Die guten Hirten

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Foto: freidenker.at

WIEN. (fdb/pd) Irland, Deutschland, Österreich. Die katholische Kirche kämpft mit Vergangenheit und Gegenwart. Pfarrer missbrauchen Kinder, Kirchenobere vertuschen. Zumindest war das bis vor kurzem so. Seit kurzem will auch die Kirche die sexuelle Gewalt gegen Kinder in den eigenen Reihen bekämpfen. Ein Kampf, der bislang offenbar gescheitert ist. Warum, analysiert Viktor Englisch.

Mit Christoph Schönborn, dem Erzbischof von Wien, muss dieser Tage selbst ein hartgesottener Kirchengegner Mitgefühl haben. Es ist ihm anzumerken, wie schwer er sich tut, die neuen Fälle von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche, die bekannt wurden, anzusprechen. Er und die anderen Bischöfe erwecken den Eindruck, als hätten sie einigermaßen verstanden, was da über Jahrzehnte Kindern und Jugendlichen angetan wurde und immer noch wird. Und innerhalb dessen, was sie sich vorstellen können, versuchen sie vermutlich auch ihr Möglichstes, das zu verhindern.

Allein, das können sie nicht, ohne die Struktur zu zerstören, in der und für sie leben. Jeder Versuch einer Religionsgemeinschaft, nicht nur der katholischen Kirche, zu verhindern, dass Kinder von ihren Geistlichen oder Angestellten sexuell missbraucht werden, ist zum Scheitern verurteilt. Es scheitert daran, dass Sexualität in diesen Reihen tabu ist. Es scheitert daran, dass Autoritätshörigkeit, unbedingtes Vertrauen bis hin zur Unterwürfigkeit die psychologischen Fundamente einer Religionsgemeinschaft sind. Es scheitert auch daran, dass das hieße, ein patriarchales Weltbild zu zerstören, das alle größeren Religionsgemeinschaften dieser Welt in der einen oder anderen Form propagieren und das ihr Überleben ermöglicht.

Bei der katholischen Kirche kommt das Problem Zölibat hinzu. Nicht, dass er direkt für Kindesmissbrauch verantwortlich würde. Ein Mann vergeht sich nicht aus lauter sexuellem Frust an einem Kind. Dafür stehen ihm andere Möglichkeiten zur Verfügung. Wozu haben Klöster Alimentefonds? Und die Parties im St. Pöltner Priesterseminar sollen auch keine Teekränzchen gewesen sein. Pädophilie hat nichts mit sexueller Unbefriedigtheit zu tun. Aber der Zölibat erklärt Mitglieder des katholischen Klerus zu asexuellen Wesen. Da kann die Wachsamkeit eines Vorgesetzten oder der Umgebung schon mal nachlassen.

Kultur des Vertuschens

Das befördert auch eine Kultur des Vertuschens und Wegschauens, die ihresgleichen sucht. Schon wenn ein Pfarrer mit einer Frau zusammenlebt, trifft ihn der Bannstrahl der Kirche. Homosexuelle werden mit einer gewissen Vorliebe in Frauenklöster versetzt. Allerdings nur, sobald öffentlich über die Affären gesprochen wird. So lange es geheim bleibt, sieht man gnädig über derlei Dinge hinweg. Man will es nicht wissen. Um wie viel einfacher ist es mit dieser Sicht der Dinge, über Gerüchte hinwegzusehen, ein Pfarrer vergehe sich an Kindern.

Ein Bewerber um die Weihen muss nachweisen, dass er potent ist. Mehr nicht. In einer Einrichtung, in der Sex tabu ist, käme niemand auf die Idee zu fragen, was bei ihm sexuelle Erregung auslöst. Und die meisten Anwärter kommen aus einem Umfeld, in dem sie nicht gelernt haben, das zu artikulieren. Sofern sie überhaupt über hinreichende Erfahrungen gemacht haben, um es selbst zu wissen. So erkennt man ganz bestimmt keine Pädophilen.

Kein Vertrauen in Ombudsstellen?

Man muss der katholischen Kirche in Österreich zugestehen, dass sie aus den Skandalen der vergangenen Jahre gelernt hat. Ombudsstellen oder die Leitungen der Diözesen nehmen wirklich Kontakt zur Polizei auf, sobald ein begründeter Verdacht besteht, ein Priester habe eine Vorliebe für Kinder. Und der Ombudsmann der Erzdiözese Wien fordert angesichts seiner Erfahrungen sogar, die Verjährungsfrist für Kindesmissbrauch müsse verlängert werden. Die beginnt laut aktueller Rechtslage mit dem 18. und endet mit dem 28. Geburtstag eines ehemaligen Opfers - . Findet es bis dahin kein Worte für sein Leiden, geht der Täter straffrei aus. Und es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass es länger dauert, bis die Narben so weit verheilt sind oder der Leidensdruck so groß, dass sich die Opfer jemandem anvertrauen können. Der Ombudsmann fordert, dass die Verjährungsfrist mindestens 20 Jahre dauern soll.

18 bis 20 Betroffene oder ihre Angehörige wenden sich jährlich an die Ombudsstellen. Oft nach jahrzehntelangem Schweigen. Vermutlich nur ein Bruchteil der wirklichen Opfer priesterlicher Übergriffe. Wirklich groß scheint das Vertrauen nicht zu sein. Wenn man bedenkt, dass den Betroffenen jahrzehntelang gesagt wurde, sie sollten schweigen, dass ihnen niemand glaubte, oft nicht einmal die eigenen Eltern, und wenn, dass man ihnen sagte, das sei halb so wild, dass sie erlebt haben, dass den Tätern nichts passierte – wenn man das alles bedenkt, überrascht es wenig, dass sich ehemalige Opfer nicht gerade darum reißen, sich an kirchliche Stellen zu wenden. Die katholische Kirche hat noch viel zu beweisen. Die einzige Möglichkeit wäre eine systematische Aufarbeitung. So groß ist dann die Begeisterung der Bischöfe auf wieder nicht. Und der öffentliche Druck fehlt. So haben die Ombudsstellen, bei allem Bemühen, das sie um die Opfer zu haben scheinen, den schalen Beigeschmack des Placebos für die Öffentlichkeit.