Nach zivilen Protesten und Rücktritten: Netanyahu löst Kriegskabinett auf

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Außenminister Antony J. Blinken traf sich am 9. Januar 2024 in Tel Aviv, Israel, mit dem israelischen Kriegskabinett.
israelisches Kriegskabinett

Premierminister Benjamin Netanyahu verkündete am Montag die Auflösung des israelischen Kriegskabinetts. Das ursprünglich sechsköpfige Team aus Abgeordneten der Regierungsparteien Likud und Shas sowie der Oppositionsfraktion National Unity war nur wenige Tage nach dem 7. Oktober angetreten und operierte großteils unabhängig von der eigentlichen Regierungskoalition.

Benny Gantz, ehemaliger Oberbefehlshaber der Israel Defense Forces (IDF) und Vorsitzender der oppositionellen Israel Resilience Party erklärte am 9. Juni seinen Rücktritt aus dem israelischen Kriegskabinett. In einer Fernsehansprache sagte Gantz: "Netanyahu hindert uns daran, einen echten Sieg einzufahren. Schweren Herzens aber reinen Gewissens verlassen wir deswegen heute das Notfallkabinett."

Der frühere IDF-Chef warf Netanyahu vor, den Krieg zu seinem politischen Vorteil zu nutzen, statt sich ernsthaft mit einer Strategie für die politische Zukunft Gazas zu beschäftigen. "Schwerwiegende strategische Entscheidungen werden aufgrund politischer Überlegungen nur zögerlich und zaudernd getroffen", konstatierte Gantz und forderte Netanyahu auf, Neuwahlen einzuberufen. Der als Zentrist betrachtete Gantz wird im Moment als schärfster politischer Rivale des Premierministers gehandelt, wie eine kürzlich von der Zeitung Maariv veröffentlichte Umfrage nahelegt: 42 Prozent unterstützen Gantz, 34 Prozent Netanyahu.

Gantz erfüllt damit ein Ultimatum, das er dem Premierminister vergangenen Monat gestellt hatte: Sollte Netanyahu bis zum 8. Juni keine neue Militärstrategie vorstellen, die unter anderem die Rettung sämtlicher Geiseln, die Rückführung der vertriebenen Bevölkerung in den Norden des Landes und einen Plan für die politische Stabilisierung Gazas nach dem Krieg beinhaltet, würde sich die Opposition umgehend aus dem Kriegskabinett zurückziehen. Den eintägigen Versatz zwischen seiner Frist und seinem tatsächlichen Rücktritt begründete Gantz mit der Rettung von vier Geiseln am 8. Juni.

Auch der Abgeordnete Gadi Eizenkot, der dem Kriegskabinett als Beisitzer angehörte, erklärte am 9. Juni seinen sofortigen Rücktritt. Wie Gantz ist Eizenkot ehemaliger Oberbefehlshaber der IDF und Mitglied der National Unity-Fraktion in der Knesset. In seiner Rücktrittserklärung an Netanyahu schreibt Eizenkot: "Trotz der Anstrengungen vieler, inklusive meines Kollegen (Benny Gantz, Amn. d. A.), wurde das von Ihnen geführte Kabinett lange Zeit daran gehindert, wichtige Entscheidungen zu treffen, die zur Realisierung der Kriegsziele und zur Verbesserung der strategischen Position Israels notwendig gewesen wären."

Gadi Eizenkot, Reuven Rivlin, Benny Gantz, Foto: © IDF Spokesperson's Unit photographer, Wikipedia,  IDF Spokesperson's Unit
Eizenkot folgt Gantz als Oberbefehlshaber der IDF, 16. Februar 2015. v.l.n.r.: Gadi Eizenkot, Reuven Rivlin, Benny Gantz, Foto: © IDF Spokesperson's Unit photographer, Wikipedia, 

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Nur zwei Tage vor Netanyahus Entscheidung legten zehntausende Israelis in der mutmaßlich größten Demonstration seit Kriegsbeginn halb Tel Aviv lahm und forderten neben einem sofortigen Deal zur Befreiung der noch immer über 100 von der Hamas festgehaltenen israelischen Geiseln auch zeitnahe Neuwahlen. Das heißt nicht, dass die israelische Öffentlichkeit den Krieg nicht unterstützt – denn das tut sie. Das heißt, dass sie Netanyahus Art und Weise, diesen Krieg zu führen, nicht unterstützt.

Die verbleibenden vier Mitglieder des Kriegskabinetts sind, den Shas-Abgeordneten Aryeh Deri ausgenommen, allesamt Abgeordnete der Regierungspartei Likud, weswegen die Auflösung des Notfallkabinetts primär symbolischer Natur sei, erklärte Netanyahus Büro. Denkbar ist allerdings auch, dass Netanyahu den Ambitionen seiner radikalen Koalitionspartner einen Dämpfer verpassen wollte, denn Finanzminister Bezalel Smotrich und Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir hatten bereits Ansprüche auf einen Platz im Kriegskabinett angemeldet.

Kriegswichtige Entscheidungen werden in naher Zukunft wohl Likud-intern unter Einbeziehung von Verteidigungsminister Yoav Gallant und Minister für strategische Angelegenheiten Ron Dermer, die bereits dem Kriegskabinett angehörten, getroffen, berichtet Reuters. Gallant wiederum sprach letzten Monat ebenfalls eine scharfe Warnung in Netanyahus Richtung aus: Mit ihm als Verteidigungsminister werde es nach dem Krieg keine zivile Kontrolle oder Militärregierung in Gaza geben. Smotrich und Ben-Gvir, die sich einer langfristigen Okkupation Gazas bis dato nicht abgeneigt zeigten, verurteilten Gallants Äußerungen unverzüglich. Angesichts dieser Tatsache ist es kaum verwunderlich, dass Netanyahu die Hardliner, die seine Vier-Sitze-Mehrheit in der Knesset sichern, aus dem Kriegskabinett heraushalten wollte – und es deshalb auflöst.

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