„Die Sterne lügen nicht"

GREIFSWALD. Offiziell belächelt, sind es doch rund 80 % der Bevölkerung in Deutschland

über 16 Jahren, die regelmäßig oder manchmal in Zeitungen und Zeitschriften ihr Horoskop lesen.

Eine <Allensbach-Umfrage> zeigt bei den Befragten in den Altersgruppen, nach der Schulbildung, nach Berufskreisen, politischem Standort und Befragten in West oder Ost kaum stark abweichende Prozentangaben. Der einzige Unterschied besteht zwischen Frauen und Männern: 23 % der befragten Frauen lesen „regelmäßig" und weitere 64 % „manchmal" Horoskope, d. h. nur etwa eine von zehn Frauen liest keine Horoskope. (Bei den männlichen Befragten sind es 6 % und 59 %, zusammen 66 % Horoskopleser.)

Hinsichtlich dieses geschlechtsspezifischen Unterschiedes ist es nicht verwunderlich, dass es so gut wie keine Frauen- oder Familienzeitschrift ohne Horoskope gibt und keine Männerzeitschrift mit Horoskopen.
Diese „Pressehoroskope" gelten innerhalb der Zunft zwar als fragwürdig, da sie eindimensional ausschließlich nach den Sternenbildern gruppieren, sie haben aber die weiteste Verbreitung, sind gleichsam allgegenwärtig, und dennoch hat sich die wissenschaftliche Forschung bisher kaum damit beschäftigt. Das ist nun anders.

Die Germanistin Katja Furthmann hat diese Pressehoroskope systematisch „unter die Lupe" genommen und aus 24 verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften 2.880 Einzelhoroskope untersucht. Ihr besonderes Interesse als Sprachwissenschaftlerin lag in der Frage, wie die Presseerzeugnisse es bewerkstelligen, dass sie in Massenauflagen gedruckt werden und dennoch sich so viele Menschen individuell angesprochen fühlen.

"Ihr persönliches Glücks-Horoskop" - So stand es seinerzeit in der Ankündigung einer Publikumszeitschrift, und das, was es eigentlich so unglaublich macht, wird dabei anscheinend nicht einmal mehr bemerkt. Denn: Wie kann eine Zeitschrift ernsthaft behaupten, jedem ihrer 1,2 Millionen Leser und Leserinnen das persönliche Horoskop zu übermitteln. Und doch funktioniert es - denn: „Die Sterne lügen nicht!".
In einem Vortrag am vergangenen Dienstag an der Universität Greifswald hat Katja Furthmann dem interessierten Publikum Einblicke in die Formulierungskünste dieser Kleintexte gegeben, denn einfach mal so nebenher eines schreiben, das würde wohl nicht funktionieren. Sie dürfen nicht zu allgemein sein, dann würden sich die Einzelnen nicht angesprochen fühlen, und sie dürfen nicht zu spezifisch sein, weil sich der Leser dann auch nicht darin erkennen würde.

Sieben sprachliche Tricks muss ein Schreiber der Pressehoroskope beherrschen, damit das Pressehoroskop funktioniert.

1. Die Themen müssen umfassend präsentiert werden

Das gelingt am einfachsten durch die Verwendung aufzählender, gegensätzlicher oder alternativer Konjunktive: aber, auch, ob, zwar ... Beispiel: „Sie lieben zwar Harmonie, aber vor Stillstand fürchten Sie sich so sehr, dass Sie ständig für neue Impulse sorgen."
Ebenfalls geeignet sind variable Bezüge: Viele erreichen dies, andere tun das, manche jenes ... oder auch: könnte, vielleicht, nicht auszuschließen.
Der Grundsatz lautet: Keine klaren Zuordnungen, sondern Vermischung verschiedener Beschreibungen und Möglichkeiten.

2. Allgemeinheit durch „umbrella terms"

Durch die Verwendung von möglichst abstrakten und allgemeinen Begriffen können diese auf eine Vielzahl von individuellen, spezifischen Lebenssituationen übertragen werden. Es ist also die Rede von Projekten, Personen, Chancen, Risiken, Vorteilen, Problemen, Entscheidungen etc. ... - allesamt Mehrdeutigkeiten, mit denen der Leser seine konkreten Bezüge beinahe automatisch verbindet.
Dazu gehören auch Rahmenwörter, die unscharf bleiben, aber gerade deshalb in ihrer Mehrdeutigkeit beliebig konkret zu füllen sind. „Sie haben Sinn für Humor." Was heißt das? Dass man lacht oder dass man Witze erzählt? Ebenso funktioniert: „Es gibt Spannungen." Was bedeutet das? Krach, Streit, Schweigen? Jede Füllung passt.

