Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (II)

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In Stremingers Garten / Fotografie (c) Evelin Frerk

BAD RADKERSBURG. (hpd) Ein Gespräch mit dem Philosophen Gerhard Streminger über David Hume, Adam Smith, Marktwirtschaft, Religionskritik und auch darum, warum Streminger meint, dass man von der britischen Kultur durchaus noch immer etwas lernen könne, beispielsweise, ein guter Verlierer zu sein. Aber das Gespräch zieht auch seine eigenen Kreise.

Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen, Teil I


hpd: Sind Sie getauft worden und religiös aufgewachsen?

Streminger: Ich bin getauft worden, aber komme aus einer sozialdemokratischen Familie – das klingt spannender, als es in Wirklichkeit ist. Denn dies hieß nur, dass man zu Hause immer nur eine bestimmte Partei wählte, Punktum. Gut begründet wurde das alles nicht, wenn auch später die Regierungszeit Bruno Kreiskys sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde. Mir erging es also so wie vielen meiner Generation, die in weltanschaulichen Dingen vernachlässigt wurden und, mit Bildung oder Lebensweisheit kaum ausgestattet, sich in einer fremden Welt behaupten mussten. Als ich jung war, wurde praktisch alles dem Wiederaufbau untergeordnet. Nachdem große Teile unserer Eltern- und Großelterngeneration halb Europa und die ganze Humanität in Schutt und Asche gelegt hatten, war die Restauration wichtiger als die Bildung der Kinder; und in den Schulen traf man dann die alten Nazis und die ach’ so armen Priester, die wahren Opfer des Nationalsozialismus.

Doch zurück zur Sozialdemokratie. Im Unterschied zu Deutschland, wo die Sozialdemokratie sehr protestantisch geprägt war (und ist?), waren die Sozialdemokraten in Österreich stärker an den Idealen der Aufklärung und Säkularisierung orientiert. Es gibt ja in Österreich keine bedeutsame evangelische Kirche, und wenn, dann waren die meisten Mitglieder damals deutsch-national gesinnt. Sie müssen also bedenken, dass ich, wie schon gesagt, in einer Zeit groß geworden bin, in der alles dem ‚Schaffe, Schaffe’ untergeordnet war und man sich für Ideologien kaum interessierte.

Mein Vater war als Soldat im Krieg gewesen, und zu Hause lebte er wie in einem Konkon, man konnte ihn also nicht wirklich ansprechen; ich erinnere mich nicht, dass er jemals auch nur eine wichtige Frage beantwortet hätte. Mich aber haben diese Probleme interessiert. Es gab natürlich auch damals, wenn man nur ein bisschen wach blieb, verschiedenste Weltanschauungen zu entdecken, und so stieß ich auf das Christentum, aber eben nicht aus religiösen Gründen. Ich nahm einmal zur Kenntnis, was die da sagen, also schauen wir ’mal.

Als ich später, 1974/5, in Göttingen studierte, haben mich dort die linken Gruppen interessiert und ich habe dann auch diese näher beäugt. Aber auch hier als Intellektueller mit einem fast brennenden Interesse an Wahrheit: Da wird etwas gesagt. Gut, aber mit welchem Anspruch? Stimmt es oder stimmt es nicht? Da ich mich nicht wirklich beteiligte, litt ich auch nicht emotional, wenn ich etwas als falsch oder unbegründet erkannt zu haben glaubte. Ich habe diese Nicht-Bindung als etwas durchaus Positives erlebt, da ich dadurch besser in einer Perspektive der Unparteilichkeit, des Abwägens verweilen konnte. Und in diesen Zusammenhängen, wo es letztlich um Wahrheit geht, ist es meines Erachtens ganz wichtig, dass man von großen Abhängigkeiten frei bleibt und nur der Vernunft verpflichtet ist, also immer wieder nach den besten Argumenten sucht und dann im Lichte dieser handelt. Eine solche ‚frei schwebende Intelligenz’, wie Karl Mannheim sie nannte, ist nun einmal das Wesentliche von Vernunft und Aufklärung. Nietzsche zufolge sind sogar alle Parteigänger Lügner. Mit dieser, an der Wahrheit orientierten Einstellung macht man sich aber selten Freunde, denn die meisten wollen ja doch Bekenntnisse hören und nicht Erkenntnisse durchdenken. Ein solches Fest der Vernunft… Aber vielleicht sollte ich wirklich nicht so häufig von ‚Vernunft’ reden, denn das weckt zu starke Assoziationen zum klassischen Rationalismus, in dem die Vernunft als übernatürlich, göttlich galt. ‚Besonnenheit’ wäre vielleicht ein viel schöneres Wort, um das zu bezeichnen, worum es einem empiristisch und naturalistisch gesinnten Aufklärer hier geht.

hpd: Ich habe auch den Eindruck, dass bei der Beschäftigung mit David Hume die Fairness eine große Rolle spielt, auch dem weltanschaulichen Gegnern gegenüber, und dass es auch für Sie viel bedeutet.

