„Wir waren zwar alle aufgeklärte Marxisten...“

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Humboldt-Ausstellung in der HU-Berlin

BERLIN. (hpd) In der Humboldt Universität hat ein in großen goldenen Lettern eingemeißelter Satz die „Wende“ 1989 überdauert: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ (Karl Marx) Ein Weg durch die Jahre: 20 Jahre Mauerfall – ein Grund Menschen zu treffen, mit ihnen zu sprechen. Hier das zweite Gespräch. Ein Wissenschaftler, der damals an dieser Universität Dozent war.

Im Gegensatz zu der Mehrzahl der DDR-Bürger hat unser Gesprächspartner sich entschieden, in der DDR zu leben und zu arbeiten. Die Hauptstadt der DDR hat er sich selbst als Lebensmittelpunkt ausgesucht, er hat dort geheiratet und wurde Vater eines inzwischen 28-jährigen Sohnes. Was ihn 1961 hierher gebracht hat, scheint, so sagt er, ein komplexes Thema zu sein, das anfänglich auf einer ‚bestimmten’ philosophisch, ideologisch-politischen Ausgangsposition angelegt gewesen sei. Zwischen den Gewerkschaften in Belgien, dort wurde er geboren, und der DDR gab es eine freundschaftliche Beziehung. Dazu kommt, dass in der belgischen Sozialdemokratie die Geschichte und die Erfahrungen des spanischen Bürgerkrieges wichtig genommen wurden und die DDR sich als der deutsche Nachfolger der spanischen „Interbrigadisten“ empfand und zeigte, die die Erbschaft der spanischen Revolution weiterführte. Seine Aufgabe war es anfänglich, für die (belgischen) Gewerkschaften in der DDR Untersuchungen zur Planwirtschaft zu machen. Und dann: „Am Anfang steht die Frau und ich bin geblieben“, so war seine Weiche gestellt. Die Doktorarbeit sollte zu Ende gebracht werden. Der Abschluss zog sich hin, es gab durch Anerkennungsprobleme zwischen den beiden Ländern und als Projekt ein weiteres Doktorat in Belgien. Schließlich stand 1971 eine Stelle an der Humboldt Universität, Fakultät der Wirtschaftswissenschaften für ihn bereit - am Lehrstuhl Politische Ökonomie, Kapitalismus -, und das war genau sein Thema und sozusagen sein „Hobby“. In der Wissenschaft wurde er angenommen, anerkannt, schließlich wuchs er in Gremien und Ämter.

hpd: Der Gemeinschaftssinn der Gesellschaft in der DDR wird immer wieder heraus- und hervorgehoben. Davon könnten sich die Bürger im heutigen Deutschland, 20 Jahre nach der Wende, noch nicht einmal eine Scheibe abschneiden. Soweit sei die jetzige Realität von der damaligen Gemeinsamkeit entfernt. Was steckt dahinter und wie kommt dieser empfundene Verlust zustande?

„Ja, Gemeinschaftssinn als Schlüsselwort für die DDR umzusetzen bedeutet, das offizielle Diktat, das Motto dieser Gesellschaft zu übernehmen. Das wurde aber gesellschaftlich und politisch nicht als Realität umgesetzt. Gemeinschaftssinn gab es in der DDR tatsächlich, aber freiwillig immer nur auf der privaten Ebene. Angetreten ist die DDR mit dem Ziel, eine Gesellschaft zu begründen. in der sich Individuen frei von Zwängen und Unterdrückung entwickeln und etablieren.

Das war die Idee – dann hat man so etwas erfunden wie die Diktatur des Proletariats. Dieses überholte sich, es war politisch keine durchzusetzende Prämisse. So der offizielle Tenor. Tatsächlich aber blieb diese Struktur bestehen. Die Errungenschaften der früheren bürgerlichen Gesellschaft wie individuelle Freiheit hat man negiert und ersetzt durch die Herrschaft einer Partei, oder besser noch, durch die Herrschaft eines Apparats – eigentlich durch die Diktatur einer Parteibürokratie. Eigentum, im marxistischen Sinne als freie Verfügung der Produzenten und Konsumenten über Produktion und Aneignung gedacht, wurde ersetzt durch ein zentralistisches Staatseigentum.

