Religionskritiker II: Neuzeit

(hpd) Als Religionskritiker sollen im Folgenden einige Denker mit ihren Auffassungen entlang der historischen Chronologie kurz portraitiert werden. Zwar besteht eine Gemeinsamkeit in der grundlegenden Kritik an Religion allgemein oder an besonderen Religionen. Es handelt sich allerdings nicht immer um Atheisten, kamen die Dargestellten doch auch auf Basis einer agnostischen, deistischen oder pantheistischen Auffassung zu ihren Einwänden.

Mitunter handelt es sich sogar um die Anhänger einer Religion, die andere Religionen kritisieren oder bestimmte Grundlagen der eigenen in Zweifel ziehen. Darüber hinaus lassen sich Unterschiede in der Schwerpunktsetzung der Kritik ausmachen: Mal ist es die Begründungsebene, also die Rechtfertigung für Religion, mal ist es die Erklärungsebene, also die Deutung der Akzeptanz, mal ist es die Wirkungsebene, also die Geschichte der Religion. Bei der Auswahl der Portraitierten fanden insbesondere Kritiker des Christentums und der deutschsprachige Raum Berücksichtigung.

Religionskritiker II: Neuzeit

Am Beginn der neuzeitlichen Religionskritik steht als erster wichtiger Vertreter Giordano Bruno (1548-1600), der sich vom gläubigen Dominikanermönch zum pantheistischen Materialisten entwickelt hatte. Nach naturwissenschaftlichen Forschungen kam er zu dem Ergebnis, dass die Menschen das Göttliche in sich selbst trügen. Außerdem vertrat Bruno die Auffassung, die Natur sei die Ursache aller Schöpfung und das Universum unendlich. Damit verwarf er die offizielle Lehre vom Glauben an einen personellen Gott, der allein Menschen und Natur erschaffen habe. Auch bei ethischen Fragen nahm Bruno eine Gegenposition zur Kirche ein, lehnte er doch die Lehren vom Sündenfall und der Vorherbestimmtheit des Schicksals als lebensfremd ab. Die Vervollkommenung der menschlichen Natur sei nicht vom Handeln Gottes abhängig, sondern das Werk gebildeter Individuen. Bruno musste seine Kritik mit dem Leben bezahlen: Nach mehrjähriger Kerkerhaft wurde er wegen Ketzerei öffentlich verbrannt.

Während die meisten der hier vorzustellenden Religionskritiker aus christlich geprägten Familien stammten, gilt dies nicht für den niederländischen Philosophen Baruch Spinoza (1632-1677). Er kam aus einer jüdischen Familie, geriet durch Studien in Zweifel an der Religion und wurde von der Synagoge mit einem Bannfluch belegt. Spinozas „Theologisch-politischer Traktat“ von 1670 enthält neben einer grundlegenden Staatslehre auch eine historische Bibelkritik: Das von ihm untersuchte „Alte Testament“ sah Spinoza als Produkt geistiger Tätigkeit des Menschen an, was auch die Widersprüche einiger Berichte zu den Naturgesetzen erkläre. Insofern könne die Bibel nicht in Übereinstimmung mit den Wissenschaften gebracht und als Grundlage für die Herausbildung einer Moral genutzt werden. So müssten sich notwendigerweise Widersprüche zwischen Morallehre und -praxis ergeben. Zahlreiche Vertreter der französischen Aufklärung knüpften an Spinozas Philosophie und Religionskritik an und führten sie weiter.

