Ideologien des Islamismus

(hpd) Der junge Politikwissenschaftler Dirk Baehr geht in seinem Buch „Kontinuität und Wandel in der Ideologie des Jihadi-Salafismus. Eine ideentheoretische Analyse der Schriften von Abu Mus’ab al-Suri, Abu Mohammad al-Maqdisi und Abu Bakr Naji“ auf neue Ideologie- und Strategieansätze im Umfeld des islamistischen Terrorismus ein.

Da diese neueren Vordenker zwar von Attentätern offenbar näher wahrgenommen wurden, aber im Westen noch keine größere Aufmerksamkeit fanden, verdient der Band aufgrund seines hohen Informationsgehalts Aufmerksamkeit.

Nach islamistischen Anschlägen fanden die Fahnder nicht selten in den Wohnungen der Terroristen Schriften von Abu Mus’ab al-Suri, Abu Mohammad al-Maqdisi oder Abu Bakr Naji. Während klassische Ideologen des Islamismus wie Sayyid Qutb mittlerweile auch bei Interessierten in den westlichen Ländern bekannt sind, gilt dies weniger für die neueren Strategen und Vordenker des gewaltgeneigten Teils dieser politischen Bestrebungen. Dies hat den Politikwissenschaftler Dirk Baehr dazu motiviert, „die Wurzeln sowie den Wandel des Jihadi-Salafismus anhand der Schriften von führenden Ideologen“ (S. 11) darzustellen. Unter „Salafismus“ versteht er eine Sammelbezeichnung für die Anhänger einer Position, der es um eine Rückkehr zur Gesellschaftsordnung zur Zeit des Propheten Mohammed geht. „Jihadi-Salafismus“ meint als Teilbereich des „Salafismus“ jene Tendenzen, welche diesen Weg nicht nur mit politischen, sondern auch mit terroristischen Mitteln gehen wollen. Demnach steht bei Baehr der Begriff „Jihadi-Salafismus“ für den „Jihadismus“.

Sein Buch gliedert sich in fünf größere Teile: Zunächst geht er auf die ideengeschichtlichen Wurzeln des Jihadi-Salafismus ein und nimmt eine Typologie der salafistischen Strömungen vor. Dem folgen Betrachtungen zur Transformation vom politischen Salafismus zum Jihadi-Salafismus, wobei insbesondere Sayyid Qutb, Abudalla Azzams und Osama bin Ladens Positionen und Strategien näher vorgestellt werden. Erst danach geht Baehr ausführlich auf die drei genannten neueren Ideologen des Jihadi-Salafismus mit einer Kurzbiographie und Ausführungen zu deren wichtigsten Beiträgen zu politischen Auffassungen und Handlungen ein: Bei Abu Mus’ab al-Suri geht es insbesondere um die neuen Strategien zur Bekämpfung des Westens in Form von regionalen Zellenstrukturen. Demgegenüber steht die Perfektionierung des Glaubens im Sinne einer unbedingten Loyalität bei Abu Mohammad al-Maqdisi im Zentrum. Und bezogen auf Abu Bakr Naji hebt das Buch vor allem dessen strategische Überlegungen zur Provokation des Westens zu Überreaktionen hervor.

Bilanzierend bemerkt Baehr, „dass ein Wandel in der jihadi-salafistischen Ideologie stattgefunden hat, da seit dem Afghanistan-Krieg neue Gegebenheiten in den dschihadistischen Bewegungen anfielen, die die Bewegungen enorm gefährdeten“ (S. 15). Insbesondere von den drei genannten Vordenkern seien entscheidende Impulse ausgegangen: Nach al-Suri solle der Kampf „nur noch in geheimen, dezentralen Zellen organisiert werden ... die keine Kontakte untereinander haben.“ Für al-Maqdisi liege „in einer strikten Regelung des Glaubens das Schlüsselelement zum richtigen Handeln aller Muslime“ (S. 170). Und zentrales Element in Najis Strategie sei die „Einsicht, dass die Überwindung eines militärischen Feindes nur durch eine langfristige militärische und ökonomische Ausblutung des Westens geschehen kann“ (S. 171). Baehr sieht in deren Wirken auch eine Herausforderung zur geistig-politischen Auseinandersetzung, denn: „Der Kampf gegen den Terror kann nicht nur militärisch gewonnen werden. Wichtiger ist der Kampf um die Köpfe“ (S. 175).

Autor und Werk kommt das Verdienst zu, auf bislang in der breiteren Debatte über die islamistisch-terroristische Bedrohung ungenügend berücksichtige Ideologen aufmerksam gemacht zu haben. Aus einer autonom agierenden Zelle ergibt sich ein anderes Gefahrenpotential als aus einer anderen Struktur terroristischen Handelns. Und auf eine Provokationsstrategie war seinerzeit die Bush-Administration nahezu genau kalkuliert hereingefallen. Allein diese beiden Gesichtspunkte machen es notwendig, sich mit den drei Ideologen des Jihadi-Salafismus auseinander zu setzen. Baehr liefert dazu auf Basis deutsch- und englischsprachiger Übersetzungen von deren Werken eine bedeutende Informationsbasis. Die hohe und zentrale Wirkung von deren Positionen auf die Al Qaida-„Anschlagspolitik“ postuliert der Autor aber nur – sieht man einmal von den Ausführungen zu Aabid Khans Praline-Netzwerk ab. Es lässt sich aber nicht immer eine so direkte Linie von Ideologie zu Tat ziehen. Diese Anmerkung schmälert aber nicht den hohen Informationsgehalt des Bandes.

Armin Pfahl-Traughber

 

Dirk Baehr, Kontinuität und Wandel in der Ideologie des Jihadi-Salafismus. Eine ideentheoretische Analyse der Schriften von Abu Mus’ab al-Suri, Abu Mohammad al-Maqdisi und Abu Bakr Naji, Bonn 2009 (Bouvier-Verlag), 214 S., Euro 21,90.