Streminger: Ja! Auf jeden Fall. Im Grunde zählt in diesen Dingen nur die Qualität der Argumente, von welcher Seite auch immer sie kommen mögen. Was wiegt’s, das hat’s! Allerdings kann ich mich gelegentlich des Spotts nicht erwehren, etwa wenn der Papst – selbst im kugelsicheren gläsernen Sarg – seiner Herde Gottvertrauen predigt bzw. Gottvertrauen einfordert. Das halte ich für so lächerlich – kugelsicher der Hirte, sich mit dem Allmächtigen begnügend die Herde –, dass ich darin nur noch den Vorspann zum neuen Monty-Python-Film sehen kann: Papimobil or The desperate Life of Joe.

hpd: „Show?“

Streminger: (lacht) Joe! Von Joseph. Papimobil or The desperate Life of Joe. Aber Spaß beiseite. Gerade als Philosoph versuche ich den Wert der Fairness und Vernunft – bleiben wir dabei – zu pflegen, und ein bestimmtes Erlebnis hat mich dabei ganz besonders geprägt: Als ich begonnen hatte, das Theodizee-Problem in systematischer Weise aufzuarbeiten, bemühte ich mich, der Gegenseite stets Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn nur so leistet man etwas für die Philosophie. Aber je freier ich innerlich wurde und das Problem tatsächlich von allen Seiten betrachten konnte, also alle möglichen und unmöglichen Argumente ernst nahm, umso schärfer wurde auch mein religionskritisches Bewusstsein. Das war eine durchaus interessante Erfahrung: Unparteilichkeit, das Bemühen, die andere Position so fair als möglich darzustellen, ist in diesen heiklen Debatten nicht nur ethisch geboten, sondern bewirkte zumindest in mir auch die Schärfung des kritischen Verstandes.

hpd: Der Widerspruch in der religiösen Botschaft ist eigentlich offensichtlich. Was meinen Sie, worin begründet sich die ungebrochene Anerkennung und der Einfluss, den die Kirche trotz aller solcher Widersprüche immer noch haben, speziell auch die katholische Kirche? Für die evangelische Kirche hat Michael Schmidt-Salomon einmal gesagt: „Wären alle Religionen so wie die EKD, brauchten wir keine Religionskritik mehr.“
Und es hat mir jetzt kürzlich jemand gesagt: „Wir können schreiben, was wir wollen, wir können analysieren, so viel wir wollen, und noch so viele Argumente haben, sie werden sich ducken, schweigen und weitermachen.“

Streminger: Die Geschichte spricht insoweit für eine solche Position, da die Kirchen schon oft am Ende zu sein schienen – und sich dann wieder als die ‚wahren Opfer’ wie ein Phönix aus der Asche als moralische Autorität etablieren konnten, eine machtpolitische Meisterleistung! Heute gelten die Kirchen vielerorts immer noch als ‚moralisches Gewissen der Gesellschaft’, auch wenn diese beispielsweise Jahrhunderte lang nichts Schlechtes daran fand, mit der Hölle zu drohen und Angst und Schrecken zu verbreiten. Andererseits zeigt die Geschichte aber auch, dass das Wort auf Dauer mächtiger ist als das Schwert und Ungeheures in Bewegung zu setzen vermag. Ob das eine, das Beharrende, oder das andere, das Fortschrittliche, eher zutrifft? Irgendwie ist es ein wenig müßig, so zu fragen. Denn Aufklärer haben nichts anderes als das Wort, den konsequenten leisen Appell an die Vernunft.

Ich denke, der letzte Grund dafür, dass das ganze religiöse Machtsystem irgendwie noch immer funktioniert, ist das Wissen der Menschen, nur endliche Wesen zu sein. Mit dieser narzisstischen Kränkung werden viele nicht fertig. Und genau an diesem Punkt liefert die Religion zunächst eine Antwort und eine Möglichkeit, wie man mit dieser Kränkung fertig werden kann. Sie behauptet nämlich, der individuelle Tod sei gar nicht endgültig, sondern es gäbe ein Leben danach. Das finden viele in ihrem Leid attraktiv, zumindest so lange, bis ihnen Philosophen erklären, dass dies leider keine wirkliche Lösung, sondern nur eine Sackgasse ist.