Der Philosoph und Publizist Pierre Bayle (1647-1706) gilt als Repräsentant der französischen Frühaufklärung, veröffentlichte er doch mit dem „Historischen und kritischen Wörterbuch“ von 1695 und 1697 ein wichtiges Werk zur Kritik philosophischer und theologischer Dogmen. Danach seien Glaube und Vernunft nicht vereinbar, enthielten doch zentrale Auffassungen des Christentums viele Ungereimtheiten und Widersprüche. Zwischen Religion und Sittlichkeit bestehe angesichts des Verhaltens vieler Christen kein Zusammenhang, insofern sei auch ein tugendhaftes Zusammenleben von Atheisten vorstellbar. Gleichwohl verstand sich der stark calvinistisch geprägte Bayle selbst nicht als Atheist. Das Aufkommen des Aberglaubens erklärte er mit dem Verweis auf die menschliche Angst vor der Zukunft. Ihr hätten sich Herrscher und Priester bedient, um die Religion zur Niederhaltung und Täuschung der Massen zu nutzen. Die damit verbundene Priestertrug-Auffassung sollte später die atheistische Agitation stark prägen.

Eine vehemente Gesellschafts- und Religionskritik der frühen Neuzeit stammt ausgerechnet von einem französischen Dorfgeistlichen: Nach privaten Studien zu philosophischen und religiösen Fragen verfasste Jean Meslier (1664-1729) einen später als „Testament des Abbe Meslier“ bekannt gewordenen Text, worin die Religionen als Betrug, Einbildung und Irrtümer gedeutet wurden. In polemischem Tonfall wies er auf Fehler der christlichen Moral, Widersprüche in den Evangelien und Fälschungen in der „Heiligen Schrift“ hin. Außerdem verknüpfte Meslier diese Einwände mit einer Gesellschaftskritik, die sich gegen die Ausbeutung der Armen durch die Reichen und die Willkürherrschaft der Könige und Fürsten richtete. Die Religionen dienten in seiner Sicht der Manipulation und Täuschung der Menschen, um sie beherrschbar und unmündig zu halten. Meslier vertrat somit bereits früh eine atheistische, kommunistische und materialistische Position, die über Abschriften des „Testaments“ auch vielen Denkern der Aufklärung bekannt wurde.

Durch seine zahlreichen polemischen Streitschriften gegen die Kirche wurde der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire (eigentlich Francois-Marie Arouet) (1694-1778) als Religionskritiker bekannt. Er wandte sich darin gegen die zahlreichen Anmaßungen und Widersprüche in der offiziellen kirchlichen Lehre, aber auch gegen den im Namen der Liebe gepredigten und praktizierten Fanatismus und Hass. Mit Blick auf die Geschichte des Christentums wies Voltaire auf die in dessen Namen begangenen zahlreichen Grausamkeiten hin und wandte sich gegen die mit Fälschungen und Manipulationen verbundene Umdeutung der Vergangenheit. Und schließlich forderte er eine Entmachtung der Kirche und daraus folgend die Trennung von Kirche und Staat. Voltaire verstand sich nicht als Atheist, sondern als Deist. Von ihm überliefert ist die Aussage, wenn Gott nicht existiere, müsse man ihn erfinden. Voltaire sah in dem Glauben an ein solches Wesen die unabdingbare Voraussetzung für die soziale Integration der Gesellschaft.

Insbesondere mit den Gottesbeweisen setzte sich der schottische Erkenntnistheoretiker David Hume (1711-1776) in seinen „Dialogen über natürliche Religion“ von 1776 auseinander. Bei diesem Werk handelt es sich um einen fiktiven Dialog mehrerer Personen, wobei die eigentliche Position des Autors selbst nur vermutet werden kann. Hume sah sich wohl angesichts der seinerzeitigen Gefahren für seine Person zu einem solchen Vorgehen motiviert. Insbesondere der teleologische Gottesbeweis, also die Erklärung der Gegebenheiten der Welt durch einen planenden Schöpfer wie bei menschlichen Erfindungen, stand im Zentrum des Textes. Gegen diese Annahme spreche eine relativ schwache Analogie zwischen menschlichen Schöpfungen und natürlicher Welt, die Ignoranz gegenüber anderen Erklärungen für die Ordnung im Universum und das Bestehen von Übel in der Welt trotz eines wohlwollenden Schöpfers. Auch heute hat Humes Kritik an den Gottesbeweisen nichts von seiner Aktualität verloren.