Die "New York Times" diskutiert sexuelle Gewalt in der Bibel

Machoquatsch aus der Bronzezeit

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Auf #MeToo-Vorfälle in der Bibel weist eine Kolumnistin in der New York Times hin. Herrje, sollte dieses Buch etwa frauenfeindlich sein?

In einer Kolumne für die New York Times erinnert die Pastorin Emily Scott an einige der Fälle sexuellen Missbrauchs, die in der Bibel geschehen, und deren Opfer Frauen sind. In Genesis 34 etwa wird Dina vergewaltigt und dann auch von der Erzählung rasch wieder weggeworfen, da ihr eigenes Empfinden eigentlich gar keine Rolle spielt, wohl aber die Verletzlichkeiten und Ränke der Herren um sie herum: Statt nur eines Ehrenmordes findet hier nun bald ein Ehrenmassaker statt, das Dinas Brüder durchführen, die in der Geschichte als die eigentlichen Opfer der Tat erscheinen.

Oder Tamar: Sie wird von ihrem Halbbruder Amnon vergewaltigt, der dann später von ihrem Bruder Abschalom getötet wird, aus Rache – oder vielleicht auch, um Erbstreitigkeiten zu klären. Im Buch der Richter hat die Frau nicht einmal einen Namen, die von ihrem Vater einer betrunkenen Meute für eine Massenvergewaltigung mit tödlichem Ende zur Verfügung gestellt wird.

Ekliges Zeug, und doch ist der Zugriff der Pastorin Emily Scott hier noch regelrecht brav: Sie knüpft nun an die MeToo-Debatte an. Sie würde den Vergewaltigungsopfern der Bibel gern eine Stimme verleihen, da deren Perspektive in der Bibel schlicht nicht vorkommt. In den Kommentaren findet sie viel Zustimmung, viele Ex-Lutheraner, Ex-Evangelikale, Ex-Jehovazeugen melden sich mit ihren Unterdrückungserfahrungen zu Wort und pflichten ihr bei. Allerings setzt es auch punktuell Tadel:

"Vereinfachend zu sagen, die Bibel sei ein frauenfeindliches buch und brauche eine MeToo-Bewegung, heißt nur, dass man ein Modethema unserer säkularen Kultur in das Buch projiziert", sagt ein Kommentar und weist auf die "Komplexität" des Werks und der Figuren hin (die man auch "Widersprüchlichkeit" nennen könnte). Gönnerhaft heißt es dann noch: "Übrigens, es waren Frauen, die das leere Grab entdeckten, es war Maria, die zur Mutter Gottes wurde, und es waren die Christen, die die Kultur Roms dahingehend veränderten, dass auch die Frau als ein Ebenbild Gottes gesehen wurde."

Das ist fast schon lustig. Erst kommt der Vorwurf, dass die Bibel nach Belieben ausgelegt würde. Dann exerziert man selbst unter anderen Vorzeichen durch, wie das geht: Frauen haben das leere Grab entdeckt, na so was aber auch! Das kriegen sie wohl gerade noch hin: Zufällig etwas entdecken, oder, richtiger gesagt, ein Nichts entdecken, das Fehlen von etwas. Viel mehr traut die Bibel der Hälfte der Menschheit denn auch nicht zu, denn sie haben ja bloß eine Vulva statt eines Penis, fast könnte man sagen, sie sind prädestiniert für die Hege leerer Höhlen, während die Männer sich fleißig bekriegen, foltern und töten und einander über viele hundert Seiten salbungsvolle Worte um die Ohren brezeln, dass der Zeigefinger nur so knackt.

Der Einwand ist natürlich richtig. Man sollte nicht ein paar unverbundene Stellen aus der Bibel picken, um daraus einen MeToo-Beitrag zu konstruieren. Sondern, wenn man die Bibel für ein einflussreiches Werk hält, sollte man es in seiner Gänze hernehmen: Welche Rolle spielen Männer, welche Frauen?

Das Ergebnis ist viel niederschmetternder, viel vernichtender als die paar Stellen voll unmittelbarer sexueller Gewalt. Wenn man sich ein Werk ausdenken sollte, das dazu angetan ist, einem Geschlecht die totale Dominanz über das andere Geschlecht zuzuweisen, man hätte es kaum brutaler, rücksichtsloser und perfider erfinden können, und gerade der Verweis auf die religiöse Kultur der klassischen Antike ist hier eher bizarr: Im Pantheon und in den Sagen gibt es ja die starken Frauenfiguren, die den Männern Paroli bieten, da gibt es, auch wenn hier Machogeschichten von Stärke, Abenteuer und Kampf breitgetreten werden, doch immer wieder Göttinnen, Gattinnen und Zauberinnen, die in die Handlung entscheidend eingreifen. Immerhin!

Die Bibel dagegen ist das Dokument eines gruseligen, unbarmherzigen Patriarchats, das zunächst mit ultimativer Selbstherrlichkeit und Grausamkeit und einem ausgereiften Sadismus daherkommt, um dann im zweiten Teil, mit dem Erscheinen der Figur Jesus, in eine merkwürdige, verträumte, asexuelle, masochistisch orientierte Richtung umzuschlagen, ehe dann in seiner Nachfolge ab Paulus wieder mehr Zug reinkommt. Frauen, die eine Rolle spielen? Frauen, die Kalendersprüche für die nächsten Jahrtausende von sich geben? Frauen, die weise regieren oder ihre Heere erfolgreich in Kriege führen? Frauen, die sexuell aktiv sind?

Nicht einmal Gottesmutter Maria spielt ja in der Bibel eine Rolle, die nicht auch ein mobiler Brutkasten hätte übernehmen können. Eva bringt, durch pure Neugierde, das angeblich Böse über die Welt, und Tod und ewiges Leid für die Menschheit sind die besonders kranke Strafe des rachgierigen Gottes. Lots Frau hört nicht, was ihr Mann ihr sagt, und erstarrt zur Salzsäule. Viel mehr fällt einem auf die Schnelle auch nicht ein von den Frauen.

Die Bibel ist ein Buch von Männern für Männer, das über Jahrtausende nur von Männern vorgetragen wurde, ein Buch, das mit großer Selbstverständlichkeit von der Herrschaft des Mannes berichtet und bei Verstößen gegen dieses Regime die empfindlichsten Strafen androht. Wenn Frauen hier vergewaltigt werden, spielen der Geist und die Seele im geschändeten Frauenkörper keine Rolle. Frauen dürfen in der Kirche nicht sprechen. Frauen, es wird explizit ausgesprochen, haben dem Manne untertan zu sein. Es ist kein Wunder, dass ein narzisstischer, rücksichtsloser Frauenfeind wie Donald Trump heute von den Evangelikalen als ein Botschafter ihres Gottes erkannt wird.

Was die Bibel angeht, so sollte man, auch als christliche Pastorin, ehrlich zu sich sein: Sie gehört, wie alle Heiligen Bücher, in Gänze verabschiedet und abgelegt aus den Herzen, denn Frauen haben hier keinen Platz – im Empfinden von "Heiligkeit" liegt vielleicht schon der Kern männlicher Dominanz, die keine Legitimation hat als die Selbstüberhöhung. Oder, um mit einem der Kommentatoren zu sprechen: "Ich kann mir keine vergeblichere Übung vorstellen, als durch ein bronzezeitliches Märchenbuch zu waten, auf der Suche nach einer Geschichte von weiblichem Empowerment inmitten all der Steinigungen, Vergewaltigungen und ethnischen Säuberungen."