtet sich also gegen den Speziesismus.

Bei "Science, Genetics and Ethics: Memo for Tony Blair" (Wissenschaft, Genetik und Ethik: Memo für Tony Blair) handelt es sich um einen Aufsatz, den Dawkins für den britischen Premierminister geschrieben hat. Es geht um das Human Genome Project, um Menschenklone, DNA-Fingerabdrücke, Homäopathie und viele weitere Themen, von denen sich Dawkins wünscht, dass Blair etwas von ihnen versteht. Witzig sind Dawkins Bemerkungen hier und an anderer Stelle, was er von Prinz Charles und seinem Antrag auf Steuergelder für "Alternative Medizin" hält. Dawkins lässt sich allerdings hin und wieder zu unklaren Bemerkungen und Überinterpretationen von Forschungergebnissen hinreissen. So behauptet er, es sei eines Tages möglich, das Alter jedes Menschen genau zu bestimmen, also seinen Todestag festzustellen. Was er meint, ist das genetische Alter. Natürlich kann niemals jemand vorhersagen, ob und wann jemand von einem LKW überfahren wird. Überhaupt lässt er Umwelteinflüsse bei dieser Aussage unberücksichtigt. Dazu kommt seine falsche Bewertung der "Müll-DNS", die er, wie damals die meisten Biologen, für ein funktionsloses Überbleibsel der evolutorischen Entwicklung hält. Inzwischen, seit 2004, wissen wir jedoch, dass diese "Müll-DNS" eine sehr wichtige Funktion hat, nämlich im Zusammenwirken von Umwelt und Genen. An sich nicht schlimm, wenn sich Dawkins auch mal irrt, aber er ist jemand, der den aktuellen Stand der Wissenschaft gelegentlich überbewertet. Meine Empfehlung zu diesem Thema: "Das Gedächtnis der Körpers" von Joachim Bauer und "Darwin und die Götter der Scheibenwelt" von Terry Pratchett, Ian Steward und Jack Cohen. In letztgenanntem Buch wird unter anderem Dawkins auf hohem Niveau kritisiert.

In "Trial By Jury" (Gericht durch Geschworene) erzählt Dawkins von seinen Erfahrungen als Geschworener und überlegt, wie man das Gerichtssystem verbessern könnte. Sein Ergebnis: "Wenn ich weiß, dass ich schuldig bin, bevorzuge ich einen wilden Haufen Geschworener, je ignoranter, je vorurteilsbehafteter und launischer, desto besser. Aber wenn ich unschuldig bin und der Idealzustand von verschiedenen unabhängigen Beobachtern, welche das Urteil fällen, nicht erhältlich ist, dann gebt mir bitte einen Richter."

"Crystalline Truth and Crystal Balls" (Kristallklare Wahrheit und Kristallkugeln) ist eine Kritik an esoterischen Spielereien mit "magischen" Kristallen. Diesen stellt Dawkins die Faszination von Kristallen aus naturwissenschaftlicher Sicht entgegen.

Das vorletzte Essay des Themengebiets ist eines der besten: "Postmodernism Disrobed" - etwa "Postmodernismus mit heruntergelassenen Hosen". Hier kritisiert Dawkins die postmoderne Philosophie und enthüllt sie als sinn- und inhaltslose Wichtigtuerei von bestimmten Geisteswissenschaftlern, denen es nicht passt, dass ihr Gebiet viel einfacher ist als die Naturwissenschaften. Gut, darüber lässt sich streiten. Eine Bündelung der Kräfte wäre sicherlich wünschenswerter als diese Sticheleien, auch wenn sie manchmal Spaß machen. Dawkins ist schließlich auch ein großer Literaturfreund. Am Ende weist er darauf hin, dass ein Computerprogramm namens "Postmodernismus-Generator" diese Philosophie mindestens so gut darstellen kann wie ein postmoderner Philosoph.

Der krönende Abschluss von Thema 1 ist: "The Joy of Living Dangerously: Sanderson of Oundle" (Das Vergnügen, gefährlich zu leben: Sanderson of Oundle). Es handelt sich um Dawkins Kritik am autoritären und auf Zensuren setzenden Bildungssystem. Sein Resumé: "Lasst uns einen Sturm der Reform durch das Land peitschen, der Bewertungs-Freaks mit ihrem nie endenden Kreis der Demoralisierung hinfort bläst, Kindheits-zerstörende Prüfungen mit sich reisst und lasst uns zurückkehren zu wahrer Bildung."

