„Logisches Urteil!“ mit Rechtsunsicherheiten

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Bundesgerichtshof / Foto: BGH

KARLSRUHE. (hpd/dgpd/hu) Der Bundesgerichtshof hat in dem Revisionsverfahren gegen Rechtsanwalt Wolfgang Putz entscheiden: Der Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens ist nicht strafbar. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben begrüßt das Urteil, die Humanistische Union mahnt darüberhinaus aber weitere gesetzliche Klarstellungen an.

 

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat gestern sein mit Spannung erwartetes Urteil zur Sterbehilfe verkündet: Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und Rechtsanwalt Wolfgang Putz freigesprochen.

Rechtsanwalt Putz war in Revision vor den BGH gegangen, um ein Urteil des Landgerichts Fulda anzufechten, das ihn 2009 wegen versuchten Totschlags zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt hatte. Vorwurf: Er habe seiner Mandantin telefonisch geraten, die Magensonde der im Sterben liegenden Mutter durchzuschneiden – als Ultima Ratio, um den mündlich geäußerten Willen der Patientin gegen den Widerstand der Heimleitung umzusetzen. Mit dem Gang vor den BGH hatte Putz jetzt ein Grundsatzurteil erwirken wollen.

Die Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) bewertet dieses Urteil als wegweisend, ersetzt es doch frühere BGH-Entscheidungen und stellt klar, dass im Strafrecht nicht verboten sein kann, was im Zivilrecht - mit dem seit September 2009 geltenden Patientenverfügungsgesetz - erlaubt ist.

„Das Urteil ist völlig logisch“, so Prozessbeobachter und DGHS-Vizepräsident Gerhard Rampp: „Der Gesetzgeber kann nicht einerseits mit dem Patientenverfügungsgesetz das Recht einräumen, lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen, aber andererseits nicht gestatten, bereits eingeleitete lebensverlängernde Maßnahmen zu beenden.“

Die DGHS fordert schon lange, dass Patienten, Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige sicher sein müssen, dass ihr Handeln oder Unterlassen legal ist. „Wir freuen uns sehr über diese klare Entscheidung von höchster Stelle. Das bedeutet mehr Rechtssicherheit für Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige und ist ein weiterer Etappensieg in dem Kampf um humanere Sterbebedingungen“, kommentiert DGHS-Präsidentin Elke Baezner die BGH-Entscheidung. Und weiter: „In einem zivilisierten Land mit freiheitlich-demokratischer Rechtsstruktur muss es möglich sein, unabhängig von dogmatischer Bevormundung zu leben und zu sterben.“

Baezner weist in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass Grundlage allen ärztlichen Tuns oder Unterlassens der Wille des Patienten ist. Dass Ärzte und Betreuer gehalten sind, diesen zu ermitteln und umzusetzen, unterstreicht mittlerweile das seit dem 1. September 2009 geltende Patientenverfügungsgesetz (§ 1901 BGB). Dort heißt es: „Liegt keine Patientenverfügung vor (…), hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme (…) einwilligt oder sie untersagt.“

Keine Lösung für die bestehenden Rechtsunsicherheiten

Auch die Humanistische Union begrüßt die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, mit der die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen unabhängig vom Stadium einer Erkrankung der betroffenen Patienten bestätigt wurde. Das Gericht folgte der bisherigen Rechtsprechung, wonach der Abbruch einer medizinischen Behandlung keine Tötung auf Verlangen, sondern eine zulässige Form der Sterbehilfe sei.

Der Geschäftsführer der Humanistischen Union, Sven Lüders, betont dabei jedoch, dass das Verfahren einmal mehr auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf verweise. Rosemarie Will, Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, appelliert deshalb an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags: "Nach der zivilrechtlichen Anerkennung der Patientenverfügungen im vergangenen Jahr ist es nun höchste Zeit, die Grenzen zwischen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe im Strafrecht zu klären." Die Bürgerrechtsorganisation verweist dazu auf einen eigenen Gesetzentwurf, der eine klare Abgrenzung zwischen den verschiedenen Formen der Sterbehilfe enthält und für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe eintritt.

Bestehende Rechtsunsicherheiten

Der Rechtsstreit verdeutlicht nach Ansicht der Bürgerrechtsorganisation das Ausmaß der bestehenden Rechtsunsicherheiten in Bezug auf ein selbstbestimmtes Lebensende. "Die in der Behandlung schwerstkranker Patienten immer wieder auftretenden Fragen, welche Formen des Behandlungsabbruchs zulässig sind und welche nicht, sind weder neu noch unlösbar", so Rosemarie Will. "Seit Jahren weisen Untersuchungen darauf hin, dass Palliativmediziner oder Vormundschaftsrichter immer wieder verwechseln, welche Formen der (Nicht-)Behandlung einer passiven oder indirekten Sterbehilfe entsprechen und zulässig sind, und wo die aktive Sterbehilfe beginnt." Auch diesmal hätten die Richter der Vorinstanzen nicht erkannt, dass der Abbruch einer Behandlung auf ausdrücklichen Wunsch der Patientin keine Tötung auf Verlangen sei. "Um den Schutz von Patienten vor unerwünschten medizinischen Eingriffen zu verbessern, ist der Gesetzgeber gefordert", so die Verfassungsrechtlerin, "endlich einmal Klarheit im Strafrecht zu schaffen."

Die Humanistische Union hat bereits im vergangenen Jahr einen Entwurf zur Änderung des § 216 Strafgesetzbuch vorgelegt. Er beschreibt die zulässigen Formen einer passiven und indirekten Sterbehilfe und könnte dazu beitragen, so langwierige und in existentiellen Situationen frustrierende Verfahren zu vermeiden. Mit ihrem Gesetzentwurf schlägt die Humanistische Union zudem eine Freigabe aktiver Sterbehilfe vor. Es mache aus ihrer Sicht keinen Sinn, dass sich jeder gesunde Mensch straffrei bei der Selbsttötung helfen lassen könne, eine aktive Sterbehilfe aber hilflosen Menschen verwehrt werde.

C.F./dgpd/hu

Der Gesetzentwurf der Humanistischen Union zur strafrechtlichen Freigabe von aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe.

Die strafrechtliche Klärung der Sterbehilfe fordern Juristen seit Jahren, so etwa der 66. Deutsche Juristentag in seinen Beschlüssen vom September 2006