„Wir waren zwar alle aufgeklärte Marxisten...“

 

Ein Verhalten von frei assoziierten Menschen kommt nicht aus der Luft geflogen. Dafür muss Bewegungsraum produziert und die politischen Bedingungen erzeugt werden, um dann wieder Interesse an Innovation blühen zu lassen. Man hat nichts anderes gemacht, als die ökonomischen Strukturen des Kapitalismus zu reproduzieren.

Dadurch fehlte der Aufbau neuer Verhaltensweisen. Letztendlich ist daran die DDR gescheitert. Sie konnte nicht die neuen ökologischen und sozialkulturellen Strukturen schaffen, die notwendig sind, um eine nachhaltige neue Gesellschaft aufzubauen.

hpd: Verstehe ich es richtig, dass es für die Bürger durch den Aufbau des Apparates notwendig wurde, sich individuelle Nischen zu suchen, in denen sie sich entfalten konnten? Und das eine davon der so genannte Gemeinschaftssinn war?

Ja, man kann es heute vergleichen mit den Kirchen. Im Prinzip ist das was der Marxismus heute sein könnte, nämlich eine moderne Erkenntnistheorie, nicht entstanden, sondern wurde ersetzt durch eine religiöse Ideologie. Dadurch war das, was eigentlich entstehen sollte im Sinne der Aufklärung mit den Prinzipien der französischen Revolution nicht da, weil wir die philosophische Denkweise nicht hatten, natürlich waren es in meinem Kreis alles aufgeklärte Marxisten. Es gab unendlich viele Diskussionen, um zu sehen, wie man aus dem Schlamassel herauskommen könnte. Wir waren zwar alle aufgeklärte Marxisten aber unsere Ideen erreichten den Apparat nicht.“

hpd: 1989 – was hat dieses Jahr in deinem Leben verändert?

Wir haben natürlich die Wege zur Reform gesucht. Es gab unendliche viele Entwürfe und Programme, wie man aus dem Schlamassel heraus kommt. aber das alles war nur im sehr begrenzten Umfang und verlief nur horizontal. Vertikal waren unsere Ideen überhaupt nicht kommunizierbar und nicht durchzusetzen. So ist es nie für die Entwicklung der Gesellschaft an sich relevant geworden.

hpd: Hast du als Dazugekommener den Konflikt eher erkannt als die DDR-Bürger oder die Kollegen?

Der normale Bürger war pragmatisch. Wir, als Wirtschaftswissenschaftler und Politökonomen, haben früher erkannt, dass es so nicht weiter gehen konnte. Aber die Brücke zu schlagen vom Entwurf zu Alternativen, das haben wir nicht gemacht und vor allem, wir haben zu lange gewartet. Immer aus dem Aspekt des automatisch marxistischen Denkens heraus. Wir haben immer gedacht, wenn die Produktivkraft sich entwickelt, müssen sich die gesellschaftlichen Strukturen automatisch entwickeln und anpassen. Das ist aber nicht passiert, weil es die Diktatur der Partei gab. Das war unser Fehldenken. Wir haben immer gedacht: „Sei ruhig, das wird schon noch kommen“. Nichts ist gekommen, die Politiker haben alles blockiert. Mitte der 80-er Jahre war an unserer Fakultät daran nicht mehr vorbei zusehen, wir mussten aktiv werden.

Bereits Mitte 89 hatten wir eine Initiativgruppe für einen modernen Sozialismus gegründet. Zuerst war das mehr oder weniger illegal, dann in dem Fortlauf des Zusammenbruchs der DDR immer öffentlicher. Die ‚Modernisierung der Gesellschaft’ hatte nun eine Lobby und konnte dadurch eine breitere Wirkung erzeugen. Ich wurde beispielsweise an der Humboldt Universität Mitglied des Personalrats, dann im Konzil, eingebunden in die Strukturen der Berufungskommission der Fakultät und am Ende sogar Direktor unseres Volkswirtschafts-Institutes. Es ging in die Richtung, dass wir meinten, etwas bewegen zu können, bis wir festgestellt haben, dass sich auf der politischen Ebene nichts bewegt hat. Ab 1990 gab es keinen Raum mehr für alternative Systeme oder Strukturen. Wir mussten feststellen, dass wir selbst in der Universität nicht weiter kamen.