Thema 2: "Light will be thrown" (Es wird Licht ins Dunkel gebracht werden)

Konkret wird das Licht, laut Darwin, ins Dunkle der Herkunft des Menschen gebracht werden. Hier geht es also um die Evolutionstheorie.
Im gleichnamigen ersten Essay erklärt Dawkins die Entstehung der Evolutionstheorie und der zugehörigen Theorien, wie etwa "Selektion im Verhältnis zu Sex" und "Der Ursprung des Menschen". Man merkt hier deutlich, dass Dawkins ein großer Anhänger Darwins ist, der offenbar sein Kindheitsidol war. Trotzdem spricht er auch von Ergänzungen und Weiterentwicklungen seiner Theorien und über die wenigen Details, in denen Darwin sich geirrt hat.

In "Darwin Triumphant: Darwinism as a Universal Truth" (Darwin, der große Sieger: Darwinismus als universelle Wahrheit) erklärt Dawkins, warum es sich bei der Evolutionstheorie nicht einfach "nur" um eine Theorie handelt, sondern um einen wissenschaftlichen Fakt. Dabei geht er näher auf den Lamarckismus ein. Das wäre nicht nötig gewesen, denn heute glaubt fast niemand mehr an den Lamarckismus, an die These, salopp gesagt, dass sich Gliedmaßen von Tieren durch ihren häufigen Gebrauch vergrößern, etwa der Hals der Giraffe so lang ist, weil sie ihn oft nach Blättern in hohen Bäumen ausgestreckt hat. Zumindest war es überraschend, dass es tatsächlich vereinzelte Biologen gibt, die an dieser überholten Hypothese festhalten.

Der dritte Aufsatz "The 'Information Challenge'" (Die Herausforderung Information) behandelt das Thema Genetik aus der Sicht der Informatik. Konkret beantwortet Dawkins eine Frage, die ihm Kreationisten gestellt haben: "Können Sie uns ein Beispiel für eine genetische Mutation oder einen evolutionären Prozess geben, der zur Erhöhung der Information im Genom führt?" Dawkins beantwortet die Frage ausführlich und klar. Für Nicht-Kreationisten ist das Essay dennoch weniger interessant.

In "Genes Aren't Us" (Wir sind nicht unsere Gene) erklärt Dawkins die Wirkung von Umweltfaktoren auf unsere Persönlichkeit. Es geht vor allem um das "Homosexuellen-Gen" an der Stelle Xq28 des X-Chromosoms. Fazit: "Egal ob Sie Homosexuelle hassen oder lieben, ob Sie sie wegsperren oder 'heilen' wollen, es sollte besser nichts mit Genen zu tun haben."

Essay Nummer fünf nennt sich "Son of Moore's Law" (Der Sohn des mooreschen Gesetzes). Hier geht es erneut um Informationswissenschaften und Genetik, diesmal auch um das genetische Erschaffen ausgestorbener Tiere. Das einzige Bedenken, dass Dawkins gegen das Klonen von Dinosauriern hat, ist, dass er es wahrscheinlich nicht mehr erleben wird. Außerdem möchte er einer geklonten "Lucie" - das bekannteste Skelett eines Steinzeitmenschen - die Hand schütteln, mit "Tränen in den Augen".

Thema 3: "The Infected Mind" (Der infizierte Verstand)

In diesem Themengebiet geht es um Memetik und Religion.

"Chinese Junk and Chinese Whispers" lässt sich kaum übersetzen. Es handelt sich um das Vorwort zu einem Buch von Susan Blackmore. Es geht um Meme und chinesische Papierfaltereien. Ein genauso langer wie uninteressanter Essay.

"Viruses of the mind" (Viren des Verstandes) ist der längste Aufsatz. Er behandelt wieder das Thema Meme. Diesmal geht es um das Verhältnis von Memen zu Viren, um Religionsviren und um die Antwort auf die Frage, warum Wissenschaft kein Virus ist. Die zweite Hälfte des Essays ist weniger anstrengend als die erste Hälfte und viel interessanter.

In "The Great Convergence" (Das große Aufeinandertreffen) kritisiert Dawkins Intellektuelle, die Wissenschaft und Religion miteinander vereinbaren wollen, was unmöglich ist. Er richtet sich auch gegen die Tendenz einiger Wissenschaftler, die "Wunder" der Natur mit religiösen Begriffen zu veranschaulichen. Außerdem regt er sich über den esoterischen Missbrauch der Quantenmechanik als Erklärung für so ziemlich Alles auf.
Aufsatz Nummer vier, "Dolly and the Cloth Heads" (Dolly und die Kopftücher), ist genauso wichtig wie unterhaltsam und provokant. Dawkins fordert, dass man keine Religionsvertreter mehr in Talkshows einladen sollte, da ihnen die nötige intellektuelle Reife fehlt.

