Drei Fragen an... Gernot Lennert

 

FRANKFURT (hpd) Am Wochenende 19./20. Juni findet in Frankfurt ein Seminar statt, das Islam und Islamismus als Herausforderung für die Friedensbewegung thematisiert. Im Vorfeld stellt hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor. Veranstaltet wird die Tagung vom Bildungswerks der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen; dort können sich Interessierte auch anmelden.

hpd: Gab es in der Geschichte der islamischen Welt eine Epoche – vergleichbar mit der europäischen Aufklärung –, in der die Persönlichkeitsrechte, zum Beispiel die Gewissensfreiheit, begründet wurden?

Gernot Lennert: In den von Arabern eroberten Zivilisationszentren wurde das wissenschaftliche und philosophische Erbe der Spätantike unter islamischer Herrschaft von Muslimen, Christen, Juden und Zoroastriern bewahrt und weiterentwickelt. Islamische Philosophen und Theologen argumentierten unter dem Einfluss der griechischen Philosophie rationalistisch und betonten die menschliche Handlungsfreiheit. Diese islamischen Philosophen legten langfristig die Grundlagen für Renaissance und Aufklärung in Westeuropa. Trotzdem ist es im islamischen Kulturkreis nicht zu einer Aufklärung analog zur Aufklärung im Westen gekommen. Das Wissen der islamischen Philosophen sollte nur einer Elite enthüllt werden, um Glauben und gesellschaftliche Stabilität nicht zu gefährden. Die Aufklärung gewöhnlicher Menschen war nicht gewollt. Das wäre auch ohne Buchdruck kaum möglich gewesen. Seit dem 12. Jahrhundert setzten sich anti-rationalistische Strömungen durch, der Islam wurde allmählich dogmatischer und starrer ausgelegt.
Seit zwei Jahrhunderten werden die Ideen der im Westen entstandenen Aufklärung auch in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften diskutiert. Allerdings sind mit den verschiedenen Spielarten des politischen Islam mächtige Gegenströmungen entstanden, die individuelle Menschenrechte, Aufklärung und Säkularisierung bekämpfen.

hpd: Menschenrechtsarbeit und erst recht Religionskritik werden in islamischen Gesellschaften häufig als „westlich“ denunziert; stimmt es, dass es hier keine eigenständigen Traditionen gibt?

Gernot Lennert: Angesichts der Politik westlicher Staaten liegt es nahe zu versuchen, Demokratie, Menschenrechte und Religionskritik mit westlichem Kolonialismus und Imperialismus zu assoziieren, vor allem wenn im Namen von Demokratie und Menschenrechten Krieg geführt wird. Seit Ende des 18. Jahrhunderts haben sich in den islamisch geprägten Ländern Menschen eigenständig aus dem Westen gekommene Ideen zu eigen gemacht und weiterentwickelt. Auch in islamisch geprägten Gesellschaften werden die Menschenrechte geschätzt, manchmal auch als mit dem Islam vereinbar gesehen oder sogar direkt aus ihm abgeleitet.

Religionskritik wird in islamisch geprägten Ländern häufig brutal verfolgt, bis hin zur Todesstrafe wegen Blasphemie, die nicht nur vom iranischen Regime angewendet, sondern auch vom von der NATO gestützten Karsai-Regime verhängt wurde.

hpd: 1981 und 1990 wurden spezifisch islamische Menschenrechtserklärungen beschlossen. Ist dies ein Beleg für die Vereinbarkeit von Menschenrechten und Islam?

Gernot Lennert: Gerade diese Menschenrechtserklärungen, die nur auf den allerersten Blick der Universellen Erklärung der Menschenrechte ähneln, stehen unter dem Vorbehalt des Vorrangs der Scharia. Sie propagieren zahlreiche massive Einschränkungen der Menschenrechte, vor allem bezüglich der Rechte von Frauen und Andersdenkenden. Übrigens kennen auch die Menschenrechtskonventionen von UN und Europarat im kleineren Maßstab solche Einschränkungen: Sklaverei und Zwangsarbeit werden verboten mit Ausnahme von Kriegs- und Ersatzdiensten. So universell sind seitens von Staat und Militär also auch die vermeintlich universellen Menschenrechte nicht gemeint.

Die islamischen Menschenrechtserklärungen sind zwar rechtlich nur politische Willenserklärungen, aber die Staaten der Organisation der Islamischen Konferenz setzen sie in praktische Politik um, indem sie weltweit Kritik an Religion und vor allem am Islam unterbinden wollen. Eine derartige Resolution konnten sie bereits im UN-Menschenrechtsrat durchsetzen. Argumentativ unterstützt wird dieser Kampf gegen die Meinungsfreiheit auch von Kulturrelativisten in westlichen Ländern.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Dr. Gernot Lennert ist Historiker und Politologe und arbeitet als Bildungsreferent des DFG-VK Bildungswerks Hessen. Auf der Tagung befasst er sich mit der Frage, ob es im Islam Aufklärung und Religionskritik gibt.