BERLIN. (hpd) Ein Besuch auf den Esoterik-Tagen in Berlin: Kontakt zu Toten, modernes Handlesen, Interviews mit der Mutter Gottes, Chakrenanalyse, Aurafotografie, Pickel auf der Nase und Offenbarungen. Alles im Angebot.
Das Leben steckt voller Zufälle. Kurz bevor ich mich aufmache, die Esoterikmesse in Berlin aufzusuchen, meldet die Berliner Presse: Bei einer Therapiesitzung in Berlin-Hermsdorf ist ein Mann ums Leben gekommen. … Der Therapeut, der in seiner Praxis "Hilfe bei spirituellen Krisen" anbietet, wurde verhaftet. Am Sonntag wird der zweite Tote gemeldet. „Ich weiß nicht, was das mit uns zu tun haben soll“, kommentiert einer der Geschäftsführer der Esoterik-Tage Berlin den Vorfall. Ich auch nicht, wüsste es aber gern. Doch dazu später mehr. Zuerst lade ich Sie, liebe Leser, auf eine wilde und wundervolle Reise durch die Welt der Esoterik ein. Wild und wundervoll? Oder doch eher profan und peinlich? Wir werden sehen…
Vor dem AVZ-Logenhaus in Berlin-Wilmersdorf, dem Veranstaltungsort der Esoterik-Tage, tummeln sich bereits einige Menschen deren Kostümierung von weitem erkennen lässt: hier bin ich richtig. Am Einlass begrüßt mich der Geschäftsführer – ein Mann, der eher nach Geld als nach Geist aussieht. Bevor ich in den ersten Vortrag unserer Wahl gehe, schaue ich mich bei den Ständen um. Hier kann man sozusagen alles kaufen: Kontakt zu Toten, spirituelle Erleuchtung, Chakrenreinigung, Lichtheilung, Engelchanneling usw. Das Vortragsprogramm hat also nicht zu viel versprochen.
Schon in den ersten Momenten weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, doch die Entscheidung wird von einem Mann aufgeschoben, der „moderne Handlesekunst“ mittels einer weniger modernem Kombination aus Scanner und Laptop an- bzw. feilbietet.
Nachdem meine Hand und Unterschrift gescannt und „analysiert“ wurden, springt mir der Barnum-Effekt praktisch ins Gesicht: „Sie fühlen sich frei und leben gern in den Tag hinein. Trotzdem sind Sie in der Lage, falls erforderlich, auch schwierige Aufgaben mit sehr viel Schwung und Bereitschaft zu erledigen.“ Weniger gefällt mir die Passage ‚Intelligenz‘: „Die geringen Längenunterschiede in Ihrer Unterschrift [sic] weisen auf einen sehr gefühlsbetonten Menschen hin. Ihre Entscheidungen treffen Sie mit dem Herzen.“ Aha. So gut können Zufallsgeneratoren also formulieren. Rückwärtsgehend und unsicher lächelnd entferne ich mich von dem Herrn, der nicht der letzte sein soll, bei dem ich mich frage, ob er farbige Kontaktlinsen trägt. „Seheraugen“ nennt er das Phänomen. Doch nun schnell, denn der erste Vortrag läuft bereits.
„Es ist mein Hobby, die Menschen zum Lachen zu bringen.“
Dr. Marita Lautenschläger, bekannt aus Funk und Fernsehen, hat laut eigener Angabe „das erste Interview mit der Heiligen Mutter Maria geführt“ und ist „Naturmedizinerin – mit Doktortitel. Ja, das geht“, antwortet sie auf eine skeptische Frage aus dem Publikum, „bloß nicht hier sondern in der Schweiz.“ Sie berichtet von Rollstuhlfahrern, die wieder laufen können, ergänzt aber, dass es sich dabei „nicht gerade um Querschnittsgelähmte“ handelt. Eine recht saloppe Formulierung, wie ich finde. Eine kurzsichtige Dame vor dem Publikum bekommt „Marienwasser aus Lourdes“ in die Augen. „Ist‘s jetzt besser?“ „Nein.“ Die Behandlung wird wiederholt. „Jetzt?“ „Ja. Ich kann jetzt erkennen, dass die Frau in der zweiten Reihe eine Brille trägt.“ Das allgemeine Staunen ergänzt Dr. Lautenschläger durch ein siegessicheres Lächeln. Der gute alte Placebo-Effekt hat sie wahrscheinlich selten im Stich gelassen. Doch das geheimnisvolle Murmeln wird von der Brillenträgerin unterbrochen: „Die habe ich eben erst aufgesetzt!“ Während die Damen im Publikum lachen, versetzen mich meine Spiegelneuronen in den Zustand der Fremdscham. Einer der wenigen Männer verlässt den Raum. Nun kommt Dr. Lautenschläger zu einer Ihrer „leichtesten Übungen“: der erfolgreichen Behandlung eines Tinnitus. Sie beschreibt, wie dies bei einer anderen Dame bereits geholfen hat, „weil der Glaube stark war, weil die Mutter Gottes geholfen hat. Sollte ihnen das jetzt so ein bisschen vorkommen wie ein Pfarrer: ich studier‘ nebenbei Theologie. Das färbt ab. Aber es ist wirklich so! Und es wird uns geholfen wenn da nicht ständig unser dusseliger Verstand ist, der sagt: ‚Das gibt’s nicht‘.“ Ich beiße mir auf die Lippen. Klar: wo Hokuspokus daheim ist, kann Religion nicht weit sein. Wir verlassen den Vortrag ohne abzuwarten ob das Wunderwasser das Ohrklingeln der Dame vorübergehend deaktiviert hat.