Für Differenzierung in der Vorurteilsforschung

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Minarette / Foto © Evelin Frerk

(hpd) Kann man Antisemitismus und „Islamophobie“ gleichsetzen? Gibt es Gemeinsamkeiten bei der Feindschaft gegen Juden und Muslime? Oder verharmlosen Verweise darauf die Besonderheiten des Antisemitismus? Verbindet sich hiermit die Relativierung eines im Holocaust mündenden Denkens? Über diese Fragen wird seit einiger Zeit in den Feuilletons und auf Konferenzen heftig gestritten.

Ein Beitrag zur Debatte über einen Vergleich von Antisemitismus und „Islamophobie“.

Von Armin Pfahl-Traughber

Journalisten und Wissenschaftler tragen mit hohem Impetus ihre jeweiligen Auffassungen vor, garnieren sie mit polemischen Zuspitzungen und insinuieren bedenkliche Absichten der jeweils anderen Seite. Dabei geht nicht selten die bei einem solchen Thema besonders notwendige Differenzierung und Sachlichkeit verloren: Positionen von Andersdenkenden referiert man inhaltlich schief, die Ebenen der Betrachtung und der Vergleiche geraten durcheinander. Vor einer kritischen Kommentierung der jeweiligen Positionen bedarf es von daher zunächst einmal der genauen Aufmerksamkeit für das, was jeweils tatsächlich gesagt bzw. geschrieben wurde.

Am Beginn der jüngsten Kontroverse stand ein Artikel des Historikers Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, in der Süddeutschen Zeitung („Hetzer mit Parallelen“ vom 4. Januar 2010). Darin bemerkte er nach Ausführungen zu den Strukturmerkmalen des Feindbildes von den Juden: „Wer sich, zu Recht, über die Borniertheit der Judenfeinde entrüstet, muss aber auch das Feindbild Islam kritisch betrachten ... Es ist ein Gebot der Wissenschaft, die Erkenntnisse, die aus der Analyse des antisemitischen Ressentiments gewonnen wurden, paradigmatisch zu nutzen.“ Denn: „Die unterschwellig bis grobschlächtig praktizierte Diffamierung der Muslime als Gruppe durch so genannte ‚Islamkritiker’ hat historische Parallelen.“ Und hierfür nannte Benz als Beispiel die Agitation im Kontext des Berliner Antisemitismusstreits um Heinrich von Treitschke nach 1879. Bereits damals sei mit Überfremdungsängsten gegen eine Minderheit gehetzt worden, welche auffällige Gemeinsamkeiten mit der heutigen „Islamfeindschaft“ in Internet-Foren habe.

Auf diese Stellungnahme antwortete der Journalist Henryk M. Broder, Autor polemischer Streitschriften und Mitarbeiter des Spiegel, in einem Artikel in der Welt  („Sind die Muslime die Juden von heute?“ vom 13. Januar 2010). Darin kritisierte er, man könne sicherlich alles miteinander vergleichen, doch „Analogien aufzurufen, um sie schließlich scheinheilig zu verneinen, das ist die Methode Hohmann“. Ähnlich argumentiere auch Benz, wenn er „Parallelen zwischen den Antisemiten des 19. Jahrhunderts und manchen ‚Islamkritikern’ des 21. Jahrhunderts zieht“. Er habe darüber hinaus den Begriff „Islamophobie“ durch „Islamkritik“ ausgetauscht und unterstelle, „das Kritik am Islam per se verdächtigt ist, die Muslime so zu diffamieren, wie der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts die Juden diffamiert hat“. Auch der Historiker Julius H. Schoeps, Direktor des Moses-Mendelsohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien, sieht in einem Beitrag für Die Jüdische (Antisemitismus: „Abwegige Parallelen“ vom 16. Januar 2010) Benz auf „Irrwegen“ und die Gefahr einer „Verharmlosung historischer und aktueller Judenfeindschaft“.

