(hpd) In diesen Tagen erschien im Alibri Verlag das Buch von Jürgen Beetz „Denken – Nach-Denken – Handeln. Triviale Einsichten, die niemand befolgt“. Der Ingenieur und Systemanalytiker beschreibt darin in zehn Kapiteln, die auf Erkenntnisse aus Hirnforschung, Naturwissenschaften, Psychologie und Philosophie zurückgreifen, warum wir manchmal anders denken als handeln. hpd interviewte den Autor.
hpd: Herr Beetz, was verstehen Sie unter „Trivialen Einsichten“?
Jürgen Beetz: „Triviale Einsichten“ – damit sind Erkenntnisse gemeint, die wir mit ein wenig Mühe und Nachdenken erlangen können, die oft evident sind, durch unmittelbare Anschauung verständlich, bei denen jeder sofort nickt und sagt: „Ja, so ist es!“
hpd: Warum muss man dann darüber ein Buch schreiben? „Denken“ und „Triviale Einsichten“ ist ja ein relativ allgemeiner Titel...
Jürgen Beetz: Durch ein wenig Nachdenken und die Verwendung einfacher naturwissenschaftlicher Gesetze kommt man oft zu Erkenntnissen, die man „eigentlich“ schon besitzt, aber nicht beherzigt. Ein paar konkrete Beispiele: die albernen Ping-Pong-Diskussionen, die man aus den politischen Debatten kennt – einer sagt: die Steuern müssen rauf, der andere sagt: die Steuern müssen runter –, verschwinden, wenn man sieht, wie „die Wahrheit in der Mitte“ verläuft. Der Streit, ob Übergewicht unglücklich macht oder Unglücklichsein zum Futtern animiert, löst sich auf, wenn man das Prinzip der Rückkopplung kennt. Das ist eines der zentralen Themen: die Aufhebung der linearen Kette zwischen Ursache und Wirkung, also des Kausalprinzips. Er ist dick, weil er unglücklich ist, weil er dick ist.
hpd: Können Sie weitere Beispiele für triviale Einsichten nennen?
Jürgen Beetz: Das einzig Konstante im Leben ist die Änderung. Vor Dummheit kann uns auch das Denken nur begrenzt schützen. Den Verstand einzusetzen ist kein Fehler – es zeichnet uns Menschen aus. Bei der Suche nach der Wahrheit ist meist der Weg das Ziel. Erkenntnis ist oft das Erschaffen von Realität in unserer Vorstellung, manchmal das Begreifen von gegebener Wirklichkeit. Erhebliche Zweifel sind angebracht bei Personen, Institutionen oder Dogmen, die einen Irrtum von vornherein ausschließen. Es gibt keine simplen Lösungen für komplexe Probleme. Einfaches monokausales lineares Denken führt in die Irre. Keine Meinung zu haben, ist nicht unbedingt ein Zeichen von mangelndem Denken – oft eher das Gegenteil. Und die schönste und älteste von allen: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Genug Trivialitäten?
hpd: „Keine Meinung zu haben“ schadet nicht – ist das nicht ein Plädoyer für Interesselosigkeit?
Jürgen Beetz: Im Gegenteil! Aber ich plädiere dafür, sich zuerst gründlich zu informieren und dann ein wenig nachzudenken, bevor man einen Standpunkt bezieht. „Was kümmern mich die Fakten, ich habe doch schon meine Meinung“ – diese Haltung treffen wir leider viel zu häufig an.
hpd: Gibt es noch andere spannende Fragen, die Sie untersuchen?
Jürgen Beetz: Ja, viele: Ist unser Leben vorbestimmt oder regiert der Zufall? Wieso führt unsere menschliche Kommunikation zu solchen Missverständnissen? Weshalb fallen wir auf die Psychospiele unserer Mitmenschen herein? Wie wirklich ist die Wirklichkeit – und gibt es überhaupt eine Wahrheit? Das sind alte philosophische Fragen, die immer noch oder schon wieder aktuell sind. Antworten finden Sie in diesem Buch, nicht ohne die Anregung, sie zu hinterfragen. Es ist eine Bedienungsanleitung für Skeptiker.