3. Skala der Relativität

Eigenschaften sind stets relativ. Wichtig, neu, schnell, groß, klein, schnell, langsam, leicht schwer etc. Jeder hat seine individuellen Maßstäbe, und positive Werte haben zudem keinen eindeutigen Grenzwert. Wie wichtig ist „wichtig" und wie neu ist „neu"?
Ebenso relativ sind Formulierungen wie „manchmal", „alles", die mehrdeutig sind.

4. Allgemeine und zeitlose Wahrheit

Sprichwörter und Allgemeinplätze sind nicht widerlegbar und eignen sich besonders für unspezifische Aussagen, die der Leser spezifisch füllt. „Alles zu seiner Zeit!", „Alles hat zwei Seiten" etc. Ebenso ist eine Aussage wie „Sie haben einen heimlichen Verehrer" nicht zu widerlegen. Falls es möglich wäre, dann wäre er ja nicht mehr heimlich.

5. Anschaulichkeit und scheinbare Präzisierung

Unspezifisches lässt sich in Horoskopen auch über Phrasen und Metaphern transportieren, die vom Leser gefüllt werden. Man solle „den Ball flach halten" kann alles Mögliche bedeuten, ebenso wie „nach den Sternen greifen" u. a. m.
Metaphern sind auffüllbare Konzepte. Das Leben ist als Weg beschrieben und schon ist der Leser unterwegs im Veränderlichen. Ebenso sind Krieg und das Wetter geeignete Konzeptmetaphern, denn dass Leben „Kampf" bedeutet, das hat jeder irgendwie schon erlebt, gegen was und wen bleibt dann der Deutung des Lesers überlassen, ebenso wie „sonnige Aussichten" oder eine „trübe Zeit".

6. Pseudowissenschaftliche Evidenz

Durch die vorgebliche Berechnung von Planetenkonstellationen „Venus und Uranus im Quadrat" wird eine Fremdbestimmung suggeriert, die durch Personifizierung der Planeten noch direkter wird: „Venus flüstert Ihnen zu ..."
Geleitet von kosmischen Kräften fühlt sich der Leser in der kosmischen Einheit geborgen. Diese Verknüpfung von Pseudo-Religion und pseudowissenschaftlicher Argumentation dürfte ein wesentlicher Grund für die erfolgreiche Verbreitung der Pressehoroskope sein.

7. Inszenierung von Nähe und Beteiligung

Durch die direkte Ansprache der Leserin: „Verabreden Sie sich doch mal: Sie sind doch kein Mauerblümchen!" wird eine Nähe zur Leserin suggeriert und eine emotionale Beteiligung vorgegaukelt, als würde das Horoskop mit einem reden. Diese Absicht wird gelegentlich noch durch eine zielgruppenorientierte Einfärbung des Sprachstils abgerundet.

 

Diese Formulierungsprinzipien agieren nicht einzeln, sondern sind zusammenwirkende Elemente, die jede Zeitschrift für ihren eigenen Stil anders mischt. Grundsätzlich bleibt jedoch die subtile Verbindung von vage - allgemein - anschaulich, die für diese Pressehoroskope die vermeintliche Individualisierung ermöglicht, und die deshalb immer irgendwie zu stimmen scheinen.

Zum Abschluss des Vortrages sorgte Katja Furthmann für aufkommende Heiterkeit, als sie ankündigte, jedem der Zuhörer/-innen ein persönliches Horoskop für das Jahr 2007 zu stellen: „Das Jahr steckt voller Chancen. Sie müssen nur noch lernen, sie zu erkennen - und zu ergreifen."

Die umfangreiche Untersuchung, die dem Vortrag zugrunde lag, ist die Doktorarbeit der Referentin und wurde mit dem Promotionspreis der Commerzbank Stiftung an der Universität Greifswald ausgezeichnet.
Wer Genaueres wissen möchte, dem sei diese Arbeit als Buch empfohlen. Katja Furthmann: „Die Sterne lügen nicht. Eine linguistische Analyse der Textsorte Pressehoroskop." 1. Auflage 2006, 546 Seiten mit 42 Abb., gebunden. 67,90 € [D]. ISBN 3-89971-323-0; <Vandenhoeck&Ruprecht> unipress.

Ansonsten, wenn Sie meinen, dass Sie die Tricks verstanden haben, dann machen Sie einmal die Probe aufs Exempel und: <Fragen Sie Herrn Noé>!

Dort gibt es Gratishoroskope zu allen Lebenslagen und wenn Sie nun die siebenfach geschliffene Lesebrille (Vorsicht Zahlenmystik: sieben) aufsetzen, dann erkennen Sie schnell die sprachlichen Tricks, die auch dort in Hülle und Fülle auf Sie warten. Ein unterhaltsamer Spaß der Erkenntnis.

CF