Den öffentlichen Raum zum Kinoraum machen

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Fotos: Susan Navissi

BERLIN. (hpd) Globale Filmfestival Berlin mit Karawane Festival und The VOICE. Ein afrikanisches Sprichwort besagt: "Die Geschichte der Löwen wird von deren Jägern erzählt. Wenn die Löwen anfangen, ihre Geschichte selbst zu erzählen, wird das eine andere sein, als die Geschichte der Jäger."

Am Sonntag, den 30. Mai trafen sich um 17.00 Uhr vor der Motardstrasse 101a, dem berüchtigten „Ausreisezentrum“ in Berlin Spandau Menschen. Die einen sind akut von Abschiebung bedroht, die anderen jene, die sich für sie einsetzen; die Aktivisten von globale die, frei von kommerziellen Interessen, politische mit cineastischen Ambitionen kombinieren. Auch mit dabei waren VertreterInnen von der Flüchtlingsbewegung The Voice und Mitglieder der Karawane 2010 in Jena.

Alle drei Gruppen eint das Ziel, auf die Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam zu machen. Gemeinsam und solidarisch mit ihnen wollen sie sich einsetzen für eine menschenwürdige Art und Weise des Umgangs mit Personen, die aus politischen, religiösen oder anderen Gründen in ihrer Heimat massiven Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt waren.

T. Hering, einer der Organisatoren von globale erklärt die Wahl des Ortes damit, dass es hier schon eine gewisse Tradition gibt, die Schranken und auch Isolation der Flüchtlinge zu durchbrechen. Bereits 2007 fand hier eine ähnliche Aktion statt.

globale ist sowohl eine Gruppe als auch eine Veranstaltung, deren Mitglieder ehrenamtlich und frei, also nicht institutionell gebunden, arbeiten. Sie verstehen sich als FilmemacherInnen, Netzwerk und Forum für politischen Film.

Den öffentlichen Raum für Filmvorführungen zu nutzen, welche dadurch Installationscharakter bekommen und mehr Menschen erreichen als nur jene, die sich in Kinoräume begeben, ist für T. Hering wichtig. Genauso wichtig sind auch Aufführungen z. B. im Moviemento, dem diesjährigen Veranstaltungsort der globale 2010, wo, wenn das Licht angeht, konzentrierte Diskussionen stattfinden.

Am 30. Mai hat die globale den Kinosaal verlassen, um vor Ort Betroffenen einen Film zu zeigen und sich mit ihnen zu solidarisieren und zu diskutieren.

Ein Sprecher von The Voice begann seine Ansprache mit den Worten: „Ich habe sechs Monate in einem Flüchtlingsheim unter harten Bedingungen gelebt. Wir haben uns gewehrt und dieses Heim wurde daraufhin geschlossen. Ihr braucht keine Angst zu haben, es kann nicht schlimmer werden. Wollt ihr in solchen Containern leben?“

In den Gesichtern der BewohnerInnen spiegelte sich Angst und er bekam zunächst keine Antwort auf seine Frage (die von ÜbersetzerInnen in den jeweiligen Sprachen wiederholt wurden).

Ich konnte diese Angst nachvollziehen. Welche Alternative mag wohl einem Menschen einfallen, nachdem er oder sie sich durch den deutschen, meist demütigenden Bürokratiedschungel schleppte.

Für diesen Menschen, der nicht in einem Container wohnen möchte, kaum ärztliche Versorgung erhält und aufgrund der Residenzpflicht an einen Ort gefesselt ist, gibt es nur die Alternative, dorthin zurück zu müssen, zu dem wovor er fliehen musste.

Nach der Rede des Vertreters von The Voice jedoch kam Bewegung in die Gruppe der zunächst skeptischen BewohnerInnen und sie suchten das Gespräch mit dem Redner.

Die Kinder malten während dessen auf den großen Bahnen Papier was ihnen einfiel. Da waren viele Häuser zu sehen, Namen und das Wort Germany und Worte in arabischen Buchstaben, afghanische Worte, die vielleicht zuhause hießen oder Heimat.

Schließlich wurde der Film gezeigt: „Das Boot ist voll und ganz gegen Rassismus (Dokumentarfilm, 55 Min. auf Betacam und VHS): Wahljahr 1998. Eine Karawane zieht quer durch Deutschland. "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme!"

Und diese Stimme ist laut. In Rostock bei einer Wahlkundgebung der SPD, in Köln auf der Polizeiwache, wo zwei Freunde in Haft sind oder in Tambach, wo Flüchtlinge gegen ihre Isolierung kämpfen und die Schließung des Heimes fordern. Es ist die erste Solidaraktion dieser Art, bei der sich Flüchtlinge, MigrantInnen und deutsche Gruppen zusammenschlossen, um sich gemeinsam zu wehren.“

 

Die Vernetzung, das Zusammenschließen und die Bildung von Bündnissen mag in dieser Zeit der immer größer werdenden Unsicherheit und Vereinzelung der BürgerInnen so wichtig sein wie selten zuvor.
Ich kann nicht abschätzen, ob diese Bündnisse stark genug sein werden, der massiven Entsolidarisierung in dieser Gesellschaft etwas mehr entgegenzusetzen. Aber ich hoffe es.

Susan Navissi