Drei Fragen an... Gunnar Schedel

FRANKFURT (hpd) Am Wochenende 19./20. Juni findet in Frankfurt ein Seminar statt, das Islam und Islamismus als Herausforderung für die Friedensbewegung thematisiert. Im Vorfeld stellt hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor. Veranstaltet wird die Tagung vom Bildungswerk der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen; dort können sich Interessierte auch anmelden.


hpd: Wie lässt sich reaktionäre von aufklärerischer Islamkritik unterscheiden?

Gunnar Schedel: Theoretisch ist das recht einfach: Reaktionäre Islamkritik setzt Mensch und Ideologie, also Muslime und Islam, in eins und geht davon aus, dass Muslime eine homogene Gruppe bilden, die sich immer einheitlich verhält. Und sie schreibt Muslimen eine unwandelbare, durch die Gesetzesreligion Islam geprägte Identität zu. Das Kriterium, jemanden als Muslim oder Muslima zu identifizieren, ist dabei meist nicht das Bekenntnis sondern die Herkunft. Emanzipatorische Islamkritik richtet sich gegen konkrete inakzeptable Taten, Aussagen oder Einstellungen, die explizit über den Islam begründet werden oder mit guten Gründen darauf zurückzuführen scheinen. Sie fragt nach möglichen alternativen Ursachen und berücksichtigt, dass es innerhalb des Islams unterschiedliche Auslegungen bzw. Strömungen gibt. Sie weiß um die zahlreichen eigenständig denkenden Menschen aus dem islamischen Kulturkreis und zielt letztlich auf die Emanzipation des Individuums ab.

In der Praxis ist es nicht ganz so einfach, weil auch immer der Kontext, in dem eine Kritik geäußert wird, eine Rolle spielt. Politically Incorrect wird noch lange nicht zum Bannerträger der Aufklärung, weil sich dort auch ein halbes Dutzend sachlich geschriebener und inhaltlich richtiger Beiträge findet. Umgekehrt ist eine Forderung nicht allein deshalb von der Hand zu weisen, weil sie auch in einem Flugblatt von Pax Europa auftaucht.


hpd: Wie äußert sich reaktionäre Islamkritik heute?

Gunnar Schedel: Da ist zunächst das Internet. In den letzten Jahren ist eine Reihe von Foren und Blogs wie Politically Incorrect entstanden, die sich ausschließlich der Kritik des Islam oder besser: der Muslime widmen. Vor allem in den meist anonym verfassten Kommentaren fällt sehr schnell die Maske; dann tritt das rassistische Ressentiment gegenüber denen „von dort“ ziemlich unverblümt zutage.

Des Weiteren gibt es mittlerweile Gruppierungen wie die Bürgerbewegung Pax Europa, die ihren Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Islam legen. Hier herrscht die Vorstellung vor, das „christliche Abendland“ zu verteidigen. Auch als extrem rechts einzuschätzende Vereinigungen wie Pro Köln nehmen sich vermehrt des Themas Islam an.

Und schließlich entstehen häufig dort Bürgerinitiativen, wo repräsentative Moscheen gebaut werden sollen. Die lassen sich nicht immer sofort einordnen, teilweise geht die Initiative tatsächlich von besorgten oder verunsicherten ortsansässigen Bürgern aus. Allerdings sind häufig die erwähnten Gruppierungen mit von der Partie und oft genug auch federführend. Und manchmal versuchen auch Parteien, von der Union bis zur NPD, auf den Zug aufzuspringen.

hpd: Warum ist diese Form der Islamkritik gerade jetzt entstanden – Muslime leben seit über 40 Jahren in Deutschland?

Gunnar Schedel: Dafür gibt es ein ganzes Bündel an Gründen, die ich jetzt nur kurz andeuten kann. Zunächst: es gibt reale Probleme. Die vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie von Christian Pfeiffer hat das noch mal ins Bewusstsein gerufen, wer sich mit Lehrern oder Sozialarbeiterinnen unterhält, erhält die anschaulichen Beispiele zu den statistischen Daten. Im gesamten Spektrum der Linken wurde dies über Jahre hinweg schöngeredet und es gab kaum Ansätze einer kritischen Auseinandersetzung. Im Gegenteil, wer religionskritisch argumentierte oder offensiv für Frauenrechte eintrat, musste sich häufig den Rassismusvorwurf gefallen lassen. Dann haben sich jene Kräfte der Frage angenommen, die sich ihrerseits damit konfrontiert sahen, dass ein offen rassistischer Diskurs auf stärkeren Widerstand stößt als Tiraden gegen den Islam. Außerdem wird der Islam derzeit sichtbarer, das Repräsentationsbedürfnis der in Deutschland lebenden Muslime steigt, hinzu kommen die Allüren der türkischen Regierung. An diesem Anspruch, sich öffentlich darzustellen, können sich nun Konflikte entzünden oder sie werden anhand solcher Anlässe inszeniert. Und schließlich erheben ausgerechnet die konservativen Islamverbände, obwohl sie nur 15% der Muslime repräsentieren, den Anspruch, für alle in Deutschland lebenden Menschen aus islamischen Ländern zu sprechen, und bestimmen in den Medien das Bild des Islam in Deutschland. All das zusammen hat zu der Situation geführt, dass wir uns heute mit dieser neuen Form von Islamkritik auseinandersetzen müssen.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Gunnar Schedel ist Mitglied der DFG-VK Aschaffenburg; als Teil des Schreibkollektivs Clara und Paul Reinsdorf hat er 2004 den Sammelband „Salam oder Dschihad?“ mitherausgegeben. Auf der Tagung wird er Themen und Akteure reaktionärer Islamkritik vorstellen.