Angesichts derartiger Reaktionen darf zunächst daran erinnert werden, dass es einen Unterschied von Gleichsetzung und Vergleich gibt: Eine Gleichsetzung steht für das Ergebnis eines Vergleichs und behauptet eine weitgehende Identität zweier oder mehrer Phänomene. Ein Vergleich fragt demgegenüber im Sinne eines analytischen Verfahrens nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden und kann im Ergebnis zu unterschiedlichen Einsichten kommen: Dabei lassen sich jeweils grundsätzliche wie teilweise Differenzen oder Übereinstimmungen konstatieren. Für was plädierte nun aber Benz? In seinem Text mit dem Titel „Hetzer mit Parallelen“ wies er auf formale Gemeinsamkeiten bei der Feindbildkonstruktion bestimmter „Antisemiten des 19. Jahrhunderts und mancher ‚Islamkritiker’ des 21. Jahrhunderts“ hin. Damit verbindet sich aber weder eine gänzliche Gleichsetzung von Antisemitismus und „Islamkritik“ noch eine inhaltliche Verkennung der Konsequenzen für die von derartigen Vorurteilen betroffenen Menschen.

Insofern haben die Kritiker Benz zumindest einseitig oder gar falsch verstanden. Dafür bot gleichwohl seine inhaltlich schiefe Begriffsverwendung einen Ansatzpunkt: Analytische Vergleiche machen nur dann Sinn, wenn die untersuchten Phänomene auch auf der gleichen Ebene liegen. Dies ist bei einerseits Antisemitismus und andererseits „Islamkritik“ oder „Islamophobie“ aber nicht der Fall. Antisemitismus steht für Feindschaft gegen Juden als Juden. Die Vergleichskategorie wäre eine Feindschaft gegen Muslime als Muslime, wofür hier der Begriff „Antimuslimismus“ vorgeschlagen werden soll. „Islamophobie“ steht für eine diffuse Angst vor dem Islam und ist auch aufgrund der Verwendung als Kampfbegriff von Islamisten ein problematischer Terminus. Noch bedenklicher ist es, als Kategorie für den Vergleich mit dem Antisemitismus von „Islamkritik“ zu sprechen. Hierbei muss aber betont werden, dass Benz diesen Terminus bewusst in Anführungszeichen setzte. Er hätte dabei aber klarer zwischen einer argumentativen und hetzerischen Islamkritik unterscheiden müssen.

Was bedeuten nun die sowohl gegen Benz wie seine Kritiker formulierten Einwände für eine vergleichende Betrachtung von Antisemitismus bzw. Judenfeindschaft und Antimuslimismus bzw. Muslimenfeindschaft? In beiden Fällen handelt es sich um Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer). Als solche können sie auch hinsichtlich verschiedener Aspekte untersucht werden. Benz wies durchaus zutreffend auf die formalen Gemeinsamkeiten bei der Feindbildkonstruktion hin: das dualistische „Gut-Böse“-Schema, die pauschale Schuldzuweisung, das stereotype Erklärungsmodell, die unangemessenen Verallgemeinerungen. In der Tat lassen sich auch Erkenntnisse aus der Forschung zum Antisemitismus im Sinne einer vergleichenden Betrachtung auf die Untersuchung des Antimuslimismus übertragen. Genau dies regte Benz inhaltlich durchaus angemessen an, fördern solche Analysen doch den Erkenntnisgewinn über Aufkommen, Funktion, Struktur und Wirkung von Vorurteilen.

Eine Gleichsetzung mit dem historischen wie dem aktuellen Antisemitismus verbindet sich damit nicht: Für die Einstellungsebene stehen dem spezifische judenfeindliche Ressentiments entgegen und für die Wirkungsgeschichte verbietet sich dies schlicht durch die Erinnerung an den Holocaust. Die Ignoranz gegenüber solchen Sachverhalten sollte man Benz angesichts seiner zahlreichen Publikationen gerade zu diesen Themen nicht unterstellen. Er müsste aber - im Sinne einer erkenntnisfördernden Perspektive für den Vergleich - das von ihm bezüglich der Feindschaft gegen Muslime gemeinte Phänomen genauer beschreiben. Das Verständnis von Antimuslimismus erfasst denn auch nicht Einwände, welche auf demokratietheoretisch und menschenrechtlich bedenkliche Einstellungen unter Muslimen abzielen. Der kritische Hinweis auf die Bedeutung von Religion gegenüber den Grundrechten oder hinsichtlich des Status von Frauen in der Gesellschaft hat nichts mit Aversionen gegen Minderheiten zu tun. Er steht vielmehr für das Bekenntnis zu den Werten einer offenen Gesellschaft.

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn und Herausgeber des „Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung“, Brühl.