(hpd) Der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi präsentiert in seinem Buch „Euro-Islam. Die Lösung eines Zivilisationskonfliktes“ ein Modell, das die Integration liberaler Muslime bei gleichzeitiger Abgrenzung vom totalitären Islamismus möglich macht.
So verworren leider die inhaltliche Struktur der Argumentation ist, so beachtenswert sind die inhaltlichen Begründungen eines solchen Integrationskonzepts auf Basis einer säkularen Demokratie mit individuellen Grundrechten.
Was meint „Euro-Islam“, eine Europäisierung des Islam oder eine Islamisierung Europas? Der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi tritt seit Jahren für das erstgenannte Verständnis ein und bündelt seine diesbezüglichen Reflexionen in seinem Buch „Euro-Islam. Die Lösung eines Zivilisationskonflikts“. Mit der Formulierung im Untertitel wendet er sich gegen die verbreitete Auffassung, es gebe einen „Kampf der Kulturen“. Vielmehr sieht er die mit dem Thema „Islam in Europa“ verbundenen Kontroversen als Ausdruck eines Konfliktes zweier Weltanschauungen an: „Eine hiervon ist europäisch, die andere ist islamistisch. Die säkulare zivilisatorische Identität Europas ist dem Modell nach inklusiv, und sie kann einen offenen Islam aufnehmen sowie europäisieren, aber nur, wenn dieser von Schari’a und Djhad abgekoppelt wird“ (S. 10). Demnach plädiert Tibi sehr wohl für die Integration von Muslimen, aber nicht auf Basis einer christlich orientierten Leitkultur, sondern auf der Grundlage eines säkularen europäischen Humanismus.
Die vier Kapitel von „Euro-Islam“ versuchen somit, eine Alternative zur fortschreitenden Islamisierung auf Basis säkularer Demokratie, individuellen Menschenrechten und moderner Zivilgesellschaft zu entwickeln. Zunächst geht es um den durch die Islamisierungstendenzen in Europa entfachten Zivilisationskonflikt, wobei auch die weltanschaulichen Gründe für die fehlende Integration der Islam-Diaspora angesprochen werden. Danach entwickelt Tibi seine Vorstellung von einer Vision vom „Euro-Islam“ als Versuch, muslimischen Glauben mit europäischer Identität in Einklang zu bringen. Dem folgend werden die Bemühungen zur Anerkennung der Schari’a in Europa kritisch kommentiert und als bedenklicher Versuch der Islamisierung im Interesse von Islamisten und Salafisten und mit Unterstützung von Kirchenvätern und Multikulturalisten gedeutet. Und schließlich widmet sich der Autor den Gefahren, die mit der Orientierung an solchen Auffassungen für die Integration muslimischer Zuwanderer in die europäische Gesellschaft verbunden wären.
Worin bestehen nun aber nach Tibi die Grundlagen seiner Vision vom „Euro-Islam“? In diesem Sinne wäre folgendes zu leisten: „1. Die Laizität beziehungsweise Säkularität ist im beschränkten Sinn einer Trennung zwischen Religion und Politik in das islamische Denken einzubauen. 2. Die Verbindung von Laizität und säkularer Toleranz, die sich erheblich von der islamischen Toleranz unterscheidet, ist zu akzeptieren. 3. Außerdem gehört dazu ein religiöser und kultureller Pluralismus, der Relativismus und Neoabsolutismus gleichermaßen abweist. 4. Dann zählt zu den Bestandteilen eines Euro-Islam die säkulare Demokratie, das heißt ein moderner Staat, der auf demokratisch-säkularen Grundlagen beruht und parallel zu einer als Zivilgesellschaft zu definierenden ‚open society’ existiert. 5. Als letztes Element ist die bereits angeführte Zivilgesellschaft zu nennen die, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem setzt“ (S. 93f.). Kurzum, der Euro-Islam soll eine demokratische, menschenrechtliche und säkulare Alternative zum Ghetto-Islam vormoderner Kulturen sein.
Die Beurteilung des Buchs von Tibi fällt ambivalent aus, wobei sich die formale Präsentation und die inhaltlichen Positionen als Unterscheidungsebenen anbieten. Zunächst zum Erstgenannten: Die Lektüre des Textes wird durch die dauernden thematischen Sprünge des Autors mehr als nur erschwert, argumentative Stringenz und inhaltliche Systematik gehören erklärtermaßen nicht zu seinen Stärken. Darüber hinaus verstören die ständigen Wiederholungen von bestimmten Aussagen, teilweise indirekt, teilweise wortwörtlich. Und schließlich wirkt die Selbstgefälligkeit des Autors, welche sich etwa in den Hinweisen auf die positive Rezeption seiner Werke artikuliert, mehr als nur peinlich. Gleichwohl sollte nicht ignoriert werden, dass das skizzierte Modell des „Euro-Islam“ eine beachtenswerte normative Grundlage für die politische Integration der Muslime in die liberalen Demokratien liefert. Tibi zeigt auf, dass der Dialog mit dem liberalen Islam bei gleichzeitiger Ablehnung des Islamismus vorstellbar ist und zwar auf Basis einer säkularen Demokratie mit individuellen Grundrechten.
Armin Pfahl-Traughber
Bassam Tibi, Euro-Islam. Die Lösung eines Zivilisationskonflikts, Darmstadt 2009 (Primus-Verlag), 203 S., 24,90 €