„Ein Grundriss legt nicht alles fest...“

(hpd) 1990, damals erschienen in Reclams Unicversal-Bibliothek, hatte Joachim Wehler die erste Ausgabe seines „Grundrisses

eines rationalen Weltbildes“ vorgelegt. Im Oktober 2007 ist eine überarbeitete Neuauflage dieser leicht verständlichen Einführung in philosophische und naturwissenschaftliche Fragen herausgekommen. Aus diesem Anlass sprach hpd mit dem Autor, der als Informatiker arbeitet und als Privatdozent Vorlesungen an der Ludwig-Maximilians-Universität hält.

 

hpd: Herr Wehler, Ihr Buch trägt den Titel „Grundriss eines rationalen Weltbildes“ – was ist das, ein „rationales Weltbild“?

Joachim Wehler: Die Betonung liegt auf „rational“. Es gibt ja auch religiöse, spirituelle oder naturwissenschaftliche Weltbilder. Für ein rationales Weltbild ist es nötig, seine Erfahrungen und Schlüsse immer wieder zu hinterfragen, nach Gründen und nach Argumenten zu suchen, warum man einen Sachverhalt so und nicht anders beurteilt.

Nach meiner Meinung hat ein rationales Weltbild eine breitere Basis als ein naturwissenschaftliches Weltbild. Denn zusätzlich setzt man sich auch mit Philosophie, insbesondere mit Ethik, und mit der Religion auseinander.

hpd: Und was macht das grundrissartige eines solchen Weltbildes aus?

Joachim Wehler: Ein Grundriss legt nicht alles fest, aber er zeigt ein Schema, das man individuell ausbauen kann.

hpd: Tatsächlich erscheint mir Vieles in Ihrem Buch „offen“ formuliert. Wenn den Leserinnen und Lesern aber ein so großer Rahmen bleibt für eigene Festlegungen, läuft ein daran anknüpfendes Weltbild nicht Gefahr, beliebig zu werden?

Joachim Wehler: Der Eindruck der Offenheit, der sich bei Ihnen beim Lesen des Buches einstellt, ist gewollt und bewusst. Es kommt mir erst in zweiter Linie auf konkrete Inhalte eines rationalen Weltbildes an. Im Vordergrund steht die Methode: Es ist eine kritische Methode, und man muss sie selbst anwenden. Das Buch steht hier in der Tradition der philosophischen Aufklärung. Es sieht Aufklärung als einen Weg, auf dem Menschen mündig werden können, um nach gründlichem Überlegen ihre eigenen Schlüsse zu ziehen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

hpd: Gleich zu Beginn Ihres Buches schreiben Sie über politische Unmündigkeit, die es zu überwinden gelte; im weiteren Verlauf des Buches spielen politische Fragen dann aber nur am Rand eine Rolle. Bedeutet das, dass Anhänger jeder politischen Couleur an Ihre Vorstellung eines rationalen Weltbildes anknüpfen können?

Joachim Wehler: Ich habe mein Buch mit einem politischen Beispiel begonnen, weil diese Episode aus dem 19. Jahrhundert uns heute so eindeutig zeigt, wie Unmündigkeit ausgesehen hat. In der Gegenwart würde keiner mehr das Vorgehen der politischen Obrigkeit der Metternich-Zeit in irgendeiner Weise verteidigen. Jeder sieht an diesem Beispiel sofort, was Unmündigkeit auf politischem Gebiet bedeutete und wieweit wir inzwischen auf dem Weg zur politischen Mündigkeit vorangekommen sind. Und nun stellt das Buch die Frage: Auf welchen anderen Gebieten können wir denn heute noch nicht so klar zwischen Mündigkeit und einem unmündigen Verhalten unterscheiden. Wo haben wir da heute unsere blinden Flecken?

Das politische Thema diente als ein Beispiel. Im Übrigen würde ich mich natürlich freuen, wenn Anhänger einer jeden politischen Couleur die Gedanken der Aufklärung ernst nehmen und umsetzen.

hpd: Sie erwähnen im Vorwort, dass vor allem das Kapitel über Religion Diskussionen ausgelöst hat. Von welcher Seite kamen die Einwände?

Joachim Wehler: Ich erinnere mich an eine Rezension der ersten Auflage, die mir einen völlig verfehlten Religionsbegriff bescheinigte. Ich sei nicht auf der Höhe der Zeit, Papst Johannes Paul II. habe erst jüngst das aktuelle Wort zum Verhältnis von Glaubenswahrheit und wissenschaftlicher Einsicht gesprochen. Da erschien es mir in der Neuauflage geboten, das Thema Religion und Theologie etwas grundsätzlicher anzugehen. So setze ich mich mit einigen zeitgenössischen Theologen, die auch in der Wissenschaftstheorie beschlagen sind, auseinander – nicht mit Johannes Paul II. oder dem gegenwärtigen Papst – und diskutiere ihre Auffassung von Theologie.

hpd: Für die Neuauflage haben Sie das Buch umfassend überarbeitet. Inwiefern war das notwendig geworden?

Joachim Wehler: Die Neuauflage trägt zum einen der Kritik an den religionsspezifischen Passagen der ersten Auflage Rechnung. Zum anderen habe ich einen Abschnitt über die Neurowissenschaften aufgenommen. Neuro- und Kognitionswissenschaften sind diejenige Forschung, die zur Zeit am stärksten unser Menschenbild in Frage stellt und weiterentwickelt. Und von den Neurowissenschaften und ihrem Programm der „Naturalisierung“ des Geistes war es nur noch ein kleiner Schritt zu einem weiteren neuen Kapitel über Künstliche Intelligenz und Künstliches Leben.

hpd: Herr Wehler, wir danken für das Gespräch.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer

 

Joachim Wehler: Grundriss eines rationalen Weltbildes. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage. Aschaffenburg: Alibri 2007. 268 Seiten, kartoniert, Euro 18.-, ISBN 3-86569-029-7

Das Buch kann über unseren Kooperationspartner denkladen bezogen werden: