Bedingungsloses Grundeinkommen und Gender

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Fotografie: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Zunehmend versuchen Verbände von Konfessionsfreien und einzelne Personen, Humanismus und die soziale Frage zu verbinden. Neun Treffer liefert das Online-Archiv des hpd für den Begriff „Grundeinkommen“. Eine differenzierte Sicht auf Genderperspektiven fehlt jedoch – wie auch in vielen anderen Bereichen - weitgehend.

Aus Anlass des Diskussionsabends „Das bedingungslose Grundeinkommen: Chancen und Risiken aus feministischer Sicht“, der am 8. Oktober von der Berliner Gesprächsrunde „Philosophisches Quartett zum Grundeinkommen“ veranstaltet wurde, entschied sich der hpd mit Katrin Heinau, einer der ReferentInnen, ein Interview zum Thema zu führen, zumal während der eigentlichen Veranstaltung oft vom Thema abgewichen wurde und es tatsächlich mehr um das bedingungslose Grundeinkommen ging als um seine Implikationen aus feministischer Sicht.

Katrin Heinau studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Germanistik an der FU Berlin, absolvierte eine Schauspielausbildung und arbeitete in der Freien Szene als Dramaturgin und Schauspielerin. Sie arbeitete im wissenschaftlichen Buchantiquariat und unterrichtete Deutsch als Fremdsprache. Katrin Heinau lebt als freie Schriftstellerin in Berlin, sie schreibt Prosa, Lyrik, Theatertexte und Hörspiele.

hpd: Würdest du die Idee des Grundeinkommens, wie auch du es vertrittst, zunächst kurz erläutern?

Katrin Heinau: Im Rahmen des Netzwerks Grundeinkommen wird das Grundeinkommen immer als ein bedingungsloses Grundeinkommen gedacht. Die Bedingungslosigkeit ist der Hauptunterschied zu verwandten Konzepten, die derzeit in den Parteien diskutiert werden. Durch die Bedingungslosigkeit ist das BGE fundamental vom Bürgergeld der FDP unterschieden, das dieser Tage in den Koalitionsverhandlungen auf den Tisch kommen wird. Das FDP-Bürgergeld ist zu niedrig und an Konditionen geknüpft, außerdem will die FDP dafür andere Sozialleistungen streichen. Das BGE stellt demgegenüber eine jedem Menschen ohne Bedürftigkeitsprüfung zustehende, existenzsichernde Basis dar. Viele, auch viele Linke, halten diese Forderung für übertrieben, anderen, zum Beispiel Anarchisten, geht sie nicht weit genug.
Es ist durchaus möglich, dass das BGE bestehende Geschlechterrollen verfestigt, weshalb es dahingehend wachsam zu sein gilt. So könnte die traditionelle Tendenz zur weiblichen Erwerbslosigkeit verstärkt werden. Andererseits ist es ein probates Mittel zur Armutsbekämpfung, zur Erlangungen von mehr Freiheit für Frauen (aber auch für Männer), sich z.B. von einem „Ernährer“ zu trennen oder sich aus Abhängigkeiten aller Art zu lösen, davon würden Frauen möglicherweise stark profitieren. Einerseits, andererseits - so what? Könnte man nicht zusätzlich zur Diskussion von Befürchtungen versuchen, im Grundeinkommen selbst etwas Emanzipatorisches über das hinaus zu entdecken, was es auf sozialer Ebene vermutlich auslöst?

hpd: Bevor wir mit dem eigentlichen Thema weitermachen wäre für diejenigen, die sich mit der Thematik noch nicht auskennen, nach der Finanzierbarkeit zu fragen und nach dem Betrag, an den ihr gedacht habt.

K.H.: Das bedingungslose Grundeinkommen ist implizit global gedacht. Die Höhe wäre unterschiedlich, je nachdem, wo es eingeführt werden würde. Für Deutschland wird von einem Betrag von ca. 1000 € gesprochen. So viel wie möglich! hat kürzlich Robert Ulmer, einer der beiden Initiatoren des Philosophischen Quartett zum Grundeinkommen, insistiert. Für die Finanzierbarkeit gibt es verschiedene Modelle, am populärsten ist das Mehrwertsteuer-Modell von Götz Werner. Aber auch andere Modelle sind nicht zu verachten. Wer möchte, kann sich unter www.grundeinkommen.de darüber informieren. Die Finanzierbarkeit ist gewährleistet, das steht genauso fest wie dass der Hunger in der Welt bekämpft werden könnte. Letzteres ist von NGOs überzeugend dargelegt worden, es wäre möglich, scheitert aber bisher am politischen Willen. So auch hier. Es ist eine Frage der Politik und der kulturellen Überzeugungen von dem, was Arbeit, was Tätigkeit ist, was eigentlich gesellschaftliche Anerkennung einbringt.

hpd: Was würde sich – nicht nur in Bezug auf Frauen – gesamtgesellschaftlich ändern, wenn wir das BGE einführen würden? Was würde dies für die Produktivität der Menschen bedeuten? KritikerInnen des BGE befürchten ja, dass niemand mehr arbeiten würde.

K.H.: Das ist ein populärer Einwand. Ich bin nicht der Meinung, dass niemand mehr arbeiten würde. Ich denke aber, dass es eine größere Freiheit geben würde, auch mal Nein zu sagen zu einer Arbeit, deren Bedingungen vielleicht verbessert werden müssten. Dies brächte also einen größeren Verhandlungsspielraum auf Seiten der Arbeitnehmer, aber auf Seiten der Arbeitgeber auch die Gewissheit, dass jemand, der eine Arbeit annimmt, motivierter ist als derjenige, der sich dazu gezwungen sieht, unter allen Umständen zu möglichst geringem Lohn zu arbeiten. Eigentlich hätten in dem Punkt beide Seiten Vorteile.

Kulturelle Impulse kann man in großer Zahl imaginieren bis hin dazu, dass durch eine geringere Bedeutung des Prototyps männlicher Erwerbsarbeiter die sogenannten „weiblichen“ Bereiche, also alle Sorgetätigkeiten, die „Reproduktionssphäre“ aufgewertet würde. Dabei muss man aus Gleichstellungsperspektive aber gleich wieder warnen, die bis dahin unbezahlte Reproduktionsarbeit nun als bezahlt anzusehen. Das BGE ist als bedingungslose Existenzgrundlage keine Entlohnung für welche Tätigkeit auch immer. Aber zu den kulturellen Veränderungen, die man sich mit dem Grundeinkommen vorstellen kann, gehört, dass diese Bereiche in dem Moment, in dem sie in der Erwerbsbiographie kein Hindernis mehr darstellen, auch einen anderen Stellenwert bekommen könnten.