hpd: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Jürgen Beetz: Das esoterisch-spirituelle Geschwurbel mancher Mitmenschen ging mir zunehmend auf den Keks. Entschuldigung, ich drücke mich manchmal etwas umgangssprachlich aus – das ist hoffentlich die einzige Gemeinsamkeit mit Dieter Bohlen. Aber es gibt ja nicht nur im eigenen Umfeld, sondern auch in den Talkshows der Medien ein immer größeres Bedürfnis nach Sinnstiftung, Welterklärung und Heilslehren. Dabei stelle ich ein Gespaltensein der Menschen fest: Mit einer Hälfte ihres Verstandes sind sie im 21. Jahrhundert, mit der anderen im Mittelalter, in alten Glaubensvorstellungen. Über die Hälfte aller Deutschen glaubt an übersinnliche Phänomene. Dem wollte ich einfach nur einen Prozentpunkt mehr Vernunft gegenüberstellen. Das kann ja nicht zu viel verlangt sein, und es würde die Quote des Verstandesgebrauchs glatt verdoppeln.
hpd: Deswegen beschreiben Sie im vorletzten Kapitel eine Methode…
Jürgen Beetz: … um noosphärische (den Bereich des Geistigen betreffende) Störzonen zu entschwafeln. Mit pseudowissenschaftlichem Gefasel wird uns viel Unverdautes untergejubelt. Klares Denken kann aber letztlich nicht nachgeahmt und nicht ersetzt werden.
hpd: Sie sind doch Naturwissenschaftler aus der Ecke „Informatik“ und „Systemtheorie“. Wie sind Sie denn zu philosophischen Themen gekommen?
Jürgen Beetz: Sie sind enger verwandt als man denkt. Es gibt viele interessante und überraschende Querverbindungen. Das technische Prinzip der „Rückkopplung“ etwa führt unmittelbar zu klassischen Paradoxien wie das „Paradoxon des Epimenides“ aus der Antike. Er war ein Kreter und sagte: „Alle Kreter lügen“. Das verwirrte schon die griechischen Philosophen. Die Ehe zwischen Wissenschaft und Philosophie wurde ja erst im Mittelalter geschieden.
hpd: An wen richtet sich Ihr Buch?
Jürgen Beetz: An jeden, der seinen Kopf nicht nur zum Glauben benutzt. Aber Wissen und Erkennen, so ist es im Motto zu diesem Buch formuliert, sind die Freude der Menschheit: Es ist spannend, interessant und befriedigend, „hinter etwas gekommen zu sein“. Wer am Nach-Denken, am kritischen Hinterfragen Spaß hat, der ist mein Leser.
hpd: Was ist denn so schlimm an Mythen und Pseudowissenschaften?
Jürgen Beetz: Eigentlich ist es egal, woran die Menschen glauben. Aber das Wort „eigentlich“ zeigt immer, dass das nicht so ganz stimmt. Skeptisches Denken kann vor großem Schaden bewahren, finanziell, gesundheitlich, seelisch. Und wenn Sie in die Hände gewisser Sekten geraten, die Ihnen das Denken aus dem Hirn waschen, dann kann Ihr Leben ruiniert sein. Ich verlange ja nicht viel: Schauen Sie nur ab und zu einmal nach, ob das wirklich stimmt, was Sie meinen oder was man Ihnen verkaufen will. Ich fühle mich umzingelt von Leuten, die viel Geld für Heilslehren oder Erweckungsseminare ausgeben.
hpd: „Umzingelt“? Rationalismus als Psychose?
Jürgen Beetz: Die Psychose der heutigen Zeit entsteht aus ungezügelten Emotionen. Gegenüber „Andersgläubigen“ empfinden wir alle einen steinzeitlichen Fremdenhass, der nicht mehr in unser globales Dorf passt. Wir brauchen ein neues Weltbild, achtsame Gelassenheit, angepasste Wertsysteme und Toleranz. Die aber hat ihre Grenzen, wo sie Verbrechen gegen die Menschlichkeit duldet. Wir tolerieren keine Intoleranz. Eine hübsche Paradoxie!
hpd: Sie scheinen Paradoxien zu lieben?
Jürgen Beetz: Ja, sie sind tiefgründiger als man denkt. Nicht nur Wortspiele, sondern Hinweise auf unlogisches Denken oder „zyklische Prozesse“. Viele bemerken sie gar nicht. „Keine Regel ohne Ausnahme“ ist selbst eine Regel und kann nicht wahr sein, wenn der Satz wahr ist. Auch darüber habe ich geschrieben.