Adolph Hoffmann: „Los von der Kirche!“

BERLIN. (hpd) Adolph Hoffmann gehört zu den markantesten Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung und der deutschen Kulturpolitik. Durch sein Wirken als preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Ende 1918 erlangte er historische Bedeutung über den Tag hinaus. Ihm wird die Staat-Kirche-Trennung gutgeschrieben bzw. angelastet – je nach Standpunkt.

Im vergangenen Jahr erinnerte eine Tagung der Humanistischen Akademie Berlin an den Sozialdemokraten. Nun ist der dazugehörige Sammelband erschienen. Martin Bauer sprach mit Herausgeber Horst Groschopp.

 

hpd: Was macht Adolph Hoffmann so interessant, ihm eine ganze Tagung zu widmen?

Horst Groschopp: Da war zunächst der Anlass, sein 150. Geburtstag. Hinzu kam der Reiz, sich einer Person zu widmen, die für Konfessionsfreie Geschichte geschrieben hat. Dann ist sein Wirken bis heute umstritten. Er hat sich selbst „Ausmister“ genannt, als er von den Kultusbeamten als „Herr Minister“ begrüßt wurde. Schließlich befanden wir uns mitten in einer Atheismus-Debatte. Und nicht unwichtig ist, dass einige der jetzigen Autoren (außer mir vor allem Gernot Bandur, Eckhard Müller und Michael Schmidt) seit Jahren auf Hoffmann gestoßen waren, ich selbst bereits in den 1970ern.

hpd: Von seinen zeitgenössischen Gegnern wurde Hoffmann richtiggehend verspottet – wie geht das mit einer solchen, doch beachtlichen historischen Leistung zusammen?

Horst Groschopp: Dies wird klar, wenn man sich mit seiner Biographie beschäftigt: Als Aufsteiger war er den Herrschenden stets suspekt, vom Armeleutekind zum Reichstagsabgeordneten, vom Autodidakten zum Verleger. Mehr kann man doch zu seiner Zeit nicht Außenseiter gewesen sein: Freireligiöser, Kirchengegner, Sozialist, Revolutionär und – na klar – auch noch mehrfach verheiratet. Da bot sich seinen Gegnern an, ihn als Verblendeten zu beschreiben – und die ganze Staat-Kirche-Trennung in diese Ecke zu rücken – bis heute, schauen wir in die Literatur!

hpd: Und wie kam er zu dem Spott-Namen „Zehn-Gebote-Hoffmann“?

Horst Groschopp: Er und seine Freunde sahen das nicht als Spott, im Gegenteil. Der Name eilte ihm stets voraus und füllte die Säle. Hoffmann machte immer deutlich, dass er kein Religionsfeind ist, sondern Kirchengegner. Also hat er die Zehn Gebote genommen und mit der Kirchentätigkeit seiner Zeit und diese mit der kapitalistischen Wirklichkeit verglichen. Das Buch „Die zehn Gebote und die besitzende Klasse“ von 1891 kam gut an, hatte viele Auflagen. Es hat dann auch Gewerkschafter inspiriert, zehn säkulare Gebote für ihre Mitglieder zu verfassen, Kinderfreunde auch. Die Leserschaft wird überrascht sein.

hpd: Warum entlehnte Hoffmann den Titel seiner Broschüre aus der christlichen Tradition? Soweit ich sehe, gehörte er nicht zu den religiösen Sozialisten.

Horst Groschopp: Zunächst, er verfasste ja selbst keine zehn neuen Gebote, wie übrigens Walter Ulbricht 1958 kolportierte, als es ihm um die „Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik“ ging – ein anderes Kapitel. Es gab zur Zeit der 1. Auflage 1891 noch keine Konfessionsfreien im heutigen Sinne, zwischen 1870 und 1908 höchstens 200.000 Kirchenaustritte in ganz Deutschland, meist hinein in freireligiöse Gemeinden. Religiöse Sozialisten gibt es nennenswert erst in der Weimarer Republik (vielleicht 25.000 Organisierte). Das Christentum war zu Hoffmanns Zeit noch die vorherrschende Kultur – um so größer sein Affront.

hpd: Hoffmann darf wohl dem linken Flügel der Sozialdemokratie zugerechnet werden; wäre da nicht eher eine Mitgliedschaft im Freidenkerverband zu erwarten gewesen?

Horst Groschopp: Das ist ein Blick auf die 1920er Jahre. Bei den Freidenkern der 1870er Jahre bis um 1900 unterscheidet sich das Bild, das viele heutige Nachfahren haben, von der historischen Realität. Es ging denen, die sich Freidenker nannten, um Freiheit im Denken (Nietzsche hat 1881 die „Freithäter“ dagegen gesetzt). Jedenfalls war die Freidenkerei Anfang des 20. Jahrhunderts ein bunter Laden, bis in den Freidenkerbund von 1881 hinein: Bürgerliche, noch keine Arbeiter, Dissidenten aller Art, Lebensreformer, Bildungsbeflissene, Kulturethiker, Säkularjuden, Feuerbestatter, Buddhisten, Nietzscheaner, Anarchisten und selbstredend viele Weltanschauungserfinder. Selbst das „Weimarer Kartell“ von 1909 war ja sehr farbig. Freidenker im heutigen Sinne finden sich damals am Ehesten bei den Freireligiösen, aus denen dann diejenigen hervorgingen, die sich als frei von der Religion verstanden, wesentlich unter dem Einfluss von Marx und Darwin. Das wird erst im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg auffällig. Die Freidenkerei wird quasi proletarisiert, entintellektualisiert, aber politisiert, vom Komitee Konfessionslos bis zum Monistenbund. Hoffmanns Wirken setzt genau an dieser Scheidelinie ein. Deshalb seine Bedeutung.