Dawkins hat den Aufsatz "Time to Stand Up" (Zeit, aufzustehen) direkt nach den Anschlägen vom 11. September geschrieben. Hier geht es ans Eingemachte. Es sei Zeit, aufzustehen und den Religionsvertretern klar zu machen, dass es entgültig genug ist, meint Dawkins sinngemäß.

Thema 4: "They Told Me, Heraclitus" (Sie haben es mir gesagt, Heraklit)

Dies ist eine Sammlung von Totensprüchen oder Grabesreden für den Biologen W.D. Hamilton und für Douglas Adams. Ja, für den Douglas Adams, Autor von "Per Anhalter durch die Galaxis" und persönlicher Freund von Richard Dawkins. Und bevor meine Leser aus dem Bereich Biologie aufbegehren: Bei Hamilton handelt es sich um einen der bedeutensten Biologen, von Maynard Smith "The only bloody genius we've got!" (Das einzige verdammte Genie, das wir haben!) genannt. Diese Reden werde ich nicht zusammenfassen, denn man muss sie selbst gelesen haben. Am Ende gibt es mit "Snake Oil" (Schlangenöl) noch ein Vorwort zu einem Buch des verstorbenen John Diamond, ein Skeptiker bis zum bitteren Ende. Der Aufsatz richtet sich vor allem gegen "Alternative Medizin".

Thema 5: "Even the Ranks of Tuscany"

(Titel nach einem Gedicht vom römischen Dichter Horaz, ganzer Vers: "And even the ranks of Tuscany could scarce forbear to cheer.")

Hier setzt sich Dawkins mit seinem verstorbenen Gegenspieler aus dem Bereich Evolutionsbiologie, Stephen J. Gould, auseinander. Nichtbiologen können diese Vorworte zu verschiedenen Büchern nicht allzusehr begeistern, dafür gibt es eine Entschädigung am Ende:
Bei "Unfinished Correspondence with a Darwinian Heavyweight" (Unvollkommener Austausch mit einem Schwergewicht des Darwinismus) handelt es sich um einen Briefwechsel zwischen Gould und Dawkins, mit dem Ziel, allen Wissenschaftlern zu empfehlen, nicht mehr mit Kreationisten zu reden. Grund ist die Vorgehensweise selbiger, Einladungen von Biologen als Erfolg des Intelligent Design zu werten. Ich empfehle sämtlichen Biologen und Wissenschaftlern allgemein die Lektüre dieses Essays.

Thema 6: "There is All Africa and her Prodigies in Us" (Afrika und seine Wunder sind in uns)

Hier geht es um Afrika und den Einfluss des Kontinents auf den Menschen. Wieder gibt es eine Sammlung mehrerer Vorworte zu Büchern über Afrika. Außerdem erzählt Dawkins, was er bei seiner letzten Reise zu seinem Geburtsort erlebt hat. Es gelingt ihm insgesamt gut, die Faszination, die er für Afrika empfindet, auf den Leser zu übertragen, obgleich seine biologische Argumentation, warum für uns alle Afrika ein faszinierender Kontinent sein soll, etwas gekünselt und wenig überzeugend ist. Trotzdem können die Aufsätze über die "Wiege der Menschheit" begeistern.

Thema 7: "A Prayer for my Daughter" (Ein Gebet für meine Tochter)

Nein, Dawkins endet sein Buch nicht mit einem Gebet für seine Tochter, sondern mit dem Aufsatz: "Good and Bad reasons for Believing" (Gute und schlechte Gründe zu glauben). Diesen Brief hat Dawkins an seine 10-jährige Tochter geschrieben. Erhalten hat sie ihn erst im Alter von 18 Jahren, weil Dawkins seinem Nachwuchs nicht sein Weltbild aufzwängen wollte. Schlechte Gründe zu glauben sind für den Wissenschaftler Autorität, Tradition und Offenbarung. Immer ein guter Grund ist "evidence" - Beweise.

Fazit

Jeder, der die englische Sprache einigermaßen beherrscht und über ein gewisses naturwissenschaftliches Grundwissen verfügt, sollte sich unbedingt Richard Dawkins neuestes Werk zulegen. Muttersprachler warten auf die deutsche Ausgabe und greifen dann zu. Hier werden Ergebnisse von einem der konsequentesten Wissenschaftler unserer Zeit unterhaltsam zu Papier gebracht. Witzig, informativ und gnadenlos!

Andreas Müller