Missbrauch: Es ist alles seit Jahren bekannt

BERLIN. (hpd) Anlässlich der Vorfälle im Canisius-Kolleg brandet eine Welle der Berichte und Stellungnahmen zum Missbrauch in katholischen Einrichtungen durch die Medien, als wäre es die Neuigkeit des Neuesten und die volle Empörung angesagt. Es ist jedoch bereits alles seit Jahren bekannt. Eine Dokumentation des UN-Berichts der Initiative Kirche von unten (IKvu) aus dem Jahr 2003.

 

 

 

 

 

 

 

 

Römisch-katholische Kirche und Kinderrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland

 
Ein NRO-Bericht
über die Behinderung der Konvention
durch das katholische Kirchenrecht
am Beispiel sexuellen Missbrauchs

von Verena Mosen (IKvu)

September 2003

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Zu diesem Bericht

Teil I. Deutschland und sexueller Kindesmissbrauch
Deutschland und die Kinderrechtskonvention
Sexueller Missbrauch und Ausbeutung im deutschen Recht
Die römisch-katholische Kirche und deutsches Recht

Teil II. Der Heilige Stuhl und Deutschland
Katholisches Kirchenrecht
Neues Gesetz fordert Verschwiegenheit und zentralisierte Rechtsverfahren
Der Vatikan und die römisch-katholische Kirche in Deutschland
Ermittlungen der deutschen katholischen Bischöfe bei sexuellem Missbrauch

Teil III: Die römisch-katholische Kirche in Deutschland und die Einhaltung der
inderrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland
Innere Widersprüche
Widersprüche zum deutschen Recht

Empfehlungen
An die deutsche Bundesregierung
An die UN-Kommission für die Rechte des Kindes
An den Heiligen Stuhl
An die römisch-katholische Kirche in Deutschland

Anhang Überblick über angezeigte Fälle von Kindesmissbrauch
durch Geistliche in Deutschland (1993-2002)

Einleitung

Im Mai 2002, anlässlich der Sondersitzung der UN Generalversammlung zur Situation von Kindern, legte die Nichtregierungsorgansiation (NRO) Catholics for a Free Choice (CFFC) der UN-Kommission für die Rechte des Kindes einen Bericht über das weltweite Problem des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche und Ordensleute vor. Ein zweiter und ausführlicherer Bericht wurde dem Komitee im Oktober 2002 in Genf unterbreitet. Diese Berichte sollen die Kommission in ihrer umfassenden Überprüfung der Rechtslage und Rechtsauslegung durch den Vatikan unterstützen, sowie in Ermittlungen darüber, inwiefern durch geltendes Kirchenrecht die Gesetze anderer Staaten, die die Kinderrechtskonvention unterzeichnet haben, in Mitleidenschaft gezogen werden.

Da das vatikanische Recht dem deutschen Recht zum Schutz des Kindes widerspricht, ist die Einhaltung der in der Konvention vereinbarten Verpflichtungen in Deutschland gefährdet. Folglich legen Catholics for a Free Choice (CFFC), die Initiative Kirche von unten (IKvu) und die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche (WsK) diesen Bericht der bundesdeutschen Regierung sowie der UN-Kommission für die Rechte des Kindes vor, um deutlich zu machen, dass das Recht des Heiligen Stuhls mit deutschem Recht unvereinbar ist.
Als Folge dessen sehen sich Kinder fortwährend potentiellem Missbrauch und Ausbeutung durch katholische Geistliche ausgesetzt. Die drei für diesen Bericht verantwortlichen Organisationen hoffen, dass dieser Bericht der UN-Kommission und der deutschen Regierung hilft, die Auswirkung des vatikanischen Rechts hinsichtlich Kindesmissbrauchs einschätzen zu können und die deutsche katholische Kirche nach deutschem Recht und nach der ratifizierten UN-Konvention, die auch durch den Vatikan unterzeichnet wurde, in die Verantwortung zu nehmen.

Der deutschen katholischen Kirche und der ständigen Vertretung des Vatikan in Genf wird ebenfalls eine Kopie dieses Berichtes mit der Aufforderung unterbreitet, der deutschen Regierung und der UN-Kommission bezüglich unserer ausgedrückten Besorgnis Bericht zu erstatten.

Zu diesem Bericht

Dieser Bericht gibt einen Überblick über deutsches sowie über vatikanisches Recht und deren Auswirkungen auf die Einhaltung der Kinderrechtskonvention und die Rechte von Kindern. Er konzentriert sich auf sexuellen Missbrauch und die Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen durch deutsche ordinierte römisch-katholische Priester und Ordensleute, die Verschleierung dieses Missbrauchs und darauf, wie bisher mit Missbrauchsfällen - unter Verletztung der deutschen Gesetze zum Schutz von Kindern - umgegangen wurde. Am Ende wird dargelegt, dass der Vatikan von Missbrauchsfällen wusste und damit auch Verantwortung für die Einhaltung des deutschen Rechts sowie der Kinderrechtskonvention trug, um Kinder in Deutschland vor solchem Missbrauch zu schützen.

Der Vatikan, Staat und Regierung der römisch-katholischen Kirche, ist kein Mitglied der Vereinten Nationen, hat aber einen ständigen Beobachterstatus. Als einer der ersten Staaten trat er im Jahre 1990 der Kinderrechtskonvention bei und hielt die Weltgemeinschaft dazu an, die Durchsetzung dieser Konvention voranzutreiben. Durch seinen Beitritt akzeptierte der Vatikan die in der Konvention festgeschriebenen Verbindlichkeiten und stimmte zu, sie in die Praxis umzusetzen, um das Wohl der Kinder weltweit zu fördern.

Die katholische Kirche zählt mehr als 1 Milliarde Gläubige weltweit, das ist ein Sechstel der Weltbevölkerung. In Deutschland bekennen sich ca. 33% der Bevölkerung zum römisch- katholischen Glauben. Viele der Gesundheitseinrichtungen und Schulen werden direkt durch die katholische Kirche betrieben. Gemeinsam mit den protestantischen Kirchen ist sie in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber. In Anbetracht dieses beträchtlichen Einflusses, den die katholische Kirche auf Kinder in diesem Land hat, sollte dem Staat die Einhaltung der Kinderrechtskonvention durch die römisch-katholische Kirche ein wichtiges Anliegen sein.

Seit 1995 wurde in den Medien weltweit über viele tausend Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs durch katholische Geistliche berichtet, einige davon auch in Deutschland. Da die Initiative Kirche von unten (IKvu) diese Situation - ebenso wie die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche (WsK) - seit Jahren kritisch beobachtet, ist sie besonders geeignet, diesen Bericht über den Einfluss des Vatikans auf die deutsche Einhaltung der Konvention zu verfassen. Die IKvu untersucht sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Kirchenangestellte in Deutschland und hat hierzu bereits viele Erklärungen verfasst. Da sie eine ökumenische Organisation ist, bezieht sie sich nicht nur auf die römisch-katholische, sondern auch auf die protestantischen Kirchen in Deutschland. Hintergrundinformationen, Schlussfolgerungen und Erklärungen der IKvu und anderer Organisationen sowie eine Aufstellung veröffentlichter Kindesmissbrauchsfälle können auf der Homepage der IKvu in einem Sonderbericht zu sexuellem Missbrauch eingesehen werden.

Im letzten Jahr richtete WsK außerdem eine Nothilfe für Missbrauchsfälle ein. Opfer von Missbrauch können sich für eine Beratung an die Organisation „Zypresse“ (+49 180 3000862) wenden. Hier werden sie ernst genommen und es werden erste hilfreiche Schritte mit ihnen besprochen.