BERLIN. (hu/hpd) Bürgerrechtsorganisation sieht Reform der Telefonüberwachung als gescheitert an und bemängelt zahlreiche Leerstellen in der amtlichen Statistik zur Verkehrsdatenüberwachung
Nachdem das Bundesamt für Justiz erstmals Zahlen für die Überwachung der Telekommunikations-Verkehrsdaten vorgelegt hat, zieht die Humanistische Union eine kritische Bilanz der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Reform der Telekommunikationsüberwachung: "Das Ziel eines besseren Schutzes der Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger wurde nach unserer Auffassung klar verfehlt", stellt Rosemarie Will, die Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation, fest. "Erneut ist die Zahl der repressiven Telefonüberwachung angestiegen, die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nicht transparenter als zuvor."
Eine Wende in der jährlich steigenden Zahl von Telefonüberwachungen sei nur möglich, wenn der immer umfangreichere Katalog sog. Anlasstaten, zu deren Aufklärung Telefone angezapft werden, deutlich verkleinert werde. Bei der letzten Reform waren nur einige in der Praxis unbedeutende Tatbestände aus dem Katalog gestrichen (etwa die Anstiftung zum Ungehorsam), aber zahlreiche häufiger auftretende Tatbestände neu eingefügt worden (etwa Betrugs- und Urkundendelikte sowie Tatbestände aus der Abgabenordnung).
Auch die jetzt vorgelegte Statistik über die Kommunikations-Verkehrsdaten erfülle nicht die ihr zugedachten Aufgaben. "In der Ankündigung des Gesetzgebungsvorhabens hieß es noch, mit der Berichtspflicht solle 'dem Gesetzgeber eine effektive Kontrolle' ermöglicht werden", so Rosemarie Will. "Die dürftigen Zahlen, die jetzt veröffentlich wurden, reichen bei weitem nicht aus, um das Ausmaß und die Wirksamkeit der sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung zu beurteilen." Zwar erfahre die Öffentlichkeit erstmals, dass es im vergangenen Jahr 13.426 Anordnungen zur Erhebung von Verkehrsdaten gegeben habe. Wie viele Personen davon betroffen waren, wie viele Kommunikationsverbindungen überwacht wurden, wie viele Unbeteiligte dabei ins Visier der Ermittler gerieten - all dies ist der Statistik nicht zu entnehmen.
Eine nachträgliche Kontrolle über die möglicherweise ungewollten Wirkungen der Vorratsdatenspeicherung sei aber umso wichtiger, betont Will, da der Gesetzgeber bisher über keinerlei Erkenntnisse mit dieser Form der Überwachung verfüge: "Der Bundestag hatte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung am 9. November 2007 verabschiedet, ohne die Ergebnisse einer zuvor in Auftrag gegebenen Evaluation der bisherigen Praxis auszuwerten. Diese Ignoranz gegenüber Auswirkungen und Nebenfolgen einmal beschlossener Überwachungsgesetze scheint sich ungebrochen fortzusetzen."
Sven Lüders
Die Humanistische Union stellt eine Lesehilfe bereit, in der die zahlreichen Lücken in der Statistik zur Verkehrsdatenabfrage erläutert werden
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