Mit anderen Worten. Es gab in der Produktion keine direkte Beziehung der Arbeit des Einzelnen zu seiner eigenen Basis, es gab keine ökonomische Transparenz. Mit heutiger Begrifflichkeit: Es gab keine Mitbestimmung der Konsumenten und Produzenten. Es gab die Diktatur des Apparates - sowohl politisch wie auch wirtschaftlich. Hier entstand ein großes Problem: Es fehlten Motivation und Interesse an innovativen Lösungen, um zu einer neuartigen technologischen Basis zu kommen. Das führte dazu – so ist meine, sicherlich weltanschaulich bedingte Analyse –, dass die technologische Basis für das Entstehen von Verhaltensweisen freier Individuen fehlte.

 

FDJ-Parlament

 

Ein Verhalten von frei assoziierten Menschen kommt nicht aus der Luft geflogen. Dafür muss Bewegungsraum produziert und die politischen Bedingungen erzeugt werden, um dann wieder Interesse an Innovation blühen zu lassen. Man hat nichts anderes gemacht, als die ökonomischen Strukturen des Kapitalismus zu reproduzieren.

Dadurch fehlte der Aufbau neuer Verhaltensweisen. Letztendlich ist daran die DDR gescheitert. Sie konnte nicht die neuen ökologischen und sozialkulturellen Strukturen schaffen, die notwendig sind, um eine nachhaltige neue Gesellschaft aufzubauen.

hpd: Verstehe ich es richtig, dass es für die Bürger durch den Aufbau des Apparates notwendig wurde, sich individuelle Nischen zu suchen, in denen sie sich entfalten konnten? Und das eine davon der so genannte Gemeinschaftssinn war?

Ja, man kann es heute vergleichen mit den Kirchen. Im Prinzip ist das was der Marxismus heute sein könnte, nämlich eine moderne Erkenntnistheorie, nicht entstanden, sondern wurde ersetzt durch eine religiöse Ideologie. Dadurch war das, was eigentlich entstehen sollte im Sinne der Aufklärung mit den Prinzipien der französischen Revolution nicht da, weil wir die philosophische Denkweise nicht hatten, natürlich waren es in meinem Kreis alles aufgeklärte Marxisten. Es gab unendlich viele Diskussionen, um zu sehen, wie man aus dem Schlamassel herauskommen könnte. Wir waren zwar alle aufgeklärte Marxisten aber unsere Ideen erreichten den Apparat nicht.“

hpd: 1989 – was hat dieses Jahr in deinem Leben verändert?

Wir haben natürlich die Wege zur Reform gesucht. Es gab unendliche viele Entwürfe und Programme, wie man aus dem Schlamassel heraus kommt. aber das alles war nur im sehr begrenzten Umfang und verlief nur horizontal. Vertikal waren unsere Ideen überhaupt nicht kommunizierbar und nicht durchzusetzen. So ist es nie für die Entwicklung der Gesellschaft an sich relevant geworden.

hpd: Hast du als Dazugekommener den Konflikt eher erkannt als die DDR-Bürger oder die Kollegen?

Der normale Bürger war pragmatisch. Wir, als Wirtschaftswissenschaftler und Politökonomen, haben früher erkannt, dass es so nicht weiter gehen konnte. Aber die Brücke zu schlagen vom Entwurf zu Alternativen, das haben wir nicht gemacht und vor allem, wir haben zu lange gewartet. Immer aus dem Aspekt des automatisch marxistischen Denkens heraus. Wir haben immer gedacht, wenn die Produktivkraft sich entwickelt, müssen sich die gesellschaftlichen Strukturen automatisch entwickeln und anpassen. Das ist aber nicht passiert, weil es die Diktatur der Partei gab. Das war unser Fehldenken. Wir haben immer gedacht: „Sei ruhig, das wird schon noch kommen“. Nichts ist gekommen, die Politiker haben alles blockiert. Mitte der 80-er Jahre war an unserer Fakultät daran nicht mehr vorbei zusehen, wir mussten aktiv werden.

Bereits Mitte 89 hatten wir eine Initiativgruppe für einen modernen Sozialismus gegründet. Zuerst war das mehr oder weniger illegal, dann in dem Fortlauf des Zusammenbruchs der DDR immer öffentlicher. Die ‚Modernisierung der Gesellschaft’ hatte nun eine Lobby und konnte dadurch eine breitere Wirkung erzeugen. Ich wurde beispielsweise an der Humboldt Universität Mitglied des Personalrats, dann im Konzil, eingebunden in die Strukturen der Berufungskommission der Fakultät und am Ende sogar Direktor unseres Volkswirtschafts-Institutes. Es ging in die Richtung, dass wir meinten, etwas bewegen zu können, bis wir festgestellt haben, dass sich auf der politischen Ebene nichts bewegt hat. Ab 1990 gab es keinen Raum mehr für alternative Systeme oder Strukturen. Wir mussten feststellen, dass wir selbst in der Universität nicht weiter kamen.

Wir haben sogar festgestellt, dass die radikalsten Vertreter des alten Systems auf einmal auch Professoren in der neuen Universität geworden waren. Wir und die meisten unserer Kollegen scheiterten jedoch im Berufungsverfahren. Meistens wegen objektiver westdeutscher Formalien, beispielsweise mit der Frage, in wie vielen und welchen Zeitschriften wir in den USA veröffentlicht hätten. Wäre eine Parallelfrage zur Sowjetunion gestellt worden hätten wir einiges aufzählen können… Ein halbes bis dreiviertel Jahr später waren also alle unsere Leute, und auch ich, weg und durch westdeutsche Professoren ersetzt worden.

Logisch war das natürlich. Die Fakultät sollte anstatt „Marx-radikal“ in der DDR nun „Markt-radikal“ ausgelegt und dafür umstrukturiert werden und das nicht mit Dozenten mit einer DDR-Biographie, die möglicherweise noch Sozialismus im Kopf haben.

hpd: Welche Aufgabe zum Wandel der Systeme haben die Kirchen in der DDR übernommen.

Auf den Punkt gebracht haben die Kirchen Räume zur Verfügung gestellt, um den notwendig gewordenen Diskurs der Gesellschaft mit zu bewegen. Eine produktive Haltung. Ohne die Kirchen wäre das Jahr 1989 wohl nicht so zu Ende gegangen. Ob die Kirchen selber ideologisch- politisch-philosophischen Input gegeben haben, das wage ich zu bezweifeln.

Wenn ich mir die Leute ansehe, die später als so genannte Dissidenten in eine Partei gegangen sind – ja, da gibt es einige wenige, die es auch bis heute geblieben sind und deren Basis eine wirklich bürgerlich-christliche Ethik ist. Die meisten jedoch, die nach der Wende die große Rolle eines politischen ‚Dissidenten’ spielten, die hatten diese philosophische Basis nicht. Trittbrettfahrer, ja, so nennt man es. Sie sind alle weg.

hpd: Die Kirche hat eine wichtige Aufgabe geleistet – wie ist das weiter gegangen?

Offensichtlich haben die Kirchen die Menschen nicht halten können. Von den heute noch führenden Dissidenten gibt es wohl noch welche die christlich motiviert sind, aber kirchlich aktive? Das sind wohl nur sehr wenige.

hpd: Wenn ich nach Thüringen oder nach Berlin schaue sind die Pastoren in die Politik gegangen - wie ist es also in der Politik?

Ja, nach der Vereinigung gab es natürlich einen Mangel an Elite aus der früheren DDR. Die den modernen Sozialismus gewollt hatten, die waren ja sowieso weg. Von der sehr konservativen Seite her gab es keine Eliten und was übrig blieb von denen, die denken und sich äußern konnten, waren die Theologen. In allen Parteien spielten die Theologen plötzlich eine Rolle, weil sie die einzigen aus dem Osten geblieben waren, die nach den Kriterien des Westens wohl eine öffentliche und kritische Position wahrnehmen konnten.

hpd: Es gibt von dir ein Manuskript zu einem Buch, das zu diesem Thema eine Beziehung hat…?

Ja, das Buch sollte die Biografie von Paulus aus der Sicht eines Politik-Ökonomen werden mit dem Hintergrund, dass das römische Reich finanziell als Imperium so gegen den Baum gefahren war, dass man sich schwer etwas ausdenken musste, um die Militär-Ausgaben zu reduzieren. Gefunden wurde der Saulus/Paulus, der alle Leute am Mittelmeer zur Liebe, zu einer einheitlichen Ideologie missionieren sollte, der römischen Ideologie. Der geheime Missionar der Ideologie war Paulus. Da spielte natürlich meine Erfahrung mit der DDR, mit Stasi, eine Rolle. Paulus war Geheimagent des Römischen Reiches.

Aber was Stasi in der DDR anging, das ist wieder eine sehr komplexe Geschichte.
Es gab nicht „die“ Stasi. Es gab verschiedene...

hpd: Es interessiert mich nicht so sehr, wie die Stasi gearbeitet hat, sondern mehr, wie die Bürger das in ihr Bewusstsein hineingelassen und es später verarbeitet haben. Wie gingen sie damit um, wie ließ sich gelebtes Misstrauen abbauen, wenn es um das Abhören der Telefone, Bespitzeln und dergleichen ging?

Meinung kann man nicht vernichten, die hat man und die trägt man immer mit. Es geht ja hier um die externen Bedingungen, also mehr um die Veräußerung der Meinung.

Selbstverständlich war die Stasi das Überwachungsinstrument der ganzen Gesellschaft. Ein Instrument in der Gesellschaft. Eine Evaluierung der DDR, nur auf Stasi ausgerichtet, setzt aber für mich eine falsche Akzentuierung.

Die Stasi war nichts anderes als das ausführende Organ der Partei. Als Angriffsfläche wurde nach der Wende aber lieber die Stasi genommen und die Partei verschont. Wäre die SED als Partei diametral und radikal angegriffen worden, dann kratzt man natürlich an der Image der Institution ‚Partei’ an sich und insgesamt, auch im Westen. So weit wollte man aber nicht gehen. Die Stasi war nicht das Hauptproblem der DDR sondern die radikal bürokratische Diktatur des Parteiapparates.

hpd: Noch einmal zum 9. November 1989 …

Vielfach bin ich schon danach gefragt worden und kann das nicht so richtig beantworten. Ich weiß nur, dass ich meine Seminare und Vorlesungen hatte. Ich weiß nur, dass ich schockiert war wie der FDJ-Sekretär, und das war ein wichtiger Mann an der Fakultät, sagte, er sei "mal’ nach West-Berlin gegangen…".

Mit meiner Familie bin ich zwei Wochen nachdem die Mauer aufgegangen war nach West-Berlin gegangen, um mal zu gucken. Wir wussten ja, dass es eine Öffnung geben musste, aber das es so schnell und in dieser Form sein würde, das nicht. Es hat mich zwar schockiert und doch war es zu erwarten gewesen. Das hat mich als Belgier auch nicht so bewegt. Ich selber und auch meine Frau konnten ja aus der DDR ausreisen und wiederkommen. Insofern hatte ich eine Sonderstellung anderen Bürgern gegenüber, die das Land nur reglementiert verlassen durften.

hpd: Gibt es Dinge, die du aus der Zeit vor dem 9. November vermisst?

Ja, besonders Kollegialität und Solidarität. Wir wohnten im Süden von Berlin und da wurde alles gemeinsam gemacht. Man hat sich geholfen und heute spricht man noch nicht einmal miteinander. Natürlich wurde das damalige Miteinander auch hervorgerufen durch die Mangelwirtschaft. Man musste sich helfen.

Und die Kollegialität. Wir sind fast jede zweite, dritte Woche mit 10, 20 Leuten zusammen gekommen, haben diskutiert, unseren Wein getrunken und wenn wir uns heute noch zu viert zusammenfinden ist es etwas Besonderes. Man hatte ja Zeit, Zeit zum Denken, zum Reden, Zeit, sich zu Bewegen, wenn auch innerhalb der Grenzen. Das war damals möglich, in Ruhe miteinander zu reden – aber privat, nur privat. Heute ist jeder in Stress und Hektik.

hpd: Wie stellst du dir die weitere Entwicklung vor und siehst du Möglichkeiten zu einem politischen oder wirtschaftlichen Wandel?

Ja, die Antwort auf diese Frage ist genauso wie die Analyse, was die DDR war. Das ist nur möglich, wenn man akzeptiert, dass so eine Betrachtung von einem bestimmten philosophischen Standpunkt aus gemacht wird. Wie es weiter geht – wenn ich es richtig verstanden habe mit Ostdeutschland. Es gibt da verschiedene Varianten und Modelle.

Fangen wir mit einer katastrophalen Vision an: Ostdeutschland wird ein Naturreservat, in dem nur wenige Menschen wohnen, was ja auch real ist, wir haben in den letzten Jahren wieder zwei Millionen Menschen verloren. Bestimmte Städte sind keine Städte mehr und haben die demographische Zuordnung verloren. Also das ist eine Variante.

Dann die positive Variante. Leute, die diese Auffassung vertreten meinen, was Ostdeutschland jetzt durchmacht sei ein vorgezogenes Modell für das, was sich über ganz Deutschland ausbreiten wird. Das heißt eine Verwüstung des ländlichen Raumes, die Konzentration auf die Städte mit allen Begleitaspekten von sozialer Polarisierung bis hin zur geballten Kriminalität. Diesen Prognosen ist entgegen zu setzen, das aus den jetzigen ostdeutschen Erfahrungen und Lehren gezogen werden m ü ß t e n , die am Ende dann doch eine Lösung für das gesamte Deutschland aufzeigen. Ich sehe es ähnlich, weil ich glaube, dass der Zusammenbruch der DDR - also des so genannten real existierenden Sozialismus -, seinen Grund in überalterter Technologie hatte, der sowohl gesellschaftlich wie ökologisch keine Zukunft hatte.

Dass die DDR bzw. der Sozialismus eher zusammengebrochen ist bedeutet nicht, dass der Kapitalismus deshalb so bleiben kann. Der hat vielleicht noch schlimmere technologische Strukturen. Die Finanzkrise beispielsweise ist für mich eine systemische Krise, das ist keine Krise der Finanzstruktur. In diese Krise gehört auch die Ökologie, die Umwelt, das Denken, alles gehört dazu, so dass wir vor einer Krise der bis heute durchgesetzten technologischen Strukturen stehen. Wenn es der Gesellschaft gelingt, den Sprung zu anderen technologischen Strukturen zu schaffen, in denen die Umwelt eine Rolle spielt und nicht mehr die konkurrierenden Herrschaftsverhältnisse, dann sehe ich eine Zukunft. Natürlich muss man die technologische Entwicklung beeinflussen, versuchen zu steuern. Anderseits besteht eine Wechselwirkung. Bestimmte technologische Strukturen heben politische Strukturen auf.

Mutig macht es mich. Es bewegt sich, es ist etwas im Gange und das seit längerer Zeit.

hpd: Ich habe den Eindruck, dass gerne über Wege gesprochen wird und auch über Ziele. Aber wie können wir, die wählen gehen, erfahren, ob die Parteien und die Politiker Wege gehen und verwirklichen, was als Ziel formuliert wird. Oder geht es darum, nur über Ziele zu sprechen? Wie können wir das erkennen?

Ja, da muss ich wieder eine These in den Raum stellen. Für mich ist es unmöglich, das in der politischen Struktur der heutigen repräsentativen parlamentarischen Demokratie zu finden. Ich glaube, das Parteiensystem ist nicht mehr der heutigen Komplexität der Probleme angepasst. Es war bis zu dem Zeitpunkt angepasst, wo es eindeutige Klassen gab, eindeutige Interessen gab.

Aber heute ist die Welt mit der Globalisierung dermaßen komplex geworden, dass auf einzelne Interessen ausgerichtete Parteien, und das sind sie ja, diese Ziele nicht mehr formulieren können. Das können auch die Volksparteien nicht, wenn dort gedacht wird, die soziale Polarisierung vom Tisch zu fegen brächte die Lösung und angeblich würden sie für das Volk als Ganzes leben. Das ist es auch nicht.

Ich glaube die Zukunft der Demokratie und die Lösung steht in der Entfaltung der Volksbewegungen. Bewegungen , die mehr thematisch gebunden sind, die in der Lage sind, professionell zu thematischen Problemen Lösungen zu finden. Wie sich das nun politisch organisieren lässt, da bin ich überfragt und darüber diskutiert man schon lange Zeit. Fazit: Ich glaube nicht, dass die Parteien. so wie sie heute strukturiert sind und wie sie denken, dafür eine Lösung bringen werden.


hpd: Bist du zur Bundestagswahl gegangen?

Kann ich nicht, ich bin Belgier.


hpd: Das war ein Schlusswort. Danke.

 

Die Fragen stellte Evelin Frerk. Mit dabei war Katharina Eichler.

 

Danke an Dr. Rudolph Mondelaers für das Gespräch. Wir trafen ihn in der Humboldt Universität Berlin.
Historische Fotografien: Privatarchiv Dr. Rudolph Mondelaers
Aktuelle Fotografie: Evelin Frerk.
 

Die anderen Gespräche:

Gespräch (5): „Der Baum der Verwandlung blüht ewig.“

Gespräch (4): „...und irgendetwas gab es immer nicht.“

Gespräch (3): „Findet eine Revolution statt, wird doch gearbeitet“

Gespräch (1): „Leben im Wandel des ‚Systems'"