Ein Leuchtfeuer von Frieden

MARBURG. (HU/hpd) Humanistische Union und Stadt Marburg würdigten Persönlichkeit und Arbeit von Sabriye Tenberken als fünfte Preisträgerin des Marburger „Leuchtfeuers“.

"Auch wenn er nicht behindert ist, ist er trotzdem ein glücklicher Mensch." Heiterkeit erntete Sabriye Tenberken für diese Charakterisierung ihres Lebensgefährten und Mitstreiters Paul Kronenberg. Im Historischen Saal des Marburger Rathauses überreichte Oberbürgermeister Egon Vaupel der 38-jährigen Tibetologin am Sonntag (26. April) das "Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte".

Mit dieser undotierten Auszeichnung würdigten die Stadt Marburg und die Humanistische Union (HU) das internationale Wirken der blinden Pädagogin für ein gleichberechtigtes Leben von Menschen mit Behinderungen in der Mitte der Gesellschaft. "Durch die Gründung der ersten Blindenschule Tibets in Lhasa hat sie nicht nur den diskriminiertesten Kindern und Jugendlichen Tibets eine Perspektive eröffnet, sondern zugleich auch Behinderten in Europa ein Vorbild gegeben", erklärte Matthias Schulz als Sprecher der Jury.

Tenberken selbst betrachtet ihre Tätigkeit als eine sehr befriedigende Aufgabe. "Blind zu sein, kann ungeheuer Spaß machen", erklärte sie. Durch ihre Behinderung komme sie in Kontakt zu interessanten Menschen, die sie sonst niemals kennengelernt hätte.

"Frriedfertig ist", zitierte Laudator Dieter Gutschick den Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, "wer Frieden um sich entstehen lassen kann. Das ist eine Kraft, eine der großartigsten Kräfte des Menschen. Ihr krankhaftes Verkümmern – fast stets bedingt durch mangelnden Frieden mit sich selbst – ist die Friedlosigkeit."

Tenberken sei "ein Leuchtfeuer des Friedens", weil sie ihren Mitmenschen ein fast uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringe, erklärte der scheidende Geschäftsführer der Aktion Mensch (AM): "Sie haben die Größe, das Angebot von Hilfe zu wünschen. Sie orientieren sich an einem humanistischen Menschenbild, bei dem sich allerdings Vertrauen sehr wohl von Gutgläubigkeit deutlich unterscheidet."

An seine Zeit in der Humanistischen Studenten-Union (HSU) erinnerte sich Gutschick als eine Folge seines vorherigen Aufenthalts in Ghana. Mitte der 60er Jahre sei der HU-Mitbegründer Fritz Bauer sein Vorbild gewesen, dem Deutschland den Auschwitz-Prozess verdankt.

"Wir wollten die Befreiung des Menschen von den Fesseln der obrigkeitsstaatlichen Bindungen erreichen", berichtete Gutschick. "Damals stand zum Beispiel auch eine Liberalisierung des Strafrechts im Vordergrund. Heute geht es in der Humanistischen Union auch um die Forderung nach politischer Partizipation der Bürger.""

Gerade wegen seiner humanistischen Haltung sei er als 68er aber keine Beute irgendwelcher Ideologen geworden, betonte Gutschick erleichtert. Erfreut äußerte sich der AM-Geschäftsführer darüber, dass der HU-Ortsverband Marburg seinen Preis den Sozialen Bürgerrechten gewidmet hat.

Mit Sabriye Tenberken habe die Humanistische Union eine überragende und vorbildliche Preisträgerin ausgewählt: "Niemand konnte besser als Sie, Frau Tenberken, der Dämonisierung des Blind-Seins in der stark religiös geprägten Landbevölkerung Tibets begegnen. Niemand konnte die bestehenden Vorurteile überzeugender ausräumen als Sie mit Ihrem persönlichen Beispiel, Ihrer fachlichen Kompetenz und Ihrer emotionalen Präsenz." ‚Glücksblume’ für die Menschen in Lhasa und Umgebung – aber auch für uns und vor allem auch für mich persönlich.“

 

Für die blinde Tibetologin ist das "Marburger Leuchtfeuer" bei weitem nicht die erste Auszeichnung. Dieser Preis liege ihr aber besonders am Herzen, erklärte sie in ihrer Dankesrede: "Marburg ist meine Lieblingsstadt in Deutschland."

1992 hat die gebürtige Bonnerin an der Carl-Strehl-Schule (CSS) der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) ihr Abitur abgelegt. Für sie sei diese Zeit in Marburg die unbeschwerteste ihres Lebens gewesen, erklärte sie. Hier sei sie als Persönlichkeit respektiert sowie zu Selbstbestimmung und Eigenständigkeit angeleitet worden.

Gerade diese soziale Tradition Marburgs betonte auch Oberbürgermeister Vaupel. Der Stadt gehe es wirtschaftlich gut. Die Einwohnerzahl sei in den letzten Jahren von 78.000 auf über 81.000 gestiegen. Diese Entwicklung führte der OB auch auf das soziale Klima zurück, das Marburg auch für Investoren attraktiv mache.

Nach der Preisverleihung machten sich Tenberken und Kronenberg auf den Weg nach Kerala in Indien. Dort bauen die beiden derzeit ein Ausbildungszentrum für blinde Sozial-Manager auf.

Ziel dieser neuen Ausbildung sei, möglichst viele Menschen zu Multiplikatoren einer selbstbestimmten sozialen Entwicklung zu machen. Das Modell für diese Konzeption verdanke sie der BliStA, die durch das Leuchtfeuer somit ebenfalls geehrt werde, erklärte die Preisträgerin zum Abschluss unter lang anhaltendem Beifall der fast 100 Anwesenden.

Franz-Josef Hanke
 

Fotos (c) Jürgen Neitzel.