Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (I)

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Stremingers Garten / Fotografie © Evelin Frerk

BAD RADKERSBURG. (hpd) Ein Gespräch mit dem Philosophen Gerhard Streminger über David Hume, Adam Smith, Marktwirtschaft, Religionskritik und auch darüber, warum Streminger meint, dass man von der britischen Kultur durchaus noch immer etwas lernen könne, beispielsweise, ein guter Verlierer zu sein.


hpd: Herr Streminger, Sie haben einen starken Bezug zu England und, wie Sie einmal gesagt haben, das Glück gehabt, sehr früh David Hume für sich und für die Philosophie des deutschen Sprachraums zu entdecken, der bis dahin hier noch nicht so bekannt war.

Streminger: (lacht) Sie sollten davon erzählen, Sie können das doch viel besser. 

hpd: (...) Also fangen wir dann einmal an. Wenn ich in Ihre Biographie schaue und dann lese, Stipendium des British Council als Student, David Hume als Hauptforschungsgebiet, Glen, ein schottischer Hirtenhund als Begleiter im Alltag, ... das sieht alles sehr anglophil aus.

Streminger: Ja, ist es auch. Wir können, davon bin ich überzeugt, von der britischen Kultur immer noch Einiges lernen. Herausragend für mich war und ist die Beschäftigung mit David Hume. Gemeinsam mit Isaac Newton und Charles Darwins gehört er ja zum klassischen Dreigestirn der führenden Intellektuellen Großbritanniens. Ich habe einige Ideen Humes beinahe zufällig während meines Studiums in Graz kennen gelernt. Dann bin ich nach Großbritannien gegangen, um meine Kenntnisse zu vertiefen und habe dort zuerst in Edinburgh studiert, dann in Oxford.

hpd: Es war für mich ein schottischer Bezug heraus zu hören, wenn ich mich auf Edinburgh konzentriere, aber mit Oxford ist es dann ja auch englisch. Spontan würde ich sagen, dass für mich als Norddeutscher England recht nah ist, während es für einen Österreicher doch weiter entfernt ist. Da wären französische Philosophen doch zumindest geografisch näher? Woher also dieser Bezug zu Großbritannien?

Streminger: Vielleicht gibt es sogar auch für mich einen kleinen geografischen Bezug. Denn ich bin in der Britischen Zone in Österreich groß geworden, Graz wurde damals von den Briten verwaltet.

hpd: Also, nicht nur Wien war viergeteilt, auch Österreich?

Streminger: Es war wie in Deutschland. Die Hauptstadt war viergeteilt und das Land insgesamt in Besatzungszonen getrennt, und ich lebte eben in der Britischen Zone. Aber ein wichtigerer Grund war natürlich der, dass die österreichische Philosophie schon damals durchaus stark, jedenfalls stärker als die deutsche, von England und Schottland, vom Empirismus allgemein, beeinflusst war. Otto Neurath, ein österreichischer Philosoph, hat einmal gemeint, dass Österreich sich den Umweg über Kant erspart habe.

hpd: (lacht) Vielleicht war es auch die Abgrenzung gegen das von Kant und Hegel dominierte Preußen?

Streminger: … und gegen den Protestantismus allgemein. Diese Abgrenzung gegen die Preußen hatte dann den unerwartet positiven Effekt, dass die vorkantische englische Philosophie, also der Empirismus und auch die nominalistische Sprachkritik, in Österreich eine gewisse Wertschätzung fanden. Der Höhepunkt in der Beschäftigung mit englischer Philosophie war dann der „Wiener Kreis“ des frühen 20. Jahrhunderts, der stark empiristisch und analytisch ausgerichtet war, wobei Hume eine zentrale Rolle spielte.

hpd: Also war David Hume in diesem „Wiener Kreis“ schon bekannt.

Streminger: Selbstverständlich.

hpd: Es war dann für Sie nicht wie ein Goldgräber, der in der Geschichte der Philosophie auf Schatzsuche unterwegs war und dann das Glück hatte, auf Hume zu treffen?

Streminger: Nein, nicht ganz. Das Interesse an Hume hatte in Österreich eben schon eine gewisse Tradition, und als ich zu studieren begann, gab es am Institut für Philosophie in Graz ein durchaus freundliches, wenn auch eingeschränktes Interesse an Hume, so in der Art von: „Ach ja, interessant, interessant, durchaus!“ Insofern war Graz in den frühen 70er Jahren wahrscheinlich das einzige Institut im deutschen Sprachraum, wo man solches zu hören bekam.

hpd: Ich bin von Hause aus kein Philosoph, aber von dem Wenigen, was ich von Hume gelesen habe, hat mich am meisten das Beispiel mit dem Gottesdienst beeindruckt und dass Hume intellektuell darüber stolperte, dass man sonntags den Schiffbrüchigen nicht helfen durfte, weil man sich an diesem Tag dem Studium der Bibel zu widmen hatte und er sich einfach fragte: „Warum?“ Das ist für mich ein sehr schönes Beispiel für Empirismus: Man geht in die Welt hinaus und stutzt, wenn man etwas feststellt, das mit Wertungen, die man sonst vertritt, im Widerspruch steht, und fragt dann die Welt: „Hoppla, woher kommt es, warum, weshalb?“

Streminger: ... und nimmt das Mitgefühl und die Empathie, die man dabei empfindet – oder die sympathy, wie Adam Smith dieses Phänomen dann später nannte – einfach ernst: Genau das könnte doch die Basis für Moralität sein und nicht – wie im Beispiel der Schiffbrüchigen – die mitleidlosen Prinzipien einer kirchlichen Moral!

Um diese Empathie, die Basis einer möglichen (Mitleids-)Ethik noch ein wenig zu erläutern: Es handelt sich dabei, zumindest im Rahmen der Humeschen Philosophie, um das den Menschen angeborene Mitgefühl mit anderen, zumindest gegenüber Menschen des emotionalen Nahbereichs. Im Beispiel von den Schiffbrüchigen wird das ganz deutlich: Stellen wir uns einmal vor, so ermuntert Hume seine Leser, das besagte Schiff würde immer näher an den Strand getrieben. In der Entfernung haben wir noch wenig Bezug, aber wenn sie sich dann dem emotionalen Nahbereich nähern, das verzweifelte Schreien der Menschen zu hören ist, dann berührt uns das existentiell. Denn im emotionalen Nahbereich gibt es neben den egoistischen Antrieben auch altruistische Empfindungen und damit den Wunsch, auch Anderen möge es gut gehen. Das Schiffbrüchigenbeispiel ist zur Illustration der affektiven Reaktionen des Menschen auf andere ausgezeichnet gewählt, und es macht unmittelbar deutlich, warum Ethiken, die sich bloß auf abstrakte Prinzipien stützen, nicht funktionieren können.

Hume war im Übrigen in diesem Punkt Optimist, er meinte nämlich, dass diese „Nahbereichsmoral“ sich allmählich ausweiten werde; Menschen würden also mit der Zeit ethisch reifer. Ein schöner, aber auch provokanter Gedanke!

hpd: Sie nannten gerade Adam Smith, über den Sie ja auch als Philosoph gearbeitet haben, was mich überraschte, da ich Adam Smith bisher nur als Wirtschaftstheoretiker und Ökonomen des freien Marktes kenne. Nun haben Sie aber gerade Smith, zusammen mit Hume, in diese Linie der Empathie gebracht?

Streminger: Ja. Dem Folgenden sei ein Wort des verehrten Altpräsidenten Richard von Weizsäcker voran gestellt, wonach ‚man Smith mit Smith korrigieren müsse’. Smith, der in Glasgow Professor für Moralphilosophie war, hat zwei große Bücher geschrieben: Das eine ist Der Wohlstand der Nationen, der berühmte Wealth of Nations, eines der einflussreichsten Bücher, die je verfasst wurden. Darin findet sich auch – ganze zwei Mal, auf etwa 800 Seiten! - die berühmte Passage von der Unsichtbaren Hand, die die egoistischen Antriebe des Menschen automatisch zum Besseren, zum Wohl aller lenkt. Aber Smith hat noch ein zweites Buch geschrieben, The Theory of Moral Sentiments, auf Deutsch: Die Theorie der ethischen Gefühle. In diesem versucht er zu zeigen, dass Mitgefühl bzw. Empathie sowie Gerechtigkeit die entscheidenden ethischen Merkmale einer funktionierenden Gesellschaft seien, somit auch die Marktmechanismen auf diese Weise gezähmt werden müssten.